Einem Klischee nach geht es im Actiongenre nur um visuelle Werte. Gekonnte Stunts, Explosionen und markante Helden sind Aspekte, die hierbei eine Rolle spielen. Über die Jahre hat das Genre sich jedoch immer weiterentwickelt. Ausgehend von den genannten Punkten setzen in den 1980ern Filme wie Terminator, Predator oder Rambo neue Standards im Genre, während sich die Hollywood-Actionfilme der 90er sich erzählerisch und ästhetisch ein Beispiel an den Hongkong-Filmen eines John Woo nahmen. Im Jahr 2025 ist der Anspruch an das Genre gestiegen, denn abgesehen von den erwähnten Punkten ist es auch die Welt, in der sich der Protagonist eines Actionfilmes bewegt, die wichtig ist, da von ihr viel von der Faszination des Filmes ausgeht.
In diesem Zusammenhang hat das John Wick-Franchise sicherlich dazu beigetragen. Aktuell kann man sich vom World Building der Reihe wieder im Kino überzeugen, denn seit dem 5. Juni 2025 läuft mit From the World of John Wick: Ballerina, der nunmehr fünfte Film der Reihe in den Lichtspielhäusern. Durch die Augen der Auftragskillerin Eve Macarro (Ana de Armas) lernt der Zuschauer die unterschiedlichen Untergruppierungen, Verbünde und Codes einer Welt kennen, die teils Fiktion ist, sich aber zugleich auf religiöse oder kulturgeschichtliche Zusammenhänge bezieht. Im Gegensatz zu dem von Keanu Reeves gespielten John Wick kennt Eve noch nicht so viel von dieser Welt, weshalb man als Zuschauer zusammen mit ihr viele dieser unterschiedlichen Aspekte dieses Universums (nochmals) kennenlernt.
Anlässlich des Kinostarts von From the World of John Wick: Ballerina blicken wir von Moviebreak und film-rezensionen.de auf die wichtigsten Gruppierungen innerhalb des John Wick – Universums. Dabei verdeutlichen wir, wie verschiedene Aspekte wie beispielsweise Licht- und Farbeinsatz oder Symbole diese Welt weiterdenken und diverse, sehr aktuelle Lesarten zulassen.
Das Continental ist überall
Bereits der erste Film des Franchise führt den Zuschauer in die Welt des Continental ein. Auch in Ballerina ist das Continental eine feste Größe und die erste Anlaufstelle Eves, um ihren Racheplan zu beginnen. Hotelmanager Winston Scott (Ian McShane) fungiert dabei für Eve wie auch für John als eine Art Mentorfigur, die aber immer eine ganz eigene, bisweilen undurchsichtige Agenda verfolgt. Durch seine Abhängigkeit von der Hohen Kammer, einer mysteriösen Gruppierung, die im Hintergrund die Fäden zieht und schier unglaubliche Macht für sich beansprucht, ist er an einen rigiden Kodex gebunden. Charon (Lance Reddick), der Concierge des Continental, fungiert dabei als wichtige Verbindung zwischen der Welt außerhalb der Hoteltüren und dem Regelkodex dieses Etablissements. Ähnlich dem Fährmann aus der griechischen Mythologie geleitet er die Gäste des Hotels in die Welt des Hotels und damit die der Hohen Kammer.
Auch wenn die Hohe Kammer noch weit über das Continental hinausgeht, ist das Hotel samt seiner Zweigstellen dessen direkte Repräsentanz. Das Innere des Continental in New York, in dem wir uns in allen Filmen der Reihe am längsten aufhalten, ist visuell gespickt mit unterschiedlichen Referenzen. Neben dem bereits erwähnten Verweis auf die griechische Mythologie finden wir Anspielungen auf die Kirche sowie der Hierarchie eines global players, einer Firma also, die weltweit ihre Beziehungen hat und ihren Einfluss auf das politisch-wirtschaftliche Geschehen besitzt. Die Mischung aus diesen beiden Welten macht den Reiz des Continentals aus, dessen Manager sich immer wieder auf die Hierarchien und Codes des Hohen Kammer bezieht und im Prinzip funktioniert wie eine besonders aggressiv vorgehende Firma.
