Joan Baez I Am A Noise
© Alamode Film / Albert Baez / Daniel Kramer / Matt Heron

Joan Baez: I Am A Noise

„Joan Baez: I Am A Noise“ // Deutschland-Start: 28. Dezember 2023 (Kino)

Inhalt / Kritik

Es scheint irgendwie Gesetz zu sein: Wer lange genug dabei ist im künstlerischen Bereich, der bekommt irgendwann seinen eigenen Dokumentarfilm. Joan Baez war sicherlich lang genug dabei: In den 1960ern nahm sie ihre ersten Alben auf, feierte auch schon früh Erfolge. Bis ins hohe Alter stand sie auf der Bühne. Die Erfolge wurden mit der Zeit natürlich geringer, lange nahm man kaum noch Notiz von ihr. Immerhin, ihr bislang letztes Album Whistle Down the Wind, das 2018 nach einer zehnjährigen Pause erschien, schaffte es wieder in die Charts. Hierzulande reichte es sogar für die Top 10, zum ersten Mal in ihrer Karriere. Es gibt also zweifelsfrei ein Publikum für Joan Baez: I Am A Noise, nach Joan Baez – How Sweet the Sound der zweite Dokumentarfilm, der auf das bewegte Leben der Sängerin zurückblickt.

Ehrlicher Blick in die Abgründe

Fans werden dennoch überrascht sein, das Ergebnis entspricht nicht so ganz den Erwartungen. So spricht Baez zu Beginn ihrer Zeitreise erstaunlich offen darüber, dass Künstler und Künstlerinnen ab einem gewissen Alter nicht mehr gefragt sind. Das mache es besonders schwierig, wenn der Erfolg in frühen Jahren kommt, weil man in dem Alter auf eine nachlassende Popularität nicht eingestellt ist. Und auch in einer anderen Hinsicht werden in den ersten Minuten offensichtliche und zugleich schwierige Wahrheiten angesprochen: Die Stimme im Alter ist nicht mehr dieselbe. Die höhen Töne, welche die Sängerin als Teenagerin so spielend leicht meisterte? Sie sind unerreichbar geworden. Das unbekümmerte Talent in den 60ern ist in Joan Baez: I Am A Noise zu einer harten Arbeit geworden, Gesangsunterricht inklusive.

Überhaupt hebt sich der Dokumentarfilm wohltuend von vielen anderen ab, die über Künstler und Künstlerinnen produziert werden. Meistens handelt es sich dabei um filmische Lobpreisungen, bei denen mehr oder weniger prominente Fans sagen dürfen, warum die porträtierte Person wahnsinnig toll ist. Bei Joan Baez: I Am A Noise ist das anders. Nicht nur, dass es so gut wie keine anderen Leute gibt, die hier interviewt werden, sondern Baez selbst auf dem Leben erzählt. Sie nimmt zudem kein Blatt vor den Mund, erzählt offenherzig von den Höhen wie den Tiefen. Für viele wird beispielsweise schockierend sein, wie kompliziert ihr Familienleben war, Missbrauchsvorwürfe und psychische Erkrankungen inklusive. Tragisch ist insbesondere die Geschichte um ihre jüngere Schwester Mimi, die zahlreiche Kämpfe auszutragen hatte.

Sehens- und hörenswerte Zeitreise

Der Zugang erinnert an den bei Robbie Williams vor einigen Wochen. Auch dort war es die porträtierte Person, die das eigene Leben kommentiert und dies auf eine bemerkenswert ehrliche und selbstreflektierte Weise tut. Und noch etwas haben beide Produktionen gemeinsam: Sie funktionieren als Zeitporträt. So hat Joan Baez: I Am A Noise einiges über die Anfänge der Karriere zu sagen, als Baez ihre Stimme nutzte, um auch gesellschaftliche Themen anzusprechen. Da ging es beispielsweise um die Rassentrennung oder auch den Vietnamkrieg. Die Sängerin war immer Teil von Protestbewegungen. Weniger interessant ist die lange Passage, in der sie sich an die gemeinsame Zeit mit Bob Dylan zurückerinnert. So wichtig der Kollege für sie persönlich war, das wirkt hier eher so, als wolle man von seinem noch immer großen Ruhm profitieren.

Allgemein ist der Dokumentarfilm etwas lang geworden, im späteren Verlauf zieht sich das etwas. Zumal die Musik immer wieder in den Hintergrund rückt und man sich da mehr Informationen hätte wünschen dürfen. Insgesamt ist das Werk, das auf diversen Festivals zu sehen war, aber durchaus spannend. Dem Regie-Trio Miri Navasky, Maeve O’Boyle und Karen O’Connor gelingt eine interessante Mischung aus persönlichem Bekenntnis und musikalischer Zeitreise. Selbst wer kein Fan der Sängerin ist, findet in Joan Baez: I Am A Noise jede Menge Sehens- und Hörenswertes, wofür sich ein Besuch im Kino lohnt. Baez mag nicht mehr der helle Sopran sein, der sie Jahrzehnte zuvor war, zu erzählen hat sie aber eine ganze Menge.

Credits

OT: „Joan Baez: I Am A Noise“
Land: USA
Jahr: 2023
Regie: Miri Navasky, Maeve O’Boyle, Karen O’Connor
Musik: Sarah Lynch
Kamera: Wolfgang Held, Ben McCoy, Tim Grucza
Mitwirkende: Joan Baez

Bilder

Trailer

Filmfeste

Berlinale 2023
SXSW 2023

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Joan Baez: I Am A Noise
fazit
In „Joan Baez: I Am A Noise“ blickt die legendäre Folksängerin auf ihr privates wie berufliches Leben zurück. Überraschend ist die Offenheit, mit der finstere Aspekte angesprochen werden, gerade im familiären Bereich, aber auch im Hinblick aufs Altern. Das ist etwas lang, insgesamt aber spannend.
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