Blutsauger
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Blutsauger

„Blutsauger“ // Deutschland-Start: 12. Mai 2022 (Kino)

Inhalt / Kritik

Der sowjetische Fabrikarbeiter Ljowuschka (Aleksandre Koberidze) wird in Sergei Eisensteins Oktober als Leo Trotzki gecastet, muss aber bereits ein Jahr vor seiner Rolle, im Sommer 1928, vor dem Stalinismus fliehen. Es treibt ihn an die deutsche Ostseeküste. Dort lernt er die Fabrikbesitzerin Octavia Flambow-Jansen (Lilith Stangenberg) kennen und verliebt sich in sie. Ungünstig ist nur, dass sich blutdürstige Vampire in der Gegend herumtreiben und Octavia eine von ihnen ist.

Vampire und das Kapital

„Das Kapital ist verstorbne Arbeit, die sich nur vampirmäßig belebt durch Einsaugung lebendiger Arbeit und um so mehr lebt, je mehr sie davon einsaugt.“ Diese, wie die Figuren des Films früh feststellen, etwas platte Metapher von Karl Marx dient Blutsauger als Aufmacher, um sich als Vampirkomödie der etwas Art zu präsentieren. Regisseur und Drehbuchautor Julian Radlmaier thematisiert wie auch in seinem vorherigen Werk Selbstkritik eines bürgerlichen Hundes den Marxismus, die bürgerliche Kunst und alles dazwischen.

Prominent platziert sind vor allem das Verhältnis zwischen Kapitalist*innen und Proletariat sowie das Verhältnis beider Gruppen zur Kunst und zur marxistischen Idee. Radlmaier scheut dabei nicht, die Figuren offen über die Themen diskutieren zu lassen, führt diese Diskussionen aber oftmals derart ad absurdum, dass sie eigene Subtexte entwickeln, die der Ursprungsdiskussion beitragen. Das funktioniert sehr gut und stellt insbesondere die Doppelmoral der Kapitalist*innen sowie deren Unverständnis für die Unzufriedenheit des Proletariats in ein sehr groteskes Licht. Auch andersherum ist die Beziehung fast wie das Stockholm-Syndrom inszeniert und sorgt für den ein oder anderen schauderhaften Lacher. Damit einher geht auch eine Kritik an der Entpolitisierung und Reduzierung des Marxismus sowie die Flucht in Populismus, Rassismus und Nationalismus, wenn darum geht, soziale Ungleichheit zu erklären und ggf. zu verringern.

Vollständige Dekonstruktion

Am meisten Fokus liegt aber darauf, die Kunst und somit auch sich selbst zu dekonstruieren. Zentral ist die Frage, inklusive ihrer impliziten Verneinung, ob ein völlig abgedrehtes, kryptisches Kunstwerk, das über verschiedene Ebenen arbeitet, überhaupt für die sozial benachteiligten und bildungsfernen Schichten zugänglich sein kann. Blutsauger präsentiert damit das publizistische Leiden der intellektuellen Linken, die mit ihren abstrakten und realitätskritischen Werken eigentlich keinen Anklang außerhalb der eigenen Gruppe finden.

Interessant ist daher, wie viel Einfluss anderer solcher Künstler*innen in Blutsauger zu erkennen ist. Ein bisschen Godard und Buñuel hier, ein bisschen Żuławski und Andersson da. Quasi als Fundament all dieser sind aber selbstverständlich auch Bertolt Brecht und der V-Effekt zu nennen. Denn bei all den Einflüssen, die in Blutsauger zu erkennen sind, bleibt der Grundsatz der Verfremdung immer der zentralste, inszenatorisch wie inhaltlich. So kann man die völlig entmenschlicht wirkenden Dialoge nennen, das häufige Einstreuen von Gegenständen, die zur Handlungszeit noch gar nicht existiert haben oder das ständige Erklimmen einer Metaebene. Dazu kommt stets ein gewisser Theater-Rhythmus, der zusammen mit den herausstechend akkuraten und symmetrischen Bildern das Gefühl, etwas Inszeniertem zuzuschauen, den letzten Stoß versetzt.

Zu viel des Guten?

Diese beschriebenen Ideen sind in vielen Szenen wirklich gut umgesetzt, sind über die 125-minütige Laufzeit aber leider zu rar gesät. Wirklich interessant wird es nur, wenn die Kapitalist*innen zu beobachten ist. Jetzt kann man durchaus argumentieren, dass sich Blutsauger erneut auf eine Metaebene begibt und es eben genau der Punkt ist, nur bei der Darstellung der Kapitalist*innen unterhaltsam zu sein. Der Film entzieht sich so sehr einer klassischen Dramaturgie, dass er sich in eine vermeintlich unkritisierbare Position begibt.

Dagegen ist per se auch gar nichts einzuwenden, schließlich kann so etwas sehr gut funktionieren, wenn der Film dadurch provozieren und auf ein Thema aufmerksam machen will. Da Blutsauger sich selbst und nicht mehr Kunst als Konzept zum Thema macht, verliert er dadurch etwas seinen Geltungsanspruch, vor allem, da seine Diskussionen um Marxismus zwar durchaus unterhaltend, aber nur recht oberflächlich sind. Er wirkt zu sehr von sich selbst vereinnahmt und verbaut sich somit die Möglichkeit, mehr Neues oder Relevantes beizutragen.

Credits

OT: „Blutsauger“
Land: Deutschland
Jahr: 2021
Regie: Julian Radlmaier
Drehbuch: Julian Radlmaier
Kamera: Markus Koob
Musik: Franui
Besetzung: Lilith Stangenberg, Aleksandre Koberidze, Alexander Herbst, Kirill Adibekov, Corinna Harfouch, Andreas Döhler

Bilder

Trailer

Filmfeste

Berlinale 2021
Filmfest Hamburg 2021
International Film Festival Rotterdam 2021

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Blutsauger
Fazit
„Blutsauger“ ist ein Film, der sich vielen Konventionen entziehen will, dekonstruiert, verfremdet und auf Metaebenen herumspringt. Damit macht er sich zu schwerer Kost für die Allgemeinheit sowie für diejenigen, für die er eigentlich einstehen möchte. Und gerade dieser Wirkung ist sich der Film sehr bewusst. Das führt aber vermehrt dazu, dass er seine ganze Thematik und viele der guten Ansätze zu sehr auf sich selbst bezieht und sich dadurch etwas in seinen Metaebenen verliert.
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