Suspiria

Suspiria (1977)

Inhalt / Kritik

„Suspiria“ // Deutschland-Start: 5. Mai 1977 (Kino)

Während Dario Argento 1975 seinen Giallo Profondo Rosso drehte, erzählte ihm seine Nebendarstellerin und damalige Lebensgefährtin Daria Niccoldi eine Geschichte von ihrer Großmutter, die als junges Mädchen ein Internat besuchte, das von Hexen geleitet wurde und in dem zur später Stunde Schwarze Messen abgehalten wurden. Das sollte die Inspirationsquelle und Initialzündung für Suspiria, einen der ambitioniertesten Horrorfilme, werden, der noch zwei – in der Qualität stark schwankende – Sequels (Inferno und La Terza Madre) nach sich zog und die zusammengenommen Dario Argentos Drei Mütter-Trilogie bilden.

Zur Handlung von Suspiria: Die junge Amerikanerin Suzy Banyon (Jessica Harper) kommt nach Deutschland, um an einer international renommierten Tanzakademie in Freiburg Ballett zu studieren. Suzy trifft während einer stürmischen und regnerischen Nacht am Flughafen ein, nach einer Taxifahrt mit einem übelgelaunten wie wortkargen Fahrer kommt sie an besagter Schule an. Gerade als sie das Taxi verlässt, flüchtet eine junge Frau (Eva Axen) schreiend und voller Panik, aus der Empfangspforte des gotischen Gebäudes. Die junge Frau klatscht Suzy bei ihrer Flucht quasi die Tür vor der Nase zu und Suzy erhält auch nach mehrmaligen Klingeln keinen Einlass. So beschließt  sie, vom anhaltenden Regen völlig durchnässt, mit dem Taxi das nächstgelegene Hotel zur Übernachtung aufzusuchen. Auf der Fahrt zum Hotel bemerkt sie noch die Junge Frau, die von purer Angst getrieben durch ein nahe gelegenes Waldstück rennt.

Als Suzy am drauffolgenden Tag erneut die Akademie aufsucht, wird sie von der strengen Tanzlehrerin Fräulein Tanner (Alida Valli) und der schleimigen Vize-Direktorin Madame Blanc (Joan Bennett) in Empfang genommen. Madame Blanc ist aber recht kurz angebunden, da sie gerade von der ebenfalls anwesenden Polizei über eine Schülerin befragt wird. Die besagte Schülerin wurde im Verlauf der gestrigen Nacht zusammen mit ihrer Freundin auf bestialische Weise in deren Wohnung ermordet. Suzy bemerkt sofort, dass es sich bei einem der Opfer um die panisch Flüchtende aus der vorherigen Nacht handeln muss und schildert den Polizisten sowie Madame Blanc ihre gestrige Beobachtung, das bringt die Herrn Polizisten aber anscheinend auch nicht sonderlich weiter.

Mit ihren Mitschülerinnen hat Suzy leider nicht das große Los gezogen. Sie sind allesamt ziemlich durchtrieben und hinterhältig. Einzig und allein in der unbeliebten Sara (Stefania Casini) findet Suzy eine Freundin. Beiden Mädchen ist die Tanzakademie irgendwie unheimlich, nur scheint Sarah mehr zu wissen, als sie im Moment noch zugibt.  Bei einer Unterrichtsstunde im Gelben Saal nimmt das Unheil dann auch seinen Anfang: Suzy, die kurz zuvor in einem der vielen Gänge des Hauses eine äußerst seltsame Begegnung mit dem finsteren Hauspersonal und dem merkwürdigen achtjährigen Neffen der Madame Blanc hatte, bricht während des Tanzes, aus der Nase blutend und entkräftet, zusammen. Der behandelnde Arzt, Professor Verdegast (Renato Scrapa) verordnet Suzy daraufhin strikte Ruhe und eine spezielle Diät (u.a. Rotwein!??).

Mit der strikten Ruhe wird es dann aber nichts. Als Suzy sich vorm Spiegel die Haare kämmt prasseln plötzlich unzählige Maden durch die Holzbohlen der Decke auf sie ein. Da der Maden-Regen alle Zimmer der oberen Stockwerke befallen hat und die Schülerinnen in Panik ausbrechen, wird der Rote Saal vom Personal kurzerhand zum provisorischen Schlafsaal umfunktioniert. Mitten in der Nacht, als alle zu schlafen scheinen, erfüllt ein bizarres Röcheln und Seufzen die verwinkelten Gänge des Hauses, die Geräusche kommen immer näher und etwas Unheimliches schleicht durch den Schlafsaal. Die zu Tode verängstigte Sara weckt Suzy und beginnt sich ihr zu offenbaren. Über einige mysteriösen Vorgänge in der Akademie. Über das Verschwinden einiger Schüler und über die geheimnisumwitterte Direktorin, die noch kein Schüler zu Gesicht bekommen hat…

Ab dem Zeitpunkt als Suzy von der modernen und fluoreszierenden  Sicherheit des Freiburger Flughafen (ist eigentlich der Münchner) ins Freie tritt, befindet sie sich in einer unwirklichen und bedrohlichen Welt, die in den Farben Rot, Gelb, Blau und Grün ertrinkt. Fast alles in Suspiria wird von diesen Farben bestimmt, selbst die Räume sind nach Farben benannt; es gibt den Blauen Salon, den Roten Saal usw. Eigentlich gibt es im ganzen Film nur eine – dafür aber hyperrealistisch anmutende – Szene, die diesen Farbenrausch aufhebt und somit einen starken und von Argento beabsichtigten Kontrast zum Film darstellt. Argentos  Ziel war es, die Farben von Walt Disneys Schneewittchen und die sieben Zwerge in Suspiria zu reproduzieren und hierfür wurde weniger auf Beleuchtung, sondern auf ein spezielles Film-Entwicklungsverfahren aus den Fünfziger Jahren gesetzt.

