Wir sind die Flut
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Wir sind die Flut

(„Wir sind die Flut“ directed by Sebastian Hilger, 2016)

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„Wir sind die Flut“ läuft ab 10. November im Kino

Seit 15 Jahren rätseln die Wissenschaftler schon, was damals in dem kleinen Ort Windholm passiert ist. Aber eine Erklärung ist ebenso wenig in Sicht wie die Kinder, die seinerzeit zusammen mit dem Meer plötzlich weg waren. Der junge Physiker Micha (Max Mauff) lässt sich davon aber nicht abbringen, auch nicht von den Professoren seiner Universität, die seinen Hypothesen keinen Glauben schenken. Und so reist er zusammen mit der Physikerkollegin Jana (Lana Cooper) trotz Verbot an den Ort, der noch heute ein Sperrgebiet ist und versucht auf eigene Faust, das Rätsel zu lösen. Doch dabei muss er feststellen, dass die Bewohner daran überhaupt kein Interesse haben, lediglich Hanna (Gro Swantje Kohlhof), die als einziges Kind damals zurückblieb, hilft den beiden Fremden, der Sache auf den Grund zu gehen.

Deutschland und das Genrekino, das ist eine viel diskutierte, oft nicht ganz glückliche Verbindung, der es mal an vorzeigbaren Vertretern, mal am dankbaren Publikum, mal an beidem mangelt. Während zumindest der Thrillerbereich eine Reihe interessanter Filme hervorgebracht hat und auf eine gewisse Akzeptanz stößt, sieht bei anderen Genres deutlich düsterer aus. Vor allem Science-Fiction-Fans dürfen lange nach Futter suchen, lediglich Boy 7 wagte einen Blick in die Zukunft – und der kam eigentlich aus den Niederlanden. Entsprechend dankbar darf man sein, dass sich bei Wir sind die Flut doch mal wieder hiesige Filmemacher an diesem verwaisten Bereich versuchen.

Wobei Regisseur Sebastian Hilger und Drehbuchautorin Nadine Gottmann bei ihrem seit vielen Jahren geplanten Film einen etwas anderen Weg gehen, als es manche mit der Science-Fiction-Schublade verbinden. Raumschlachten gibt es nicht, keine Aliens, nicht einmal zukünftige Technologien. Wo andere auf effektgeladene Popcornunterhaltung setzen, zeigt sich Wir sind die Flut sehr viel nachdenklicher. Auch das ist natürlich keine Seltenheit in dem Genre. Anders als etwa die unterkühlt-existenzialistischen Überlegungen von Ex Machina oder Ghost in the Shell, ist das hier jedoch sehr viel stärker mit den Individuen verbunden, versucht über die emotionale und persönliche Schiene in die Tiefe vorzudringen.

Das soll jedoch nicht bedeuten, dass es hier übermäßig dramatisch zugehen würde. Es ist mehr eine leise Melancholie, welche den Film begleitet. Gras über die Vergangenheit wachsen lassen, das funktioniert in Wir sind die Flut nicht. Nicht im eigentlichen Sinn, auf dem Watt lässt sich noch immer kein Pflänzchen blicken. Nicht im übertragenen, denn die Vergangenheit, die ist hier auf Schritt und Tritt zu spüren. Das nutzlos gewordene Schulgebäude, das ausgetrocknete Schwimmbad, die leere Küstengegend ohne Horizont, ohne Besucher – es sind gleichzeitig düster-farblose wie betörend schöne Bilder, in die uns das Team von Nachwuchsfilmemachern bei seiner Abschlussarbeit mitnehmen.

Ähnlich zu dem atmosphärisch ähnlichen, dann aber doch noch eleganteren The Returned ist die Aufklärung des Mysteriums nur ein Teilaspekt, mindestens ebenso wichtig ist die Frage, wie die Menschen mit dem Unglück umgehen. Was fange ich mit meinem Leben an, nachdem mir so viel genommen wurde? Wie begegne ich dieser Leere, die in mir und um mich herum alles verschlingt? Dass es auf diese und viele weitere keine eindeutigen Antworten gibt, ist deshalb auch nebensächlich: Die Suche nach dem Wasser, sie bedeutet auch Konfrontation mit sich selbst, mit Ängsten und Träumen, mit Verlust und Erinnerungen. Denn selbst wenn alles um einen herum verschwindet, uns die Leere keinen Ausweg mehr lässt, uns kein Zaun mehr schützt, ist es das, was uns geblieben ist. Das Leben ist das, was wir draus machen.

Diese Offenheit – Offenheit bei der Begegnung, Offenheit beim Abschluss – wird nicht jedem gefallen. Auch die doch sehr ruhige, fast meditative Erzählweise, welche nicht viel Handlung vorsieht, dürfte manchen Zuschauer ebenso leer zurücklassen wie die Bewohner des Dorfes. Man muss sich darauf einlassen können, auf diesen stärker poetisch-rätselhaften Genrevertreter, der zwischenzeitlich aufgrund mehrerer zusammen- und auseinanderfließender Themen zwar etwas ziellos wirkt, aber doch einiges zu sagen und zu zeigen hat. Und der einem zum Ende hin trotz aller Tragik und Trauer auch versöhnliche Worte mit auf den weiteren Weg gibt.



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Teils Science-Fiction, teils Mystery, teils Drama wandert „Wir sind die Flut“ bei der Suche nach Antworten an vielen Orten umher. Das ist manchmal etwas ziellos, aber doch sehr stimmungsvoll, lässt einen ebenso über das Rätsel des verschwundenen Meeres wie über das Leben an sich nachdenken.
7
von 10