Winterreise

Winterreise (2006)

(„Winterreise“ directed by Hans Steinbichler, 2006)

Hans Steinbichler konnte bereits mit seinem Debütfilm Hierankl die Kritiker begeistern und einen eignen Stil etablieren: Die Landschaft als Spiegelbild der Seele zu inszenieren ist dabei genauso charakteristisch für den Nachwuchsregisseur wie die Erforschung der meist verdeckten Antriebskräfte für das (zwischen-)menschliche Verhalten. In Winterreise greift Steinbichler auf den gleichnamigen Liederzyklus von Franz Schubert zurück. Schubert hat darin mit dem gleichen Stilmittel innerhalb der Musik wie Steinbichler im Kino gearbeitet – auch der Komponist hat Landschaften als Beschreibung seelischer Zustände und Emotionen verwendet.

Franz Brenninger (Josef Bierbichler) hat es zu Ansehen und Vermögen gebracht. Doch Brenninger stößt durch seine Launenhaftigkeit alle vor den Kopf. Mal stark und impulsiv, mal gefangen in sich selbst, steht ihm nur noch seine halb erblindete Frau Martha (Hanna Schygulla) bei. Als sein Unternehmen kurz vor der Pleite steht, lässt er sich auf ein zweifelhaftes Geschäft mit kenianischen Geschäftsleuten ein. Doch schon bald ist klar: Er steht vor dem Nichts. Wild entschlossen sich auf eigene Faust sein Geld zurückzuholen setzt Brenninger alles auf eine Karte und tritt mit der jungen Dolmetscherin Leyla (Sibel Kekilli) eine Reise nach Kenia an. Denn Martha braucht dringend Geld für eine Augenoperation, um das Augenlicht nicht vollständig zu verlieren.
Steinbichler inszeniert eine wilde emotionale Achterbahnfahrt, die den Zuschauer bis an den Rand treibt. Bierbichler (Das weiße Band) mimt in unnachahmlicher Art den stets fluchenden – Oarschlöcher!: Des san oalles Oarschlöcher! – und starrköpfigen Grandlhuber Brenninger.

Dessen urgewaltiger, eigensinniger und sozial aneckender Charakter begeistert durch einen Spagat zwischen künstlerischem Genie – Brenninger spielt und singt „Die Winterreise“ Schuberts – und exzessivem Trinker. Eine weitere Facette ist die depressive Ohnmacht, die Brenninger nach den Exzessen heimsucht und in ein tiefes emotionales Loch wirft. Der Film lebt vor allem durch die schauspielerische Leistung Bierbichlers, dessen Figur sozial, moralisch und emotional stets am Rande des Abgrunds agiert und die Sympathie des Zuschauers in einem Kraftakt erarbeitet. Inhaltich greift Steinbichler auf Schuberts Winterreise zurück, die von einer verlorenen Seele handelt. Die karge und kalte Winterlandschaft ist Ausdruck einer Depression. Wie im Film werden in dem Liederzyklus die ganz großen Themen wie Existenz und Tod philosophisch und psychologisch gedeutet.

Stimmung und Ästhetik erinnern an Filme wie Herz aus Glas (Werner Herzog), in dem ebenfalls Bierbichler die Hauptrolle spielt, oder Schlafes Bruder (Joseph Vilsmaier), weil in diesen Filmen eine Verschränkung von Realismus und Mystery stattfindet. Jedoch spielt Winterreise in der Gegenwart und bietet eine weitere Verschränkung, nämlich die von der Ersten mit der Dritten Welt. Bei der Realmusik handelt es sich um von den Schauspielern interpretierte Fassungen der Schubert-Lieder. Eine krasse Diskrepanz entsteht vor allem dann, wenn die musikalische „Winterreise“ mit der von Brenninger unternommenen Kenia-Reise – aber auch dort gibt es verlorene und menschenleere Landschaften zusammenprallt. Die Filmmusik wiederum überrascht durch rasante Gitarren-Noise-Klängen mit provokativen Texten, die auf eine Neuinterpretation des Schubert Klassikers schließen zum Beispiel die vielfach wiederholte Zeile „They say I‘m going insane“ gibt die „Winterreise“ in einem zeitgenössischem Ton wider.

Steinbichler ist eine energiegeladene Achterbahnfahrt gelungen. Die Story wird zwar sicherlich kein Meilenstein innerhalb der Filmgeschichte markieren, dafür ist Bierbichlers Leistung alleine schon das Anschauen wert. Hinzu kommt ein abwechslungsreicher Soundtrack. Beides zusammen sorgt für 96 Minuten kurzweilige und nachdenkliche Unterhaltung.



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