Leb Wohl Liebling

Leb‘ wohl, Liebling

(„Murder, My Sweet“, directed by Edward Dmytryk, 1944)

„He died in 1940, in the middle of a glass of beer. His wife Jessie finished it for him.”

Armer Dick Powell. Der Schauspieler war in Hollywood festgelegt in seiner Bestimmung als Tänzer und Sänger in Musicals und dabei verlangte es den Star viel mehr nach ernsthaften Rollen, um in dramatischen Filmen überzeugen zu können. Vergeblich hatte er versucht, die Hauptrolle in Billy Wilders Klassiker Double Indemnity zu bekommen, die dann jedoch letztendlich an Fred MacMurray ging. Doch gleichzeitig war Powell auch die letzte Rettung für das Filmstudio RKO, das vor dem Bankrott stand und hoffte, durch zahlreiche leichtfüßige Musicals noch etwas Geld zu machen, um zu überleben. Da lag es nahe, dass man Dick Powell unter Vertrag nahm. Dieser unterschrieb den Vertrag zwar, bestand aber auch darauf, dass er dessen Bedingungen nur erfüllen würde, wenn er eine dramatische Rolle spielen könne. Widerwillig lenkte man bei RKO ein und sicherte dem Schauspieler die Rolle des Privatdetektivs Philip Marlowe zu, die Figur des Schriftstellers Raymond Chandler, der grundsätzlich eine negative Einstellung zu allen filmischen Umsetzungen seiner Werke hatte.

Umso überraschender ist es, dass Chandler die Besetzung von Powell als Marlowe sehr begrüßte und mit dem Amerikaner sehr zufrieden war – im Gegensatz zu Regisseur Edward Dmytryk, dem sich vor Entsetzen die Nackenhaare hochstellten, als er erfuhr, wer die Hauptrolle in seinem Film Noir übernehmen sollte. Die Begeisterung Chandlers spricht dafür, dass Powell den Privatdetektiv so verkörperte, wie er ihn vorgesehen hatte und nicht wie etwa Humphrey Bogart, den vielleicht beliebtesten Darsteller Marlowes. Trotzdem hat Dick Powell es schwer zu überzeugen. Er gibt sich Mühe, doch das Gefühl einer krassen Fehlbesetzung bleibt bestehen, denn der smarte Ermittler erweckt bereits rein äußerlich nicht den Eindruck des trinkenden, lakonischen Detektivs, sondern eher den eines überaus korrekten Versicherungsvertreters, der niemals in der Lage wäre, derart sarkastische Sprüche zu äußern, wie es Chandler ihm auf den Leib geschrieben hat.

Die Romanvorlage selbst besteht aus drei Kurzgeschichten Raymond Chandlers‘, der diese zu einer langen Geschichte zusammengeflochten hat. Dementsprechend verwirrend ist die Handlung, wenn auch nicht in einem derartig verheerenden und hoffnungslosen Umfang wie in dem wenig später entstandenen The Big Sleep mit Bacall und Bogart. Marlowe ist etwas knapp bei Kasse, als er Besuch von einem Schrank von einem Mann erhält: Moose Malloy (Mike Mazurki) beauftragt den Detektiv, eine alte Freundin zu finden, die er seit acht Jahren nicht mehr gesehen hat. Der Zuschauer beobachtet den Riesen Malloy in seinem brutalen Auftreten, wie er einen Barbesitzer gnadenlos zu Boden schlägt und auf einmal, in den ruhigen Momenten, scheinen ich die Augen dieses Mannes mit Tränen zu füllen, wenn er in sensiblen Erinnerungen schwelgt über seine alte Freundin, die er so sehr vermisst, dass er um sich herum alles vergisst. Marlowe macht sich auf die Suche, doch bevor er die Frau ausfindig machen kann, erhält er einen neuen Auftrag von einem anscheinend sehr wohlhabenden Mann namens Marriot (Douglas Walton), der ihm große Scheine unter die Nase hält, damit der Detektiv ein Halsband aus Jade ausfindig macht.

