Das Lowenmaedchen
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Das Löwenmädchen

(OT: „Løvekvinnen“, Regie: Vibeke Idsøe, Norwegen, 2016)

„Das Löwenmädchen“ läuft ab 14. September 2017 im Kino

Im norwegischen Winter 1912 bewegt sich die hochschwangere Frau des Stationsmeisters Gustav Arctander (Rolf Lassgård) durch den dichten Schnee – sie befindet sich in den Wehen. Mit letzter Lebenskraft bringt sie eine Tochter zur Welt, bevor ihr eigenes Herz aufhört zu schlagen. Zur Überraschung aller ist die kleine Eva von Kopf bis Fuß mit Haaren bedeckt ist. Ein seltenes Phänomen, mit dem ihr Vater nach dem Verlust seiner Frau sichtlich überfordert ist. Er entschließt sich dazu, seine Tochter vor der Öffentlichkeit zu verstecken, um sie und sich vor einem Leben voll Spott zu bewahren. Dazu stellt er die quirlige Hannah (Kjersti Tveterås) ein, die anfallende Hausarbeiten erledigt und dem langsam heranwachsenden Mädchen ein offenes Ohr bietet. Von ihrer Neugierde getrieben, unternimmt Eva immer wieder Ausflüge in die Außenwelt. Ihr sehnlichster Wunsch: Gemeinsam mit den anderen Kindern zur Schule gehen. Die reagieren auf ihre Ganzkörpermähne wie von ihrem Vater erwartet und auch für die Erwachsenen ist sie nur eine groteske Willkür der Natur, bis sie ihr Schicksal in die eigenen Hände nimmt.

Hypertrichosis bezeichnet die übernatürliche Behaarung, die den Körper der Betroffenen partiell oder gar ganz bedeckt. In der Umgangssprache werden sie als „Wolfsmenschen“ bezeichnet, die bis heute eine Seltenheit darstellen und gerade in der Vergangenheit durch ihr ungewöhnliches Aufsehen für gesellschaftliche Belustigung sorgten. Der auf dem norwegischen Roman von Erik Fosnes Hansen basierende Film greift die Thematik zwar auf, viel wichtiger ist jedoch eine andere Frage: Was tun, wenn man anders ist? Verstecken oder mit Selbstbewusstsein dazu stehen?

Gefangen daheim
Zu Beginn ist die Entscheidung ihres Vaters absolut. Niemand darf sie sehen, zu groß ist die Angst vor einer öffentlichen Schmach. Egoistisch, Hauptsache sein Ruf als Stationsleiter gerät nicht in Verruf, so scheint es zunächst. Seiner anfänglichen Ablehnung folgen wehmütige Risse in der emotionalen Oberfläche. Eva ist eine wahre Frohnatur, neugierig und äußerst belesen, wie sich schnell herausstellt. Besonders die Mathematik hat es ihr angetan und die Zeichnungen ihres Vaters, die er mit Hingabe in seiner Freizeit erstellt. Das Haus und Hannah ist alles was sie kennt; ab und zu schaut sie aus dem Fenster, obwohl ihr Vater es verboten hat und wüsste er von den gelegentlichen Gesprächen mit dem Stationsarbeiter Sparky (Rolf Kristian Larsen), würde er dem ebenfalls Einhalt gebieten.

Nicht willkommen
Mit ihrer Einschulung folgen neue Erfahrungen und Probleme, fern des Schutzes ihres Vaters. Sie verliebt sich, bekommt ihren ersten Kuss und scheint zum aller ersten Mal in ihrem Leben normal. Die ständigen Hänseleien ihrer Mitschüler bringen sie auf den Boden der Tatsachen zurück. Sie beginnt die Schule zu schwänzen und zieht sich weitestgehend zurück. Professoren von nah und fern sehen sie als Testobjekt; mehr als einmal versucht sie, sich ihrer wallenden Haarpracht zu entledigen – erfolglos. Eines Tages besucht ein Kuriositätenkabinett der besonderen Art ihr Dorf und sie verspürt eine unerfüllte Sehnsucht. Die Ansammlung aus bärtigen Damen, Schlangenmenschen und siamesischen Zwillingen ist genau wie sie – anders. Ein Angebot, Teil der Vorstellung zu werden, lehnt sie zunächst ab, bevor sie es sich doch anders überlegt und als „Löwenmädchen“ durch die Lande zieht.

Ein Platz in der Welt
Mit dem heimatlichen Absprung gewinnt die beklemmende Geschichte an Fahrt, die stetigen Interaktionen und wechselnden Reiseziele verleihen der an Selbstbewusstsein gewinnenden Eva eine magische Ausstrahlung, die sie in ihrem späteren Studium auslebt. Diese Entfesslung dauert nur wenige Minuten und dann ist der Film auch schon vorbei. Kann man dem Coming-of-Age-Drama eines vorwerfen, ist es eben jene Balance in der heranwachsenden und erwachsenen Eva, die den Zuschauer aus dem persönlichen Tief in das schlussendliche Hoch ihrer Selbstfindung aufrichtet. Ein bittersüßer Schlussstrich einer liebevollen Geschichte, mit überwiegend erbaulichem Unterton.



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Die Romanverfilmung fängt den Werdegang gekonnt ein, kommt aber nicht an einer Ausreizung der beklemmenden Anfangsphase vorbei. Dem monotonen Alltag, folgen erste Erfahrungen mit dem anderen Geschlecht und Konfrontationen mit dem Durchschnittsbürger, die aufgrund Evas Aussehens an Intensität gewinnen. Ihr optimistisches Wesen und ihre zielstrebige Art entfalten den verpuppten Charakter gegen Ende zu einer starken Frau mit Herz und Verstand.
7
von 10