Yi Yi
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Yi Yi

„Yi Yi“ // Deutschland-Start: 14. Juni 2001 (Kino) // 18. Dezember 2025 (Kino Wiederaufführung)

Inhalt / Kritik

Die Jians sind eine Familie wie viele andere in der aufstrebenden Metropole Taipeh, der Hauptstadt Taiwans. NJ (Wu Nien-jen) ist Angestellter einer namhaften Softwarefirma, während seine Frau Min-Min (Elaine Jin) sich als Hausfrau um ihre gemeinsamen Kinder Ting-Ting (Kelly Lee) und Yang-Yang (Jonathan Chang) kümmert. Als nach der Hochzeitsfeier von NJs Kollegen A-Di (Hsi-Sheng Chen) Min-Mins Mutter einen Schlaganfall erleidet, verändert dies das Leben der Familie nachhaltig. Für den Familienvater hingegen ist es nur eine von vielen besorgniserregenden Entwicklungen in seinem Leben, denn schon lange hat er die Lust an seiner Arbeit verloren. Seine Kollegen – allen voran A-Di – sind ihm zu laut und chaotisch, weshalb ihn die Begegnung mit Sherry (Ko So-Yun) plötzlich mit seiner Vergangenheit konfrontiert. Zwischen den beiden entwickelt sich schnell eine innige Beziehung und NJ sieht die Möglichkeit, sein bisheriges Leben von Grund auf neu zu definieren.

Auch die übrigen Mitglieder der Jians suchen nach Wegen mit den Veränderungen in ihrem Leben fertig zu werden. Während Min-Min sich in den Buddhismus flüchtet, macht sich Ting-Ting schwere Vorwürfe wegen dem Zustand ihrer Großmutter. Darüber hinaus lernt sie die erste Liebe kennen durch den Freund einer Nachbarin, der ebenfalls mit diversen familiären Problemen zu kämpfen hat. Yang-Yang, das jüngste Familienmitglied der Jians, entdeckt derweil die Welt um sich herum neu – und zwar durch seine Kamera, mit der er alles und jeden filmt.

Das Bild einer Generation

Der Regisseur Edward Yang gilt als eine prägende Figur des taiwanesischen Kinos. Gemeinsam mit seinen Kollegen Hou Hsiao-hsien (The Assassin, Millennium Mambo) und Tsai Ming-liang (Days, The Night) bildete er die Taiwanese New Wave, die das Kino des Landes nicht nur neu dachte, sondern sich zugleich mit Themen wie Modernisierung, Geschichte und Entwurzelung befasste. Yi Yi gehört zu den zentralen Werken dieser Bewegung, unter anderem, weil sich die Themen der Bewegung in dem Familiendrama vereinen. Der 2007 verstorbene Yang begreift seinen Film als das Bild einer Generation sowie seiner kritischen Gedanken zu einer durch Digitalisierung und Globalisierung definierten Moderne. Die Familie spiegelt die Veränderungen dieser Zeit wider – die Ungewissheit, das Chaos und die Auflösung von Strukturen – und lässt zugleich Raum für Hoffnung, wenn ein Junge durch die Welt der Bilder sich die Wirklichkeit erschließt.

Das Familiendrama eignet sich von jeher als Porträt einer Generation sowie als Ausblick auf die Zukunft. In Yangs Filmen agieren die Familien jedoch nicht losgelöst von ihrer Umwelt, in diesem Fall der Stadt Taipeh. Die Kluft zwischen Tradition und Moderne, Chaos und Struktur zeichnet sich im Bild des urbanen Raumes ebenso ab wie in den Befindlichkeiten und Konflikten der Figuren. Yangs Interesse für Architektur und Design zeigt sich in seiner Herangehensweise an seine Figuren und die Orte seines Filmes, beispielsweise, wenn sich Ting-Ting und ihr neuer Freund das erste Mal küssen. Ihre Liebe findet Ausdruck unter einer Unterführung gegenüber dem Apartmentkomplex, in dem die Familien beider Jugendlichen wohnen – um sie herum geht der Verkehr der Großstadt einfach weiter. Das Bild der Großstadt erinnert an die Autoren der Neuen Sachlichkeit, die Gefühle ebenfalls im Einklang (und Kontrast) zum monotonen, industriellen Rhythmus der Metropole darstellen. Bei Yang gibt es keinen Gegensatz, denn das Gefühlsleben findet innerhalb der technisierten Welt statt – wenn auch versteckt. Visuell ist es Teil der „Symphonie der Stadt“ wie Autor Kent Jones es beschreibt.

