Die Lebenden reparieren
© Wild Bunch Germany

Die Lebenden reparieren

(OT: „Réparer Les Vivants“, Regie: Katell Quillévéré, Frankreich/Belgien, 2016)

Die Lebenden reparieren
„Die Lebenden reparieren“ läuft ab 7. Dezember 2017 im Kino

Der Unfall war ebenso unsinnig wie tragisch: Als der leidenschaftliche Surfer Simon (Gabin Verdet) sich während einer Autofahrt mit zwei Freunden nicht anschnallt, geschieht ein folgenschwerer Unfall. Während die beiden anderen mit Knochenbrüchen davonkommen, kommt für den Jungen jede Hilfe zu spät. Das Herz schlägt noch mithilfe der Maschinen, doch das Gehirn ist bereits tot. Thomas Rémige (Tahar Rahim), der in dem behandelnden Krankenhaus als Arzt arbeitet, schlägt daraufhin Simons Eltern Marianne (Emmanuelle Seigner) und Vincent (Kool Shen) vor, dessen Organe zu entnehmen, um so anderen das Leben zu retten. Die sind zunächst so gar nicht angetan von diesem Gedanken. Doch der Bedarf ist da, beispielsweise bei Claire (Anne Dorval), die an einer nicht heilbaren Herzkrankheit leidet.

Sie ist eine dieser Fragen, von der wir ganz genau wissen, dass wir sie uns stellen sollten, vor denen die meisten von uns sich jedoch drücken. Was soll mit meinen Organen im Fall des Todes geschehen? Dass sich die Menschen nur ungern mit dem Thema auseinandersetzen, ist verständlich. Schließlich denken die wenigsten gern über ihren Tod nach, sofern es nicht zwingend notwendig ist. Die Folgen sind jedoch dramatisch: Die Zahl der freiwilligen Spenden deckt bei weitem nicht den Bedarf. Schlimmer noch, die Zahl ist seit Jahren schon rückläufig.

Leidenschaftliches und ungewöhnliches Plädoyer
Dass es Katell Quillévéré wichtig ist, dies zu ändern, das merkt man ihrem neuesten Film an. Die Adaption von Maylis de Kerangals gleichnamigen Roman ist ein ebenso deutliches wie leidenschaftliches Plädoyer für die Organspende. Aber auch ein sehr ungewöhnliches. Anstatt sich auf die potenziellen Empfänger zu konzentrieren, wie man es vielleicht erwarten könnte, holt die französische Regisseurin und Co-Autorin sehr viel weiter aus. Sie widmet dem Spender viel Raum, dessen Angehörigen, aber auch den Ärzten und Organisationen, die bei einer solchen Transplantation beteiligt sind. Sprich: Sie zeigt die komplette Kette auf, vom Unfall bis zur finalen Operation.

Hätte es das gebraucht? Müssen wir wissen, dass Thomas gern einen selten Vogel zu Hause hätte? Wie Simon damals seine Freundin kennenlernte? Wer früher einmal zum Leben von Claire gehörte? Vielleicht nicht. Keine der Informationen ist relevant für den Ablauf. Aber er ist sehr wohl relevant, wenn es darum geht, aus den einzelnen Stationen tatsächliche Figuren zu machen. Die Lebenden reparieren ist am Ende dann doch mehr als eine nüchterne Bestandsaufnahme, trotz medizinischer Details kein Dokumentarfilm. Vielmehr verankert das Drama das Thema dort, wo es herkommt und wo es hingehört: bei den Menschen.

Viele Wege führen (meist) ans Ziel
Das klappt mal besser, mal schlechter. Einige Punkte sind auch bei wohlwollender Betrachtung nicht wirklich themenzugehörig – Stichwort Fahrstuhlfantasien. Umgekehrt fehlt dem Film eine tatsächliche Auseinandersetzung mit dem Pro und Contra einer Organspende. Die Ängste und Empörung der Eltern wird sofort im Anschluss beiseitegewischt. Es wird nicht einmal so getan, als wäre die Entscheidung gegen eine Spende eine Option. Da wäre es doch schöner gewesen, dem Publikum auch eine eigene Meinungsbildung zuzugestehen.

Und doch ist Die Lebenden reparieren ein ebenso wichtiger wie sehenswerter Film. Wichtig, weil er den Zuschauern vor Augen führt, was Organspende beinhaltet und für wen sie lebensnotwendig ist. Sehenswert, weil er zahllose schöne bis traurige Momente bereitstellt, die einen kaum kalt lassen können. Man leidet mit den Eltern, drückt Claire die Daumen und fühlt sich auch in dem Krankenhaus gut aufgehoben. Dass dies ohne klare Protagonisten funktioniert, macht dieses kleine berührende Drama umso bemerkenswerter.



(Anzeige)

Die Romanverfilmung „Die Lebenden reparieren“ nimmt sich des Themas Organspender auf eine sehr ungewöhnliche Weise an. Anstatt sich auf das Leid der Betroffenen zu konzentrieren, zeigt das Drama, wie viele Menschen bei einer Transplantation drinhängen und beleuchtet diese näher. Nicht alles davon ist zielführend, es findet auch keine echte Debatte statt. Dafür ist das Plädoyer auf eine Weise menschlich, wie man es nur selten sieht.
8
von 10