Tagebuch einer Pariser Affäre Chronique d'une liaison passagère
Szenenbild aus der Liebeskomödie "Tagebuch einer Pariser Affäre" des Regisseurs Emmanuel Mouret (© Neue Visionen Filmverleih)

Emmanuel Mouret [Interview]

Sex ganz ohne Gefühle, geht das? In Tagebuch einer Pariser Affäre (Kinostart: 23. März 2023) erzählt Emmanuel Mouret die Geschichte von Charlotte (Sandrine Kiberlain) und Simon (Vincent Macaigne), die eine Affäre beginnen. Dabei wollen die beiden keine feste Beziehung und keinerlei Verpflichtungen. Also treffen sie sich heimlich und verstehen sich dabei sehr gut. Zu gut, wie sie irgendwann feststellen. Wir haben uns mit Regisseur und Co-Autor Mouret im Rahmen der Französischen Filmwoche über seinen neuen Film unterhalten.

 

Könnten Sie uns etwas über die Entstehungsgeschichte des Films erzählen? Wie sind Sie dazu gekommen?

Ich habe einen Workshop für Schauspieler gehalten. Einer der Schauspieler hatte diese Idee für die zwei Figuren und hatte auch schon eine kleine Drehbuchfassung. Da er aber keine wirkliche Erfahrung mit dem Schreiben hatte, machte ich ihm den Vorschlag, das für ihn zu adaptieren. Mir hatte die Idee gefallen, dass sich da zwei Leute treffen, um gemeinsam Spaß zu haben, und sich schwören, keine Bindung einzugehen. Die Spannung besteht darin, dass das tatsächlich funktioniert. Sie verstehen sich sehr gut und haben jede Menge Spaß miteinander. Sie können sich körperlich und geistig austauschen, kommunizieren sehr viel miteinander. Es herrscht auch ein gewisses Einverständnis. Die Gefahr besteht aber darin, dass sie doch Gefühle füreinander entwickeln. Sie haben dabei einerseits eine sehr große Freiheit. Sie haben jedoch nicht die Freiheit, ihre Gefühle miteinander zu teilen.

Warum haben sie diese Freiheit nicht?

Das fängt schon damit an, dass der Mann in diesem Paar verheiratet ist und schon eine Bindung eingegangen ist. Und dann ist da eben dieser Schwur, sich nicht aneinander zu binden.

Kann ein solches Arrangement denn dauerhaft funktionieren?

Das ist die Frage, die der Film stellt. Es funktioniert wunderbar bis zu dem Punkt, an dem es zu viele Gefühle gibt. Ob es ganz grundsätzlich funktionieren kann, kann ich so gar nicht beantworten. Es sind doch zwei sehr spezielle Filmfiguren, die man nicht verallgemeinern kann. Deswegen will ich mit meinem Film darauf keine Antwort geben. In diesem kommt es zu einem Konflikt, weil du den in dem Film brauchst. Wenn du keine Konflikte hast, hast du keine Geschichte.

Sie haben schon die Gespräche zwischen den beiden angesprochen. Die beiden können eigentlich über alles miteinander reden, ohne sich irgendwie zurücknehmen zu müssen. Sind solche Gespräche innerhalb einer Beziehung einfacher, bei der es keine Verpflichtungen gibt?

Das ist eine interessante Frage. Ich muss aber gestehen, dass ich mir die selbst nie gestellt habe, da es eine theoretische Frage ist. Mir ging es nur um diese beiden Figuren und darum, Situationen mit diesen zu schaffen. Der theoretische Aspekt war mir dabei nicht wichtig. Aber es kann sein, dass Sie recht haben und es wirklich einfacher ist.

Sie haben vorhin den Schauspieler erwähnt, der diese Anfangsidee hatte. War er an dem Film noch beteiligt?

Nein. Am Anfang haben wir zusammen daran gearbeitet und ich habe ihn dazu ermuntert damit weiterzumachen. Es wurde aber irgendwann zu kompliziert, weshalb ich ihm vorgeschlagen habe, das Drehbuch ohne ihn zu schreiben. Es gab also zwei Etappen. Sein Name steht aber im Vorspann: Pierre Giraud.

Und wie kam es dazu, die Geschichte in diesem Tagebuch-Format zu erzählen?

Ich wollte, dass das Publikum die beiden wirklich nur sieht, wenn sie sich gerade treffen. Es sollte nichts über das Privatleben außerhalb dieser Beziehung erfahren. Dass wir die Ehefrau nicht sehen und die Kinder nicht sehen, hängt dann auch damit zusammen, dass der Zuschauer keine Vergleiche anstellen kann. Zwischen den einzelnen Treffen gibt es auch sehr viele Ellipsen. Das ermöglicht es dem Zuschauer, selbst ein bisschen Detektiv zu spielen und sich die Frage zu stellen, was in der Zwischenzeit geschehen ist. Das ist ein Format, das ich selbst als anregend empfinde.

Und haben Sie diese Ellipsen für sich selbst gefüllt oder wollten Sie das gar nicht so genau festlegen?