Chaos und Struktur

Das bedeutet jedoch mitnichten, dass die Figuren nicht mit dieser Umwelt hadern. Ausgelöst durch den Schlaganfall eines Familienmitglieds werden sie konfrontiert mit dem Chaos der Welt, das plötzlich über ihnen hinein brechen kann. Die Figuren in Yi Yi machen sich auf eine Sinnsuche in einer Welt, die auf spirituelle oder emotionale Fragen nicht nur eine, sondern gleich eine Vielzahl an Antworten bereit hält, was naturgemäß das Chaos noch erweitert. Wu Nien-jens Figur sucht diesen Sinn in der Möglichkeit einer Beziehung, während Elaine Jin als Min-Min sich in Spiritualität und Religion flüchtet. Yang zeigt dabei immer auch die Fallhöhe dieser Figuren, die „sorgfältig nachdenken“ (NJ) müssen, bevor sie sich zu einer Veränderung in ihrem Leben entschließen. In Zeiten der immer weiter voranschreitenden Globalisierung und Digitalisierung kann man sich einen Fehler nicht erlauben. Das finanzielle Dilemma A-Dis, dessen kopfloses Handeln vor allem NJ irritiert, ist eine ständige Mahnung, dass das Chaos nicht einfach nur eine diffuse Größe, sondern immer ganz nah bei einem ist.

Wie schon in The Terrorizers zeigt Yang eine Welt, in der das Fehlen von Ritualen oder das Aushöhlen der noch übrigen zu einem spirituellen Vakuum geführt hat. Aufgrund des Mangel an Sinn verliert man sich in diversen Eskapaden oder man geht konstruktiv vor. Yang-Yangs Versuche, sich die Welt, die Menschen und ihre Beziehungen zueinander durch seine unermüdliche Suche nach neuen Motiven zu erklären, erscheint als ein konstruktiver (und bisweilen sehr komischer) Versuch, diesen Mangel auszugleichen. Er fotografiert die Insekten im Flur vor der Familienwohnung ebenso wie den Hinterkopf seines Onkels, weil er ihm helfen will (A-Di kann ihn ja nicht selbst sehen). Yang-Yang versucht zu verstehen, ist neugierig und zeigt auf, dass es dennoch möglich ist, sich einen eigenen Weg inmitten des Chaos zu ebnen.

Credits

OT: „Yi Yi“
Land: Taiwan, Japan
Jahr: 2000
Regie: Edward Yang
Drehbuch: Edward Yang
Musik: Keiichi Suzuki
Kamera: Yang Wei-han
Besetzung: Nien-jen Wu, Elaine Jin, Kelly Lee, Jonathan Chang, So-Yun Ko, Hsi-Sheng Chen

Bilder

Trailer

Filmfeste

Cannes 2000
Filmfest München 2000
Toronto International Film Festival 2000
International Film Festival Rotterdam 2001
Locarno 2007
Cannes 2025
Film Festival Cologne 2025

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Yi Yi
fazit
„Yi Yi“ ist ein Meisterwerk des taiwanesischen Kinos. Edward Yang gelingt das Porträt einer Generation und einer Zeit, die geprägt ist von der Suche nach Sinn inmitten von Technisierung, Globalisierung und dem Wegfall familiärer Strukturen. Man kann viel über die heutige Zeit und ihre spirituelle Krise lernen, wenn man die Filme Edward Yang sieht, wobei „Yi Yi“ sein Opus Magnum darstellt.
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