Noch in derselben Nacht begleitet Marlowe seinen neuen Klienten in ein dunkles Waldstück, um dem Juwel auf die Spur zu kommen, doch anstatt irgendetwas zu finden, wird der Ermittler bewusstlos geschlagen. Als er wieder erwacht, muss er feststellen, dass nur wenige Meter entfernt eine Leiche liegt – es ist die von Marriot, dessen Schädel zermatscht wurde, als sei er von einem Elefanten zerstampft worden. Von der Polizei als Mordverdächtiger Nr. 1 verdächtigt, macht sich Marlowe auf die Suche nach dem wahren Verbrecher und muss dabei feststellen, dass die Fälle der verschwundenen Freundin Malloys und des entwendeten Jade-Halsbands Marriots sehr eng zusammenhängen. Marlowe gerät immer tiefer in die Gefahren dieses Unternehmens, bei dem er auch Ann Grayle (Anne Shirley) kennen lernt, die ihn zwar anzieht, es ihm in all ihrer Undurchsichtigkeit aber auch schwer macht, herauszufinden, was sie in diesem Fall für eine Rolle spielt.

Der Grund, warum The Big Sleep trotz der unendlich komplexen Story so bezaubernd und unterhaltsam ist, ist die Chemie zwischen Humphrey Bogart und Lauren Bacall. Hier stimmt diese Chemie zwischen Dick Powell und Anne Shirley nicht nur nicht, sie ist noch nicht einmal vorhanden, was zu einem großen Teil daran liegen mag, dass Dick Powell sich zwar bemüht, aber in der Rolle des schnodderigen Detektivs kaum überzeugen kann. Powell hat zweifellos Charme, doch nicht den des nihilistischen Ermittlers aus der Feder Chandlers, den wir im Film Noir zu schätzen gelernt haben. Und doch trägt er die lakonischen, scharfzüngigen Monologe vor, die seine Figur über die Jahrzehnte so beliebt gemacht haben, wenn fast 1:1 aus der Romanvorlage zitiert wird und Marlowe des nachts über die Straßen schlendert, über den Bildern die Weisheiten eines Detektivs, der fast pleite ist und über seinen Job sinniert. Diese frischen, erinnerungswürdigen Zeilen sind es, die Murder, My Sweet noch immer sehenswert und einige Schwächen übersehenswert machen, zu denen neben dem fehlenden Knistern der Hauptdarsteller auch das unpassende, kitschige Hollywood-Finale gehört.

Doch bis dahin kann sich der Zuschauer auch an Finessen der Kameraarbeit erfreuen, die trotz ihrer kostengünstigen Herstellungsart beeindruckend und zu jeder Zeit überzeugend geglückt sind, beachte man die fast surrealistische, alptraumartige Szenerie des Waldstücks bei Nacht, das von dichten Nebelschwaden durchzogen wird – wie der ganze Fall, durch den sich Marlowe kämpfen muss, um Klarheit zu gewinnen. Während dieser Reise begegnet er Stereotypen aus dem Film Noir: die blonde Femme Fatale, die alle Männer um sich herum ins Unglück stürzt, den bösen Verbrecher, der Marlowe in die Quere kommt und überall Beziehungen zu haben scheint und der schwache, alte Mann, der auf eine Frau hereingefallen ist und im stärksten Moment des Films, dank der großartigen Darsteller, bemerken muss, wie einsam sein Leben ist und der hier in nur wenigen Minuten in einer Selbstfindung zum wahren Ich findet und seine ganze Existenz vor dem Abgrund stehen sieht. Marlowe muss aufpassen, in diesen Abgrund nicht auch noch zu stürzen.

Anmerkung: Dieser Film ist in Deutschland bislang (Stand: April 2011) noch nicht auf DVD erschienen.



(Anzeige)

8
von 10