Vieles deutet auf eine Nähe zur Institution Kirche hin. Neben Begriffen wie „excommunicado“ ist es auch die Symbolik, beispielsweise in den Tätowierungen oder im Interieur des Continentals, die solche Rückschlüsse zulässt. Der Bezug auf feste Riten, wie beispielsweise als Eve ihre Tätowierungen erhält, als Zeichen der Zugehörigkeit zu dieser Welt, oder das Kruzifix, mit dem sich John Wick die Hilfe der Ruska Roma sichert, sind weitere Indizien.
Interessanter wird die Filmreihe jedoch, wenn man die Continentals als Zweigstellen einer mächtigen Firma, eines global players betrachtet. Die Einrichtung als Mischung zwischen Moderne und Vergangenheit, die nicht minder elegante Garderobe der Charaktere und vor allem die klare Hierarchie innerhalb der Hohen Kammer lassen diese Welt wie das Abbild einer Unternehmensstruktur wirken. Das New Yorker Continental wirkt wie eine Parallelwelt, die kein Normalsterblicher wahrnimmt, deren Einfluss aber mehr als deutlich ist. Man denke allein an die beeindruckende Szene gegen Ende von John Wick: Kapitel 2, als auf einmal alle Passanten auf John blicken und Winstons Worte betonen, Wick werde von nun an nicht mehr sicher sein und es wäre an der Zeit fortzulaufen.
The Soup Kitchen – The Bowery
Die wohl mysteriöseste Organisation in der Welt von John Wick ist die spezielle Teilorganisation der Killer-Gilde, welche vom „Bowery King“ (Laurence Fishburne) gegründet wurde. Die Bowery selbst ist indes eine im Süden Manhattans gelegene Straße und Umgebung. Historisch betrachtet eine Gegend, in der arme Familien wohnen, genießt die Bowery keinen guten Ruf, auch wenn sich dies durch die Wiederbelebung des Bezirks seit den 1970ern und der fortschreitenden Gentrifizierung seit den 2000ern geändert hat.
Während die Continentals im jeweiligen Glanz ihrer Städte erstrahlen – ein Flair wie New York, das Esprit von Rom oder die moderne von Tokyo – sind sie regelrecht unsichtbar. Sie leben im Big Apple auf der Straße, in der U-Bahn Station, auf Plätzen mit Schlafsäcken und Zelten und sind so für den normalen Blick völlig verborgen. Sie sind als obdachlose Bettler getarnt oder sind es tatsächlich. Doch genau dies ist ihr Vorteil: In der kargen grauen Welt – ohne jeglichen Luxus – fallen sie ebenso wenig auf, wie ihre große Anzahl in New York. Sie sind überall, hoch ausgebildet, professionell, schnell und vor allem tödlich. Ihre Unsichtbarkeit ist dabei ihr größtes Gut: Denn sie können so hervorragend spionieren. Und statt auf moderne Technik zu setzen, ist es ihr Einfallsreichtum und sogar Brieftauben, die es ihnen erlauben schnell ohne Möglichkeit des Abhören Informationen auszutauschen. Visuell interessant sind die Parallelen und Unterschiede zwischen der Welt des Continentals und der des Bowery Kings. Obwohl die von Aspekten wie die Lichtgebung her sehr ähnlich sind, dominieren in der Welt von Laurence Fishburnes Figur die Armut, der Dreck und damit die Finsternis. Darüber hinaus strahlt diese Welt eine deutliche Verbindung zur Geschichte New York aus, dem Mekka der Einwanderer, die davon träumten, ihr Stück vom amerikanischen Traum in der Großstadt zu finden, doch mehr als einmal bitter enttäuscht wurden.
