Die Fantome des Hutmachers

Die Fantome des Hutmachers

(„Les fantomes du chapelier“, directed by Claude Chabrol, 1982)

“Don’t touch me… Don’t beat me… I’m giving in!“

Georges Simenon hat über vierhundert Romane geschrieben. Einer davon ist Die Fantome des Hutmachers, 75 weitere porträtieren die Ermittlungen eines der bekanntesten Ermittler der Literaturgeschichte. Sämtliche Romane um den Pariser Kommissar Maigret sind im Schweizer Diogenes Verlag erschienen, auf dessen Rückseite man mehr als einmal die Lobpreisungen der zahlreichen Feuilletonisten lesen kann, dass Simenon nicht nur der erfolgreichste Schriftsteller aller Zeiten war, da er aufgrund seiner Produktivität mehr zu verkaufen vermochte, als ein Kollege, der lediglich ein Buch in einem Jahr fertigstellen konnte. Simenon benötigte für einen Roman nie mehr als elf Tage und aufgrund der Pluralität seines Schaffens gehört er auch zu den meistverfilmten Schriftstellern aller Zeiten. Eine Erfolgsgeschichte, bei der es nur eine Frage der Zeit war, bis Claude Chabrol, einer von Frankreichs bekanntesten und am meisten geschätzten Regisseure, ein Werk dieses produktiven Mannes verfilmen sollte.

1982 nahm sich Chabrol des Thrillers Die Fantome des Hutmachers des belgischen Schriftstellers an und adaptierte die literarische Vorlage selbst. Für die Hauptrolle gewann man Michel Serrault, der in diesem Streifen eine exzellente schauspielerische Leistung ablieferte. Serrault spielt den verrückten Hutmacher, der in einem kleinen Städtchen einiges Ansehen genießt und sich mit Freunden jeden Tag zum Kartenspiel in einer noblen Kneipe trifft. Zu diesen Freunden und Bekannten gehört auch der Schneider Kachoudas (Pierre Brasseur), der sein Geschäft direkt gegenüber vom Hutmacher Léon Labbé innehat. Seit einiger Zeit verfolgt Kachoudas seinen Nachbarn, ohne sich dabei die geringste Mühe zu geben, dies zu verheimlichen. Labbé gibt sich gelassen und ist weit davon entfernt, sich darüber Sorgen zu machen, obwohl er alles andere als eine weiße Weste hat. Der Hutmacher ist der gefürchtete „Würger“, der in dieser Stadt sein Unwesen treibt und bereits fünf Frauen auf offener Straße umgebracht hat. Wie es der Zufall will, schöpfte Kachoudas beim fünften Mord Verdacht, um beim sechsten Mord Augenzeuge der Tat zu sein.

Labbé lässt sich nicht einschüchtern und sein Nachbar versucht das auch nicht, denn er weiß: er hat keinerlei Beweise gegen den Hutmacher in der Hand und niemand würde dem kleinen Schneider glauben, der etwas derartig Ungeheuerliches über Labbé verbreiten würde. Es ist ein skurriles Katz- und Mausspiel, das eigentlich gar keines ist. Kachoudas wird zum Schatten des Hutmachers, ohne selber zu wissen, was er damit erreichen will. Sein einziges Ziel ist es, mit seiner Familie ein ruhiges und geordnetes Leben zu verbringen. Doch der Hutmacher lässt ihm keine Ruhe, denn er mordet weiter. Die Abgründe hinter der Psyche dieses Mannes werden immer deutlicher, bis sich die Lage immer mehr verschlimmert und der Schneider plötzlich schwer krank wird…

Wie in allen Romanen Simenons, in denen es um Mord geht – seien es die Maigret-Erzählungen oder die sogenannten „psychologischen Romane“ – geht es nicht um die Frage, wer für einen Mord verantwortlich ist oder wie man diese Person zur Strecke bringt, sondern um die Beschäftigung mit verschiedenen Menschen, mit ihrem Charakter, ihren Schwächen, ihren Abgründen, ihren verdrängten Problemen. Dies bringt Chabrol gekonnt und zielsicher auf die Leinwand, indem er Michel Serrault ausreichend Spielraum für seine überzeugende Darstellung als geisteskranker Hutmacher lässt. Man erfährt Schritt für Schritt mehr über die Hintergründe und die Beweggründe dieser Person und letztendlich ist es das, was diesen Film am Leben hält und ihn immer wieder vorantreibt.

Eine derartige Geschichte, mag sie auch noch so beliebig klingen, bietet viel Spielraum für originelle Einfälle und in der Tat ist es skurril anzusehen, wie der Schneider Kachoudas dem Mörder Labbé auf den einsamen Straßen folgt, auf der Suche nach Beweisen, in der Hoffnung auf einen neuen Mord vor seinen Augen, den er zur Anzeige bringen kann. Dank der literarischen Vorlage verfällt Chabrol nicht in stereotype Klischees wie der des Erpressers, der dem Mörder Geld entlocken will. Kachoudas ist bescheiden, am liebsten möchte er nicht in diese Sache hineingezogen werden, doch er hat ein Gewissen, das ihm zu schaffen macht und das ihn nicht ruhen lässt. All die Charaktere sind glaubwürdig und realistisch gezeichnet, all das ist durchzogen von einer Aura des Unwirklichen, in der die Figuren teils wie Gespenster wirken. Unheimlich ist die Szenerie, weil ein Mord unspektakulär, ohne einen jeglichen Schrei oder ein Wehren vonstattengeht, während sich die Welt weiterdreht, als wäre nichts geschehen.

Auf der Basis des Charakters Labbé entwickelt sich ein Spiel aus Traum und Realität des Hutmachers, der allen Personen vormacht, seine Frau lebe seit 15 Jahren abgeschieden in einem Zimmer seines Hauses, während für den Zuschauer schnell klar ist, dass diese Frau längst nicht mehr existiert und nur noch ein notwendiges Relikt für die Fantasien des kranken Mannes ist. Trotz dieser vielen kleinen, interessanten Ansätze krankt Chabrols Film etwas zu sehr an seinem behäbigen Tempo, gibt sich gemütlich und lässt die Spannungskurve nur selten ansteigen, sodass der ganze Streifen fast im selben Rhythmus erzählt wird, was spätestens in der zweiten Hälfte etwas zu ermüden droht. Mit einem überzeugenden Michel Serrault und einem für Simenon typischen Finale schuf der Regisseur hier einen leicht überdurchschnittlichen Thriller, der nach den Verfilmungen Pierre Granier-Deferres (Der Zug, Der Sträfling und die Witwe, Die Katze) zu den besseren Adaptionen eines Romans des belgischen Schriftstellers gezählt werden darf.

Anmerkung: Der Film ist in Deutschland bislang (Stand: Februar 2011) noch nicht auf DVD erschienen.



(Anzeige)

7
von 10