We Live Here
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We Live Here

We Live Here
„We Live Here“ // Deutschland-Start: nicht angekündigt

Inhalt / Kritik

Eine bärtige weiße Ziege steht auf einer verfallenen Mauer inmitten der kasachischen Steppe, hinter ihr der Ortsname „Myrzhyq“ in hellblauen Buchstaben auf einem kargen Hügel. Ältere Bäuerinnen und Bauern verrichten ihre Arbeit im Kuhstall, ein jüngerer Mann pumpt Wasser aus einem Brunnen, eine Pferdeherde galoppiert durch die Prärie. Alte sowjetische Relikte sind zu sehen, es herrscht eine ruhige Atmosphäre – in Zhananas Kurmashevas Dokumentation scheint die Zeit stillgeblieben zu sein. Was in den folgenden 80 Minuten aufgedeckt wird, ist die giftige Vergangenheit der beschaulichen Umgebung: Bis 1991 war dies ein atomares Testgelände namens „Semipalatinsk“ bzw. „Polygon“, worunter die Bewohnenden bis heute leiden.

Die Folgen von „Polygon“

Wenn nicht gerade die simple Idylle des Ortes gezeigt wird, mutet das Umland postapokalyptisch an; immer wieder streifen Personen in Ganzkörperschutzanzügen durch die Steppe, vermessen die bestehende Strahlung oder prüfen das Wasser in den Kratern, die etliche Atombombentests hinterlassen haben. Kurmasheva taucht in die tragischen Sorgen einer Familie ein, in der der Vater hinter die Gründe der Krankheit seiner Tochter kommen möchte, sie zumindest offiziell anerkannt haben möchte. Das Mädchen leidet an aplastischer Anämie, eine mögliche Folge der radioaktiven Verseuchung der Gegend und leider nicht unüblich. Doch weder die Medizin noch der Staat möchten offen zugeben, dass das das Resultat menschlicher Zerstörungswut sein könnte, nicht einmal Studien werden diesbezüglich durchgeführt.

Eindringlich und bildgewaltig wechselt We Live Here zwischen Mikrokosmos und dem großen Ganzen, mal in Close-ups, mal mit weitläufigen Drohnenshots, die durchgehend ansehnlich sind und eine klare kinematographisch komponierte Handschrift besitzen. Die Klimax des Crescendos bilden Aufnahmen von Atombombenexplosionen selbst, die das Bild in ein bedrückendes, alarmierendes Schwarz-Blau tauchen – auch nach Oppenheimer scheint die sich entfesselnde nukleare Kraft auf der Leinwand völlig absurd und unvorstellbar zu sein, nicht ansatzweise in ihrer Intensität einfangbar. Die Stimmung, die dadurch transportiert wird, ist allerdings eindeutig: Nicht nur wurde der Natur irreparabler Schaden zugefügt, auch die Lebensqualität der Menschen wird über Generationen beeinträchtigt.

Atomare Zerstörungskraft

We Live Here wirft einen breiten Blick auf ein kleines Dorf mit großer Historie, großen Problemen. Es ist eine wahre Geschichte, die ansonsten wohl kaum einem internationalen Publikum präsentiert werden würde, mit all ihren Facetten; so erfährt man einerseits vom Alltag und von familiären Tragödien, andererseits von der Resilienz der lokalen Bevölkerung. Der Vater gibt nicht auf, Gerechtigkeit und Verantwortung für die Krankheit seiner Tochter einzufordern. Ein älterer Mann erzählt von früher bestehenden Protestbewegungen gegen die Atomtests und allgemein Nuklearwaffen.

Allein für diese Art der Aufklärung ist die Existenz dieser Dokumentation bedeutsam, für die Porträtierung der einzelnen Schicksale mitten im Nirgendwo sowie für die wunderschöne Darstellung der kasachischen Steppe mit ihrer Tierwelt. Dennoch macht Kurmasheva den Fehler, den so einige Filme machen, die aus westlicher Perspektive aus oftmals übersehenen Regionen stammen: Es wird versucht, einen allzu umfassenden Abriss verschiedenster, tiefgreifender Problematiken abzubilden, sie mit dem aktuellen globalen Säbelrasseln zu verbinden und alle möglichen Informationen darin zu verpacken. Dies ist zwar so dringlich wie schon lange nicht mehr, nimmt jedoch etwas den Fokus von der eigentlichen Erzählstruktur.

Credits

OT: „Atameken“
Land: Kasachstan
Jahr: 2024
Regie: Zhanana Kurmasheva
Drehbuch: Zhanana Kurmasheva
Musik: Akmaral Mergen
Kamera: Kuanysh Kurmanbayev

Bilder

Trailer

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We Live Here
fazit
Zhanana Kurmashevas Dokumentation „We Live Here“ gibt dem ökologisch-menschlichen Unheil, das Nukleartests in der kasachischen Steppe auslösten, eine detaillierte, optisch ausgezeichnete Bühne, bemüht sich aber zu sehr, die Geschichte im Rahmen eines derzeit drohenden Atomkriegs zu kontextualisieren. Die Message ist ehrbar, nimmt allerdings der zugrundeliegenden Thematik die Tiefe. Darüber hinaus sollte dem Publikum mehr eigene Recherchearbeit zugetraut werden.
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