Abgesehen von den intensiven Farben ist Suspiria auch voll von Symbolen und Anspielungen auf Kunst, Literatur und Okkultismus; die üppigen Dekors wie z.B. die M.C Escher-Tapete sind dabei noch die offensichtlichsten. Alleine der Name des Films ist schon eine Anspielung auf die Literatur, genauer gesagt auf die Essay-Sammlung Suspiria de Profundis des englischen Schriftstellers Thomas de Quincey (Confessions of an English Opium Eater ). Der darin enthaltene Essay Levana and Our  Ladies of Sorrow erwähnt auch schon namentlich die drei Hauptfiguren der Mütter-Trilogie.

Thomas de Quincey ist außerdem für den Essay One Murder Considered as One of the Fine Arts verantwortlich. Der Titel beschreibt treffend, wie Argento die Gewalt in Suspiria in Szene setzt. Argento inszeniert seine blutigen Tötungen wie den Akt einer Oper und geht dabei keineswegs zimperlich vor, was besonders in der absurden ersten Mordsequenz deutlich wird, bei der Argento übrigens selbst den Killer gibt. Diese Szene gilt unter vielen Filmexperten als einer der besten Morde der Filmgeschichte. Bei all der harten Gewalt muss man aber auch sagen, dass Suspiria kein stumpfer Splatter-Movie ist. Ekelszenen wie z. B bei Filmen von Lucio Fulci oder Joe D’Amato  wird der Gorehound hier nicht finden und sich enttäuscht abwenden. Ein Großteil des eigentlichen Horrors geht dann auch vielmehr von der simplen aber sehr effektiven Theme aus, die Argento zusammen mit der Progressive-Rock Band The Goblins eingespielt hat. Die gruselige Score entstand vor den Dreharbeiten von Suspiria. Das brachte den Vorteil, dass Argento sie vor Ort am Set nutzen konnte, um, auf volle Lautstärke gedreht, den Schauspielern so ein Gefühl für die Grundstimmung des Films zu geben.

Beim Cast hat Argento sich auch nichts zu Schulden kommen lassen. Mit Alida Valli und Joan Bennett präsentiert er uns gleich zwei große Damen des klassischen Kinos. Die eine Europäerin, die andere Amerikanerin. Alida Valli führte schon damals in Der dritte Mann Joseph Cotten an der Nase herum, während Film-Noir femme fatale Joan Bennett viel mit Fritz Lang zusammenarbeitete und später mit der Mystery TV-Serie Dark Shadows nochmal zu spätem Ruhm kam. Die beiden verkörpern ihre Rollen in Suspiria mit Bravour. Die Hauptdarstellerin Jessica Harper entdeckte Argento in Brian de Palmas Phantom of the Paradise und für Suspiria ließ sie sogar Woody Allen für Der Stadtneurotiker sitzen. Ihr unschuldiges Aussehen passt zumindest exzellent zu Suspiria. Erwähnenswert wäre noch die Anwesenheit von Udo Kier als Frank Mändel und die von Schauspiel-Veteran Rudolf Schündler als Prof. Milius. Wirkliche Ausfälle gibt es im Cast dann auch nicht zu Entdecken. Viele Rollen sind mit unbekannten Darstellern besetzt, die teils zwar recht hölzern agieren, aber nicht den Gesamteindruck trüben können.

Suspiria ist ein blutiges Schauermärchen in expressiven Technicolor-Farben, das zwar einige Ungereimtheiten aufweist, diese aber mit starken Bildern und dichter Atmosphäre wieder ausgleicht. Gerade aus einigen Ungereimtheiten zieht der Film auch wieder seinen Reiz. Nicht alles ist eben mit Logik zu erfassen; zumal Argento seine Scripts auch nie wirklich logisch angeht. Eine seiner narrativen Techniken ist das automatische Schreiben am Script um Unterbewusstes und auch Träume in seine Filme einfließen zulassen. Des Weiterem wird dem Storyboard eine sehr hohe Priorität eingeräumt. Argento versucht, seine Geschichten mehr durch starke Bilder als durch einen wasserdichten Plot zu erzählen. Drehbuchautoren der konventionellen amerikanischen Schule, in der ein logischer Plot und lineare Erzählweise Bread & Butter sind würden sich die Haare raufen. Aber wie bereits gesagt üben die teils unlogischen bis abstrusen Wendungen sowie Argentos bizarre Fantasie und ästhetisches Gefühl einen großen Reiz auf mich aus; Gerade diese Eigenschaften sind die Quintessenz in seinem Opus und heben ihn deutlich von anderen Horror-Regieseure ab.

Bei Suspiria die Logik-Brille aufzusetzen macht demnach nicht viel Sinn und käme der Frage gleich, warum das dumme Mädchen in Grimms Rotkäppchen und der Wolf ihre eigene Großmutter nicht von einem haarigen Wolf unterscheiden kann.

Credits

OT: „Suspiria“
Land: Italien
Jahr: 1977
Regie: Dario Argento
Drehbuch: Dario Argento, Daria Nicolodi
Musik: Goblin, Dario Argento
Besetzung: Jessica Harper, Stefania Casini, Flavio Bucci, Miguel Bosé, Barbara Magnolfi, Susanna Javicoli, Eva Axén, Alida Valli, Joan Bennett, Renato Scrapa

Trailer

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