Carol
© DCM Filmverleih

Carol

(„Carol“ directed by Todd Haynes, 2015)

Carol
„Carol“ läuft ab 17. Dezember im Kino

Es ist ein solides Leben, das Therese (Rooney Mara) da führt. Sie hast eine feste Arbeit als Verkäuferin in einem Kaufhaus, dazu mit Richard (Jake Lacy) einen Mann, der sie liebt und heiraten will. Aber es ist nicht das Leben, das sie sich wünscht, tief in ihrem Inneren weiß sie, dass da doch noch mehr sein muss. Dies wird ihr umso mehr bewusst, als sie eines Tages der älteren Carol (Cate Blanchett) über den Weg läuft. Therese ist fasziniert von dem eleganten Auftreten der Kundin, die wiederum Gefallen an der jungen Frau findet. Die langsam aufblühende Liebe trifft jedoch auf erbitterten Widerstand. Nicht nur, dass eine lesbische Beziehung in den 50ern unerhört ist. Carol ist zudem mit Harge (Kyle Chandler) verheiratet. Und der weigert sich, seine Gattin einfach so ziehen zu lassen.

Und täglich grüßt das Murmeltier: Das Kalenderjahr neigt sich dem Ende zu, was immer ein guter Anlass ist, die aussichtsreichsten Kandidaten für die nächste Oscar-Verleihung festzulegen. Und da 2015 ein schwieriges Jahr ohne echte Favoriten ist, so heißt es zumindest, wird für die Prognosen auf Filme zurückgegriffen, deren Beteiligten in den letzten Jahren schon in der Endrunde waren. Spotlight (Mark Ruffalo, Michael Keaton) ist ein solcher Film, The Revenant (Alejandro G. Iñárritu, Leonardo DiCaprio) und The Danish Girl (Tom Hooper, Eddie Redmayne) zwei weitere. Und eben Carol, der Cate Blanchett ihren dritten Oscar bescheren könnte.

Und die Chancen dafür stehen nicht einmal schlecht, denn der Film bringt viel mit, was traditionell bei der Jury gut ankommt: eine hochkarätige Besetzung, einen geschätzten Regisseur (Todd Haynes, I’m Not There), wunderbare Dekors, einen getragenen Score, ein tragisches Schicksal. Abgerundet wird der Edelstreifen durch eine bekannte Vorlage: Patricia Highsmiths „Salz und sein Preis“ sorgte 1952 für hochröte Köpfe. Eine Liebe zwischen zwei Frauen, das war seinerzeit nicht unbedingt gern gesehen. Umso bemerkenswerter, dass die Autorin die beiden Protagonistinnen auch gewähren ließ, sie weder verurteilte noch für ihre tabuisierten Gefühle bestrafte.

Diese historische Komponente ist dann auch die interessanteste des Films: Carol gibt einen Einblick in die damalige Situation von Homosexuellen, die im besten Fall ignoriert, oft aber öffentlich geächtet wurden. Sonderlich in die Tiefe geht das Drama an der Stelle jedoch nicht. Lässt man einmal Carols Sorgerechtstreitereien mit ihrem Mann außen vor, die durch den gleichgeschlechtlichen Aspekt ihrer Untreue noch ein bisschen hässlicher werden, spielt Homosexualität in dem Film keine nennenswerte Rolle. Weder erfahren wir von dem Schicksal anderer homosexueller Menschen, noch haben die beiden Protagonistinnen die oft mit LBGT-Filmen verbundenen Selbstzweifel, was ihre eigene Körperlichkeit und Identität angeht. In einer bemerkenswerten Selbstverständlichkeit nehmen beide ihr Schicksal an, auch das Umfeld scheint nicht wirklich überrascht. Harge und Richard sind empört, jedoch weniger darüber, dass ihre Frauen sich anderen Frauen hingeben, als vielmehr, dass die beiden sich nicht an den von den Männern vorgegebenen Lebensweg halten. Jemand anderes wählen als sie selbst.

Aber selbst wenn man diese vertane Chance nicht bedauert, die befremdliche Sprachlosigkeit angesichts des damals sehr relevanten Themas nicht weiter bemerkt, auch dann hat der Film eigentlich nicht viel zu erzählen. Die Geschichte selbst verläuft auf sehr klassischen Bahnen. So klassisch, dass die großen Überraschungen ausbleiben. Und wenn dann doch noch mal eine Wendung eingebaut wird, ist sie gleich wieder übertrieben. Schlimmer noch sind die durch die Bank uninteressanten Figuren. Therese darf als einzige im Laufe des Films eine kleine Entwicklung durchmachen, später zumindest ein wenig Selbständigkeit beweisen – auch wenn sie bis zum Schluss eher reagiert als agiert. Carol ist die vornehme und selbstsüchtige Dame, die erst in einem besonders theatralischen Moment auch einmal an andere denkt. Und die Männer denken überhaupt nicht, sind simple Egotrips auf zwei Beinen.

Gut gespielt ist das, sehr gut sogar, wie es bei dieser Besetzung auch zu erwarten war. Wie Blanchett und Mara ihre jeweiligen Figuren oft nur mit kleinsten Gesten zum Leben erwecken, das ist ein beeindruckendes Stück Schauspielkunst. Nur liegen eben Kunst und Künstlichkeit oft nahe beieinander: Carol ist ein sehr schön anzusehender Film, der mit unglaublichen Kulissen und wunderbaren Kostümen zu einem der elegantesten dieses Jahres wird. Aber die Romanverfilmung ist eben nicht mehr als ein exquisites Äußeres – ein Werk, das aus lauter erlesenen Zutaten besteht, am Ende aber zu nichtssagend und distanziert ist, als dass einem das Schicksal der beiden Frauen tatsächlich nahegehen würde. Für einen Oscar mag das reichen. Lässt man jedoch die großen Namen weg, würde sich kaum einer für das Drama interessieren.



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Die Inszenierung ist elegant, die Besetzung hochkarätig. Doch dahinter verbirgt sich nicht viel, „Carol“ hat zu dem historisch relevanten Thema einer geächteten homosexuellen Beziehung kaum etwas zu sagen, Geschichte und Figuren sind einfallslos und oberflächlich.
6
von 10