Das Glück der Tüchtigen
© Mizzi Stock Entertainment / 2Pilots Filmproduction

Das Glück der Tüchtigen

Das Glück der Tüchtigen
„Das Glück der Tüchtigen“ // Deutschland-Start: Winter 2025 (Kino)

Inhalt / Kritik

Mit knapp 30 hat es Mira (Katharina Derr) schon zu etwas gebracht. Privat läuft es gut mit Ehemann Tarik (Leonidas Emre Pakkan) und den beiden Töchtern Laila (Rona Regjepi) und Estelle (Alexandra Huber). Zudem hat sie gerade die Leitung einer Supermarktfiliale übernommen. Vor der trifft sie zufällig und nach langer Zeit ihren Stiefvater Robert (Àlex Brendemühl) wieder, den Ex ihrer Mutter Maren (Marie-Lou Sellem). Robert ist selbst Unternehmer und weiß, welche Herausforderungen eine Existenzgründung mit sich bringt. Großzügig bietet er der ehemaligen Stieftochter ein zinsloses Darlehen über 80 000 Euro an. Dumm nur, dass Ehemann Tarik das Geld ungefragt in Kryptowährung investiert und dabei auf Betrüger hereinfällt. Mira traut sich nicht, Robert die Wahrheit zu sagen. Auf betretenes Schweigen folgen Unwahrheiten und letztlich eine ganzes Kartenhaus von Notlügen, das kurz vor dem Einsturz steht. Einfühlsam und ohne moralischen Zeigefinger betrachtet Regisseur Franz Müller die junge Frau beim Herumlavieren – und mischt eine ganze Reihe von Herkunfts- und Kulturkonflikten in seine präzise Alltagsbeschreibung.

Vornehme Herablassung

Zu Besuch bei der Mutter. Eine von deren Freundinnen ist auch da und erkundigt sich nach Miras beruflicher Tätigkeit. Wirklich? Eine ganz normale Supermarktfiliale? Die bildungsbürgerlich-vornehme Dame kommt aus dem Kichern kaum mehr heraus. „Ich wusste gar nicht, dass du so praktisch veranlagt bist“, sagt sie dann voller Herablassung. Als wäre das nicht genug, setzt die eigene Mutter noch einen drauf. „Immer nach unten orientiert“ habe sich Mira, sagt Maren und spielt damit auf Ehemann Tarik an, der früher sein Geld als Rapper verdiente und ein Tattoo unter dem Auge trägt. Nicht nur ums Lügen geht es also in diesem Familiendrama, sondern um tief sitzende Vorurteile gegenüber Leuten, die ihr Geld nicht mit Büchern, Vorlesungen oder anderen kreativen Tätigkeiten verdienen. Das ist erfreulich, denn „ganz normale“ Berufe finden sich eher selten im Kino. Schließlich stammen auch Filmemacher überwiegend aus bildungsbürgerlichen Familien. Regisseur Franz Müller, der vor seiner Filmkarriere an der Kunstakademie bei Gerhard Richter und Oswald Wiener studiert hatte, zieht in seinem neuen Film den Hut ganz gezielt vor den „Tüchtigen“, die mit Fleiß und Beharrungskraft das Land am Laufen halten.

Dabei kommt ihm gelegen, dass Hauptdarstellerin Katharina Derr (Der letzte Mentsch, 2014) im realen Leben tatsächlich schon eine Drogeriemarktfiliale geleitet hat. Mit ihr schließt sich auch der Kreis zu Müllers Film Die Liebe der Kinder (2009), von dem Das Glück der Tüchtigen eine verspätete Fortsetzung ist. Nicht nur Katharina Derr, die sich damals mit 16 in ihren Patchwork-„Bruder“ Daniel (Tim Hoffmann) verliebte, ist wieder mit dabei, sondern auch Àlex Brendemühl und Marie-Lou Sellem, deren Charaktere vor 16 Jahren eine wechselhafte, von der Anziehung des Gegensätzlichen geprägte Beziehung eingingen. Zugleich erzählt der neue Film eine komplett davon unabhängige Geschichte, der man auch ohne Kenntnis des Vorgängers folgen kann.

Sinn fürs Peinliche

Vergleichbar, auch mit anderen Filmen von Franz Müller, ist allerdings die Machart der Fortsetzung: möglichst nah am echten Leben, mit teils improvisierten Dialogen und ohne zugespitzte Dramatisierung. Vieles wird erfreulicherweise nicht ausbuchstabiert, sondern lediglich angerissen. Auf diese Weise lässt sich in den Grundplot um das Lügen eine ganze Reihe von aktuellen gesellschaftlichen Beobachtungen einflechten, fast immer mit einem feinen Sinn fürs Peinliche und Komische. Etwa, wenn die berühmte Frage an Menschen mit Migrationshintergrund, woher sie eigentlich stammen, ausgerechnet von einer Kolumbianerin gestellt wird. Oder wenn das Geschäftskauderwelsch aus Englisch und Marketing-Sprech recht eindeutig an der sexuellen Nötigung entlangschrammt. Das ist alles so direkt aus der Realität gegriffen, dass man es vielleicht auch im Café um die Ecke oder an irgendeiner Hotelbar unfreiwillig mithören könnte.

Trotzdem gibt es einige sehenswerte dramatische Höhepunkte. Etwa wenn die sonst so beherrschte Mira einmal richtig ausrastet. Oder wenn der Druck auf sie derart wächst, dass die Belastung einer alleinerziehenden Mutter (ihren Ehemann hat sie vor die Tür gesetzt) allein schon beim Zuschauen unter die Haut geht. Aber letztlich nutzt der Film die Angeln, die er auslegt, nicht zu einer Steigerung, aus der sich auch komödiantisch Kapital schlagen ließ. Das ist schade, weil die Geschichte um immer neue Verstrickungen und Notlügen eigentlich eine Temposteigerung und Zuspitzung hergibt – oder sogar danach schreit. Aber auf eine Komödie wie seine Mark-Twain-Verfilmung Die Tagebücher von Adam und Eva (2023) wollte sich Franz Müller dieses Mal nicht einlassen. Nun bleibt abzuwarten, was der dritte Film über das weitere Schicksal der ehemaligen Patchwork-Familie bringen mag, der nach Angaben des Regisseurs schon in Vorbereitung ist.



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Das Glück der Tüchtigen
fazit
„Das Glück der Tüchtigen“ erzählt einfühlsam und realitätsnah von den Menschen, die unser aller Leben am Laufen halten, auch wenn wir ihre Tätigkeiten manchmal als bloßes Geldscheffeln abtun. Regisseur Franz Müller verfolgt das Schicksal von drei Figuren aus seinem 16 Jahre alten Spielfilm „Die Liebe der Kinder“ weiter. Und lässt die damals 16-jährige Katharina Derr nun als Hauptdarstellerin glänzen.
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