Der Trojanische Krieg ist vorüber, doch dessen listenreicher Held Odysseus ist immer noch nicht heimgekehrt. Erst 20 Jahre, nachdem er Ithaka gen Troja verlassen hatte, langt der sichtlich gealterte König (Ralph Fiennes) an der Küste an. Halbtod und von seinem Volk unerkannt wird er an den Strand gespült und vom Schweinehirten Eumaios (Claudio Santamaria) bei sich aufgenommen. Das Königreich liegt in Trümmern, Odysseus‘ Frau Penelope (Juliette Binoche) wird von einer Schar Freier belagert und bedrängt, einen von ihnen zum Ehemann und neuen König auszuerkiesen. Doch Penelope erwartet standhaft die Rückkehr ihres Mannes. Erst als die Freier, angeführt vom verschlagenen Antinoos (Marwan Kenzari), ihrem Sohn Telemachos (Charlie Plummer) nach dem Leben trachten, sieht sich Penelope zum Handeln gezwungen. Sie ruft einen Wettstreit aus. Ob sich auch der als Bettler verkleidete Odysseus daran beteiligen wird?
Des Königs neue Kleider
Homers Ilias und Odyssee sind in der westlichen Kultur allgegenwärtig. Beinahe 3000 Jahre nach ihrer Entstehungsgeschichte beschäftigen die zwei großen Versepen des griechischen Dichters immer noch die kreativen Köpfe dieser Welt. In Theater, Oper, Film und Fernsehen sind allein die Adaptionen der Odyssee Legion. Unter anderem schlüpften Kirk Douglas und Armand Assante in die Rolle des umherirrenden Königs von Ithaka. Stanley Kubricks Science-Fiction-Klassiker 2001: Odyssee im Weltraum ist, wie es bereits der Titel vermuten lässt, mit Anspielungen auf Homers Werk gespickt. Auch die Brüder Joel und Ethan Coen variierten in O Brother, Where Art Thou? die altbekannte Geschichte und versetzten sie vom antiken Griechenland ins Mississippi der 1930er-Jahre (weshalb ihre Musikkomödie in Deutschland den Zusatz „Eine Mississippi-Odyssee“ erhielt). Nun wagt sich der Regisseur Uberto Pasolini (Nowhere Special) an das Epos – und überrascht mit einigen unerwarteten künstlerischen Entscheidungen.
Der 1957 in Rom geborene Italiener richtet seinen Fokus auf die letzten Gesänge aus Homers Dichtung. Die von Pasolini gemeinsam mit John Collee und Edward Bond verfasste Handlung setzt erst nach dem Ende der Irrfahrt mit Odysseus‘ Ankunft in Ithaka ein. Ohne einen Fetzen Stoff am Leib wird der König an Land gespült, von einem wilden Hund angefallen und schließlich vom Schweinehirten Eumaios aufgenommen. Ralph Fiennes, der in seiner langen Karriere noch nie vor einer Herausforderung zurückschreckte, stürzt sich auch in diese Rolle furchtlos. Die geschundene Haut von Wind und Wetter verhärmt und die Seele von den Schrecken des Krieges gebrochen stellt sich der alte Mann seinem Königreich und der eigenen Vergangenheit.
Die Arbeit, die Fiennes vor Drehstart in seinen Körper gesteckt haben muss, ist enorm. Kein Gramm Fett lässt sich an seiner eingangs splitterfasernackten Erscheinung ausmachen. Und wenn er seine Feinde in Großaufnahme mit dem Schwert niederstreckt, dann springt dem Kinopublikum jede Ader an seinen drahtigen Körper von der Leinwand entgegen. Ohnehin sind die kleinen Einstellungsgrößen des Kameramanns Marius Panduru ein Höhepunkt dieses schön fotografierten Films. Der Regisseur weiß sie ebenso klug einzusetzen wie die naturalistischen Landschaftsaufnahmen, die die schroffen Gemüter der Figuren spiegeln.
Griechische Tragödie
Wieder zu Kräften gelangt und als Bettler verkleidet, schleicht sich Odysseus an seinem eigenen Königshof ein, um die verheerende Lage rund um die von Freiern belagerte Königin Penelope auszukundschaften. Anders als bei Homer erfährt der Held unter Pasolinis Regie bei diesem Unterfangen aber keine Unterstützung von der Göttin Athene. Wie Rückkehr nach Ithaka überhaupt weder übernatürlich-göttlich noch heldenhaft ist. Viele frühere Verfilmungen oder Variationen des antiken Stoffs fokussierten sich verständlicherweise auf die sprichwörtlich gewordene Irrfahrt. Schließlich bergen die Episoden rund um die Zyklopen, Circe, die Sirenen oder Kalypso das größte Unterhaltungspotenzial. An einem Abenteuerfilm alter Schule, wie ihn womöglich auch Christopher Nolan mit seinem neuen Megaprojekt Die Odyssee im Juli 2026 abliefern wird, ist Pasolini aber nicht interessiert. Stattdessen hat er eine klassische griechische Tragödie mit Bezügen zur Gegenwart gedreht.
Der Italiener mit dem in der Filmwelt wohlvertrauten Nachnamen hat tatsächlich einen bekannten Regisseur in seiner Familie. Es handelt sich allerdings nicht um Pier Paolo Pasolini (1922–1975), sondern um Luchino Visconti (1906–1976), dessen Großneffe mütterlicherseits Uberto Pasolini ist. Für das Gelingen dieses Films ist die berühmte Verwandtschaft jedoch ebenso wenig von Belang wie das kleine filmische Großereignis, dass Ralph Fiennes und Juliette Binoche zum ersten Mal seit Der englische Patient wieder gemeinsam vor der Kamera stehen. Ausschlaggebend ist der realistische Ansatz. Pasolini macht aus Odysseus keinen listenreichen Helden, sondern einen gebrochenen Soldaten. Einen Mann, der im Krieg keine Heldentaten vollbracht, sondern Gräuel verübt hat. Um seine Familie zu retten, muss er diese hässliche Seite seines Ichs ein letztes Mal auferstehen lassen. Dabei geht es ernst, körperlich und blutig zu. Ganz am Schluss steht die Hoffnung, dass der König seine Waffen ein für allemal niederlegen und in neue Gewänder schlüpfen kann. Dem Kinopublikum bleibt die Erkenntnis, dass die Heldengeschichten, die wir einander erzählen, in Wahrheit viel düsterer sind, als wir uns weismachen.
OT: „The Return“
Land: Italien, Griechenland, UK, Frankreich
Jahr: 2024
Regie: Uberto Pasolini
Drehbuch: John Collee, Edward Bond, Uberto Pasolini
Musik: Rachel Portman
Kamera: Marius Panduru
Besetzung: Ralph Fiennes, Juliette Binoche, Charlie Plummer, Marwan Kenzari, Claudio Santamaria, Ángela Molina
Ihr wollt mehr über den Film erfahren? Wir hatten die Gelegenheit, uns mit Regisseur Uberto Pasolini zu treffen. Im Interview spricht er über die langwierige Arbeit an Rückkehr nach Ithaka, die universellen Themen von Homers Odyssee und wie Kriege Menschen dauerhaft zerstören können.
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