Ich bin die Bowery! Ich bin alles, was Sie nicht anzusehen geruhen, wenn Sie nachts die Straße entlanggehen. Die Bowery gehört mir. Mir allein.“ Der Bowery King
Es ist indes wenig darüber bekannt, wie die Bowery – und hier vor allem ihr König – so mächtig geworden ist und neben dem High Table bestehen konnte. Doch eine gewisse Angst ist vorhanden. Im Universum von John Wick sind es dabei die passenden Untergrund-Grau-Töne, die der Gruppierung ihren Stil verleihen. Ob wir noch weiter in ihre eigene Welt eintauchen können, bleibt wohl ein gewisses Rätsel. Sie sind zumindest eine Größe (immerhin in New York), die es nicht zu unterschätzen gilt. Die Interaktionen des Kings mit der Richterin der Hohen Kammer in John Wick: Kapitel 3 sprechen eine deutliche Sprache, denn man bekommt zu verstehen, dass die Existenz des Kings und seiner Organisation geduldet wird und man nur auf den richtigen Moment wartet, die Bowery dem Machtbereich der Hohen Kammer beizufügen. Die Frustration und die Wut von Laurence Fishburnes Figur für die Jahre der Demütigung und des Ignoriert-Werdens seitens der Hohen Kammer wird in John Wick: Kapitel 4 deutlich, wenn er John dabei hilft, gegen jene Herrschaften vorzugehen, die ihnen dieses Unrecht angetan haben. John Wick holt sich mehr als einmal Hilfe von der Bowery und genießt hier einen gewissen Respekt. Dies kommt auch nicht von ungefähr: Außenseiter halten immer zusammen!
Die Ruska Roma
Die Ruska Roma sind die größte Untergruppe der Roma in Russland und Weißrussland (mit Außenstellen wohl in den größten wie wichtigen Städten der Welt – so auch New York). Als mächtige kriminelle Organisation mit ihrem Hauptsitz in Deutschland ist sie eine der zwölf Organisationen, die einen Sitz am High Table innehaben. Allerdings ist ihr Ansehen wohl nicht das größte: Als zweitklassiger Sitz werden sie beschrieben. Doch ihr Stil ist wohl einmalig: Tattoos, ein brachiales Aussehen und ein gewisses Underground Flair sind überall zu sehen. Aber auch eine gewisse Sowjet-Optik. Und auch wenn diese recht Klischeehaft erscheinen mag, hat sie natürlich ihren Ursprung und setzt sich in dieser Organisation fort und lebt. Gleichzeitig – und hier haben wir den Zirkel zu Ballerina – gibt es das (scheinbare) zerbrechliche in Form des Ballett. Eine Tarnung für absolut tödliche Killerinnen, die gnadenlos ihre Aufträge vollbringen und töten (ähnlich wie der rote Raum im MCU).
John Wick, der ehemalige Name Jardani Jovonovich, ist ein ehemaliges Mitglied der Ruska Roma und wurde von ihnen ausgebildet, kehrt in Folge der John Wick Filme auch zurück und sucht dort nach Hilfe. Wichtig hierbei ist, dass die Direktorin (Anjelica Huston) das Oberhaupt der Ruska Roma ist und eine gewisse Mutterfigur für John Wick darstellt. In John Wick: Kapitel 4 wird seine ehemalige (Killer)-Heimat dann zur entscheidenden Lösung im Kampf gegen die alte Struktur. Wie es aber wirklich in der Welt der Ruska Roma – und ihrem düsteren mit Neonlicht beleuchtetem Inneren – aussieht, erfahren wir erst im Kino mit From the World of John Wick: Ballerina und Ana de Armas.
Fazit
Von John Wick im Jahre 2014 zu Ballerina war es ein weiter actionreicher Weg. Und auf diesem Weg hat sich das Franchise grundlegend geändert: Wo einst Keanu Reeves auf Rachetour gegangen ist, wurde eine Welt aufgebaut, die ihre ganz eigenen faszinierenden Regeln kennt. Ihre eigenen verborgeneren Machtstrukturen, Hierarchien und Gesetze. Eine richtige Religion, ein unumstößliches Diktat, welches eine brachiale wie brutale Welt zusammen hält und Killer in ihre Rollen zwängt. Doch der Kampf innerhalb dieser Rollen, Klassen und Welten ist stetig und offenbar. Chad Stahelski hatte unterdessen neben seiner Vision der Action, auch immer einen gewissen Stil im Blick. Eine Farbstimmung, eine Lichtstimmung, einen Style, der sich wie ein roter Faden durch das Franchise zieht. Egal ob kulturelle Continentals, verborgene graue wie unsichtbare Bowery oder die Ruska Roma mit ihren Tattoos, Ostblock-Ambiente und der Neonfarbenpracht. John Wick steht schon längst nicht mehr nur für ausufernde coole Action. Es ist eine Welt, in der man sich verlieren kann und in der uns noch viel mehr erwarten wird. Von Ballerina, über Caine (Donnie Yen) bis zu John Wick: Kapitel 5.
Der Text ist in Zusammenarbeit mit Thomas Repenning von moviebreak.de entstanden.
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