Es ist schon so, dass man ein bisschen entdeckt, was innerhalb dieser Zeitsprünge geschehen ist. Sie reden teilweise darüber und verraten über die Dialoge, was in ihrem Leben los war. Sie stellen auch einander Fragen. Gewisse Dinge kann man sich also schon erarbeiten, zum Beispiel über Details in ihrer Wohnung, die du entdecken kannst. Aber Sie haben natürlich recht, dass ich mir nicht immer alles im Detail ausgedacht habe, was außerhalb dieser Treffen geschieht. Denn das war letztendlich auch gar nicht so wichtig. Diese Ellipsen ermöglichten dem Publikum auch, sich selbst einzubringen. Es gab ganz viele, die nach dem Film gesagt haben: Das war genau meine Geschichte!

Wie sah das dann konkret beim Schreiben des Drehbuchs aus? Bei den meisten Filmen ist es so, dass sie von der Handlung vorangetrieben werden: Da geschieht etwas und die nächste Szene ist die Folge daraus. In Tagebuch einer Pariser Affäre zeigen Sie hingegen lauter Einzelmomente. Gab es da zuerst einen Plan, worauf alles hinausläuft, oder diese Momente, die Sie später angeordnet haben?

Es gab schon diese grobe Idee, dass wir mit dieser Ausgangssituation anfangen und alles gut geht, bis es zu den besagten Schwierigkeiten kommt. Wichtig war mir das Vorübergehende dieser Beziehung, was auch noch im französischen Originaltitel drin ist und aus der deutschen Fassung herausgenommen wurde. Dadurch weißt du als Zuschauer vorher schon, dass diese Beziehung ein Ende haben wird. Darauf habe ich mich konzentriert. Innerhalb dieses Rahmens gab es aber schon einige Szenen, die ich hin und her geschoben habe.

Kommen wir noch auf die Figuren. Sie ist etwa zehn Jahre älter als er, was als Konstellation immer noch deutlich seltener ist als der umgekehrte Fall. War das von Anfang an so geplant?

Nein, war es nicht. Tatsächlich war es in der ersten Fassung sogar so, dass sie zehn Jahre jünger ist. Dann habe ich mich aber gefragt: Was wäre, wenn es umgekehrt wäre und sie die ältere ist? Das fand ich sehr spannend. Wir erfahren auch, dass sie drei Kinder hat, von denen zwei bereits erwachsen ist und das dritte etwas jünger. Es gibt da also schon einen größeren Altersunterschied zwischen den drei Kindern. Ich fand die Idee schön, dass eine Frau, die lange Zeit für ihre Kinder da war, irgendwann beschließt, dass sie ein leichteres Leben haben möchte. Dass sie auch ein anderes Leben möchte und nicht immer nur zu Hause sein möchte.

Und wie sieht es bei der Besetzung aus? Tagebuch einer Pariser Affäre ist schließlich ein Film, der sehr stark auf die beiden Hauptfiguren zugeschnitten ist.

Die Herausforderung bei dem Film war natürlich, dass wir die Hauptfiguren vom Anfang bis zum Ende sehen. Da geschieht ein enormer Austausch zwischen den beiden. Man könnte sagen, sie sind die Spezialeffekte des Films. Ich habe auch tatsächlich vier Jahre gebraucht, um dieses perfekte Paar zu finden. In der Zwischenzeit habe ich sogar einen komplett anderen Film gedreht, weil es einfacher ist, acht Figuren zu besetzen, als ein perfektes Paar zu finden, mit dem das Publikum wirklich anderthalb Stunden verbringen möchte. Ich habe zuerst mit Vincent Macaigne eine Leseprobe gemacht und fand es wirklich stark, wie er diesen Text mit Leben gefüllt hat. Er war mir aber zu jung für die Figur. Dann habe ich diesen anderen Film gedreht, den ich gerade meinte: Leichter gesagt als getan, auch mit Vincent. Darin hat er sich ein bisschen älter gemacht und trug einen Vollbart. Am Ende der Dreharbeiten habe ich ihm gesagt, dass er jetzt das richtige Alter hat. Als dann klar war, dass die weibliche Figur älter war, habe ich überlegt, wen ich dafür nehmen könnte. Irgendwann ist mir dann Sandrine Kiberlain eingefallen. Mir gefiel das als Konstellation, weil die beiden so unterschiedlich sind. Vincent hat etwas Sanftes, aber auch Tollpatschiges, während Sandrine sehr lebendig ist. Eines haben sie aber gemeinsam: Sie haben sehr viel Fantasie. Das war für mich eine Chance, einen Film zu drehen, der die Menschen unterhält und gleichzeitig berührt.

Vielen Dank für das Gespräch!

Zur Person
Emmanuel Mouret wurde am 30. Juni 1970 in Marseille, Frankreich geboren. Nach dem Schulabschluss nahm er Schauspielunterricht, übernahm Gelegenheitsjobs beim Film und begann schließlich ein Studium an der Filmhochschule La fémis in Paris. 1998 machte er dort seinen Abschluss mit dem Film Promène-toi donc tout nu!. Sein erster Langfilm war die Filmkomödie Laissons Lucie faire! (2000), wo er neben Regie und Drehbuch auch die Hauptrolle übernahm. Zu seinen späteren Werken zählen das Historiendrama Der Preis der Versuchung (1998) und die Liebeskomödie Leichter gesagt als getan (2020), die für insgesamt 13 Césars nominiert war.



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