Stille Post
© Nina Reichmann

Stille Post

Stille Post
„Stille Post“ // Deutschland-Start: 15. Dezember 2022 (Kino)

Inhalt / Kritik

Der Grundschullehrer Khalil (Hadi Khanjanpour) führt ein unaufgeregtes Leben in Berlin. Doch das ändert sich eines Tages schlagartig, als seine Freundin Leyla (Kristin Suckow) ihm ein Video aus seiner kurdischen Heimatstadt in der Türkei zeigt. Denn auf diesem meint er, seine Schwester Senem (Zübeyde Bulut) wiederzuerkennen, von der er dachte, sie sei vor Jahren gestorben. Für ihn steht sofort fest, dass er irgendwie den Kontakt zu ihr herstellen muss. Die kurdische Gemeinde in Berlin erklärt sich auch bereit, ihm dabei zu helfen, stellt dafür jedoch eine Forderung: Er muss die Kriegsvideos aus der belagerten Stadt an die Öffentlichkeit bringen und auf diese Weise über die Verbrechen der türkischen Armee informieren. Doch das ist nicht ganz so einfach, denn das Interesse an dem Thema hält sich in Grenzen …

Erinnerung an einen vergessenen Konflikt

Bei den unzähligen Konflikten, die derzeit weltweit herrschen, ist es nahezu unmöglich, sich aller immer bewusst zu sein. Einer dieser Konflikte, die gerne mal in Vergessenheit geraten, ist der um die kurdische Minderheit in der Türkei, die vor allem im Osten des Landes lebt. Stille Post ruft diesen Konflikt nun wieder ins Bewusstsein, wenngleich über Umwege. Die Hauptfigur Khalil selbst dachte nicht mehr groß über diesen nach, zu sehr war er bereits in seiner neuen Heimat Deutschland angekommen. Die Video zu sehen, auf denen er seine Schwester wiederzuerkennen glaubt, ist daher nicht allein die Erinnerung an einen geliebten Menschen. Es ist auch eine Erinnerung an seine eigene Herkunft und die kulturellen Wurzeln. Dafür sorgen zudem die anderen Menschen in der Gemeinde, die ihn zu einer Auseinandersetzung zwingen.

Wobei der Konflikt nicht allein die weit entfernte Heimatstadt betrifft. Diese steht zwar im Mittelpunkt, wenn furchteinflößende Szenen des belagerten Ortes an die aus Syrien bekannten Kriegsbilder erinnert. Die Videos innerhalb des Filmes wie auch der Film als solcher soll das Publikum in Deutschland wachrütteln und für eine Krise sensibilisieren, die es nicht mehr oder noch nie kannte. Stille Post zeigt aber auch, wie diese Krise nach Deutschland importiert wurde. Wer sich innerhalb der türkischen Gemeinde Berlins als Kurde zu erkennen gibt, der muss mit Ablehnung rechnen, mit Mobbing an der Schule. An einer Stelle kommt es sogar zu einem gewalttätigen Übergriff. Das Drama schlägt sich an der Stelle recht eindeutig auf die Seite der kurdischen Bevölkerung. Die Gegenseite bleibt dabei schematisch, wird lediglich als Aggressor gezeigt.

Die zweifelhafte Rolle der Medien

Dafür hat Florian Hoffmann in anderer Hinsicht deutlich mehr zu sagen. Das Spielfilmdebüt des Regisseurs und Drehbuchautors handelt nicht allein von dem für uns fernen Konflikt, sondern befasst sich auch mit der medialen Resonanz desselben. Anders als man es bei dem Titel Stille Post vielleicht vermuten könnte, reicht es eben nicht, ganz ruhig über die Ereignisse zu berichten. Da ein erster Versuch, das Thema in der Redaktion unterzubringen scheitert, beschließen Khalil und Leyla das Video ein wenig aufzumotzen. Wenn irgendwo Explosionen zu hören sind oder nahende Flugzeuge wirkt die Szene gleich deutlich spektakulärer. Und je spektakulärer, umso besser, da auf diese Weise ein größeres Publikum gefunden werden kann. Vergleichbar zu dem namengebenden Kinderspiel, bei dem eine Nachricht weitergeflüstert und auf diese Weise verändert wird, ist auch hier am Ende von dem ursprünglichen Video nicht mehr viel geblieben.

Das ist natürlich Wasser auf den Mühlen derjenigen, die Medien grundsätzlich misstrauisch gegenüberstehen. In Zeiten von Fake News und Lügenpresse-Diffamierungen ist Stille Post schon ein erschreckendes Argument dafür, dass Wahrheit nicht immer gleich Wahrheit ist, auch wenn sie als solche verkauft wird. Diese gleichermaßen zynische wie verzweifelte Beeinflussung von Wahrnehmung ist aber zugleich eine Kritik am Publikum und den Menschen da draußen, die auf solche Übertreibungen bestehen. Nur wenn es wirklich kracht, so die bittere Erkenntnis, besteht die Chance, dass sich die Leute für das Elend anderer interessieren. Die Verfehlungen der Medien und die Gleichgültigkeit der Allgemeinheit bedingen sich hier gegenseitig.

(Zu) viel Stoff in kurzer Zeit

An Themen mangelt es hier dann nicht. Im Gegenteil: Das Drama, das bei den Hofer Filmtagen 2021 Premiere feierte, packt eine ganze Menge Stoff in seine rund anderthalb Stunden und lässt am Ende sogar noch ein bisschen eskalieren. Zumal man als Zuschauer und Zuschauerin ohnehin gespannt ist, ob die Person wirklich die Schwester ist und ob es ein Wiedersehen geben wird. Wenn überhaupt kann man Hoffmann den Vorwurf machen, dass er ein bisschen viel hier zusammengetragen hat, wie das bei Debütfilmen zuweilen der Fall ist. Dadurch wird einiges zwangsläufig nicht ganz ausformuliert oder auch vertieft. Stille Post gleicht da manchmal mehr einer Liste mit Stichpunkten, die dem Publikum mit auf den Weg gegeben werden sollen. Aber es sind interessante Stichpunkte, über die es sich lohnt weiter nachzudenken und zu diskutieren. Der Film ist in mehrfacher Hinsicht ein wertvoller Beitrag, der neugierig darauf macht, wohin die weitere Reise des deutschen Nachwuchsfilmemachers geht.

Credits

OT: „Stille Post“
Land: Deutschland
Jahr: 2021
Regie: Florian Hoffmann
Drehbuch: Florian Hoffmann
Musik: Niklas Paschburg
Kamera: Carmen Treichl
Besetzung: Hadi Khanjanpour, Kristin Suckow, Aziz Capkurt, Jeanette Hain

Bilder

Trailer

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Stille Post
fazit
„Stille Post“ handelt von einem kurdischen Lehrer in Berlin, der auf einem Kriegsvideo in seiner Heimat seine totgeglaubte Schwester zu erkennen glaubt. Der Film bietet Spannung, wenn man wissen will, was an der Geschichte dran ist. Vor allem aber dient er als Diskussionsgrundlage, die neben dem türkisch-kurdischen Konflikt auch die Rolle von Medien kritisch beleuchtet.
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