Pocahontas
© Disney

(OT: „Pocahontas“, Regie: Mike Gabriel/Eric Goldberg, USA, 1995)

PocahontasStark ist sie. Und unabhängig. Deswegen ist Pocahontas auch alles andere als erfreut, als ihr Vater über ihren Kopf hinweg beschließt, sie mit dem tapferen Krieger Kocoum zu verheiraten. Das Indianermädchen würde lieber selbst über seine eigene Zukunft bestimmen, frei sein, vielleicht auch Abenteuer erleben. Dann kommt es aber ohnehin ganz anders. Die Engländer sind da, angeführt von Governor Ratcliffe, um nach Gold zu suchen. Das führt schnell zu Konflikten zwischen den Eingeborenen und den Neuankömmlingen. Nur John Smith, in den sich Pocahontas Hals über Kopf verliebt, scheint daran interessiert zu sein, zwischen den zwei verfeindeten Völkern zu vermitteln.

Ab Ende der 1980er sah es so aus, könne die Animationsabteilung von Disney nichts mehr falsch machen. Von Arielle, die Meerjungfrau bis zu Der König der Löwen reihte sich ein großer Hit an den anderen, die sogenannte Disney Renaissance war in voller Blüte. Und dann kam Pocahontas. Kommerziell erfolgreich war auch der 33. abendfüllende Zeichentrickfilm der Amerikaner ja: Er spielte fast das Siebenfache seines Budgets wieder ein, das von Vanessa Williams gesungene „Colors of the Wind“ wurde mit einem Oscar belohnt und erreichte in den USA die Top 5. Und doch war der Film nicht nur Auftakt zu der schwächeren zweiten Hälfte dieser goldenen Periode, er war sogar der schwächste von allen.

Interessantes Setting, langweiliger Film
Das größte Problem des Films ist, dass er so gar nichts Eigenes tut. Das historisch-ursprüngliche Setting hat natürlich seinen Reiz. Und dass sich ausgerechnet Disney mit dem wenig ruhmreichen Erbe der Kolonisierung auseinandersetzt, das ist im Grundsatz ebenfalls sympathisch. Nur ist dem Ganzen eben keine besonders interessante Geschichte entsprungen. Schon in den ersten Minuten steht genau fest, was die nächsten anderthalb Stunden passieren wird. Der Anspruch auf Freiheit und Wildheit? Reine Lippenbekenntnis. Starke Frauenfiguren waren zu dieser Zeit bei Disney ja an der Tagesordnung. Bei Pocahontas bedeutete das jedoch lediglich, dass sie sich gegen den von ihrem Vater ausgesuchten Mann entscheidet und sich lieber John Smith an den Hals wirft. Anders als etwa in Die Eiskönigin – Völlig unverfroren und Vaiana bestand Selbständigkeit damals darin, sich die eigene Abhängigkeit auszusuchen.

Nun gehört ein bisschen Romantik bei Disney oft dazu. Bei Pocahontas funktioniert diese aber so gar nicht. Liebe auf den ersten Blick schön und gut, so ein klein bisschen Entwicklung wäre aber sicher nicht zu viel verlangt gewesen. Dass die beiden trotz der Sprachbarriere auf Anhieb sofort miteinander kommunizieren können – ihre Herzen sprechen miteinander –, das ist selbst in diesem nicht immer subtilen Umfeld schon ein bisschen sehr viel Kitsch. Hinzu kommt, dass die Figuren hier allgemein sehr langweilig geworden sind. Pocahontas und John sind nichtssagende Stereotype, auch Ratcliffe kann es mit der ruhmreichen Bösewichtergalerie nicht aufnehmen. Besser gelungen ist noch der ständig verfressene Waschbär Meeko, schließlich durften lustige, tierische Sidekicks in keinem Disney-Film fehlen. Aber auch der Rückgriff auf einen solchen No-Brainer half nicht wirklich dabei, der extrem formelhaften Geschichte ein bisschen Leben einzuhauchen.

Auch visuell nur teilweise überzeugend
1995 konnte Pocahontas durch die Optik noch einiges von diesen Schwächen wieder ausgleichen. Mehr als 20 Jahre später zeigt aber auch diese ihr Alter. Während die Animationen nach wie vor in der oberen Liga mitspielen und das kantige Design von Pocahontas ebenfalls Wiedererkennungswert hat, sind die computergenerierten Effekte doch schon in die Jahre gekommen. Da ist der ebenfalls in einem Dschungel spielende, dynamisch herumwirbelnde Tarzan der deutlich ansehnlichere Film geworden und geblieben. Und er ist auch spannender als diese aufgrund der vielen Versatzstücke recht banale und überflüssige Historienromanze.



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Die Idee einer starken Protagonistin und einer Auseinandersetzung mit dem kulturellen Erbe waren vielversprechend, das Ergebnis ist umso enttäuschender. „Pocahontas“ ist ein langweilig zusammengeklaubtes Recyclingstück, das aufgrund der nichtssagenden Figuren und der kitschigen Elemente der schwächste Film der Disney Renaissance ist. Da helfen auch die obligatorischen tierischen Sidekicks nicht mehr.
5
von 10