Eric Besnard A la Carte Interview
Regisseur Éric Besnard beim Dreh des Films (© Neue Visionen Filmverleih)

Eric Besnard [Interview]

In À la Carte! – Freiheit geht durch den Magen nimmt uns Regisseur und Co-Autor Éric Besnard mit auf eine Reise ins Frankreich des späten 18. Jahrhunderts. Die Geschichte handelt dabei von dem Koch Manceron (Grégory Gadebois), der nach einem Disput mit einem einflussreichen Herzog zurück aufs Land zieht und dort das erste Restaurant Frankreichs eröffnet – zum Missfallen des Adels. Wir haben uns anlässlich des Kinostarts am 25. November 2021 mit dem Filmemacher über die Entstehungsgeschichte seiner historischen Komödie, die Bedeutung von Essen und die Auswirkungen von Covid auf die Ausgehnatur unterhalten.

 

Wie sind Sie auf die Idee für diesen Film gekommen?

Es gab einen Moment in meinem Leben, in dem ich mich fragte, was es bedeutet, ein französischer Regisseur zu sein, und was das französische Modell ist. Danach machte ich mich auf die Suche nach Schlüsselmomenten und Schlüsselfiguren des französischen Modells. Jedes Land hat seine Epochen und seine historischen Persönlichkeiten. Eine meiner Richtungen ging in das Jahrhundert der Aufklärung, was uns letztendlich zur Französischen Revolution geführt hat. Als ich mich mit dieser Epoche mehr auseinandergesetzt und gelesen habe, stieß ich auf den Satz „die Erschaffung des erste französischen Restaurants“. Es war also zuerst eine politische Recherche, bevor es eine gastronomische wurde. Wie viele andere dachte ich natürlich, es hätte schon sehr viel länger Restaurants gegeben. Es gab schließlich Herbergen, es gab Tavernen, in denen man geschlafen hat. Es gibt im Französischen auch den Spruch: „Wer schläft, der isst.“ Nur dass man damals gar nicht die Wahl hatte, was man isst. Da dachte ich, das Restaurant könnte ein idealer Vektor sein, um zu sagen, etwas existiert, an dem alle teilhaben können. Alle sind an einem Punkt, an dem sie gleich sind und wo jeder dem anderen auch etwas anbieten kann. Dann fand ich es auch wiederum interessant, einen historischen Film zu drehen, der irgendwie mit der Aktualität resoniert. Danach ging es wirklich nur noch darum, Figuren zu erschaffen, die das ausdrücken sollen, was ich sagen wollte.

Welchen Stellenwert hatte denn das Essen damals?

Das war damals sehr zweigeteilt. Auf der einen Seite hattest du die Reichen oder die Adligen, bei denen das Essen vor allem eine Art zu zeigen war, was man alles hat. Da ging es mehr um den Schein als das Essen an sich. Es war damals nicht unüblich, dass bis zu 60 verschiedene Portionen aufgetischt werden, die dann auch noch reichhaltig ausgestattet wurden, mit Federn zum Beispiel. Das Auge isst also sozusagen mit. Auf der anderen Seite waren die Armen, die nur Brot und Suppe essen konnten und dabei nicht einmal Teller hatten. Für sie bedeutete Essen also nur das blanke Überleben, während es für die anderen eine Form des Angebens war. An der Stelle kam auch die Kreativität ins Spiel. Man konnte aus einer Tomate oder Kartoffel ein ganzes Essen erstellen. Dazu dann die Frage des Teilens: Mit wem essen wir? In dem Moment, in dem wir uns das aussuchen können und das Essen teilen können, sind wir wieder beim Zeitalter der Aufklärung. Und genau das hat mich fasziniert.

À la Carte! – Freiheit geht durch den Magen Delicieux
Ein Künstler bei der Arbeit: Koch Manceron (Grégory Gadebois) eröffnet das erste Restaurant Frankreichs (© Neue Visionen Filmverleih)

Man sieht in dem Film Leute, die so arm sind, dass sie sich kein Essen leisten können, etwa die Kinder, die das Brot klauen. Ist es da überhaupt realistisch, dass sie in ein Restaurant gehen und für ein Essen bezahlen?

Die Antwort ist ganz klar Nein. Wir dürfen dabei auch nicht vergessen, die Französische Revolution war eine bürgerliche Revolution. Das war keine Revolution des einfachen Volkes. Die Menschen, die wir im Film am Tisch essen sehen, das sind Ärzte, das sind Handwerker, das sind Anwälte. Robespierre, Danton und andere, die die Revolution maßgeblich vorangetrieben haben, das waren alles Anwälte. Die hatten also alle durchaus Geld, gehörten aber einer sozialen Klasse an, die sich nicht an den Tisch setzen durfte. Es gab in Europa noch dieses alte Kastensystem, aus dem niemand rauskam. Das sollte sich durch die Revolution ändern. Wobei auch die erwähnten Kinder, die das Brot klauen, von diesem Wandel profitierten: Die Mädchen arbeiten am Ende als Kellnerinnen in dem Restaurant.

Heute gibt es keine Regeln mehr, wer wo essen gehen darf. Gleichzeitig bestimmt der eigene Besitz aber immer noch maßgeblich mit. Manche Leute haben überhaupt kein Geld, um Essen gehen zu können. Und es gibt enorme Unterschiede bei den Preisen, weshalb dann doch nicht jeder in jedes Restaurant gehen kann. Ist Essen gehen damit nicht immer auch ein Ausdruck einer Klassengesellschaft?

Das glaube ich überhaupt nicht. Der Unterschied besteht darin: ausgehen oder nicht ausgehen. Heute kann jeder ausgehen. Man kann in ein Restaurant gehen. Man kann aber auch ein Picknick zusammen machen. Das Wichtigste ist, dass du ausgehst und dich frei entscheidest, mit wem du essen möchtest. Das ist die Möglichkeit, die wir alle haben. Die Frage ist also: Nehmen wir uns die Zeit, das Essen zu genießen und zu teilen? Das war damals die intellektuelle Revolution. Und diese Revolution wird inzwischen von dem angelsächsischen Modell angegriffen, die von dir will, dass du dir keine Zeit zum Essen nimmst. Du wirst dort zum reinen Konsumenten, der sich vielleicht nur das Essen nach Hause liefern lässt. Ähnlich zu der Entwicklung, dass manche nicht mehr in die Kinos gehen, sondern daheim Netflix schauen.

In Folge der Corona-Pandemie ging dieses Ausgehen zwangsläufig nicht mehr. Wir konnten nicht mehr in die Kinos, wir konnten nicht in die Restaurants und haben uns angewöhnt, vieles zu Hause zu erledigen. Wird diese Erfahrung dauerhaft unser Verhalten beeinflussen?

Es gibt diese Schock-Theorie von Naomi Klein, die eine Kritik an einer bestimmten Form des Liberalismus übt. Ihr zufolge nutzt der Liberalismus jeden Schockmoment oder Katastrophe dazu, die Situation noch weiter zu dem eigenen Gunsten zu verschieben. In Folge von Covid wurde uns gesagt, wir sollen zu Hause bleiben, zu Hause arbeiten und möglichst effektiv sein. Die Freiheit des Ausgehens wurde einem genommen. Gleichzeitig sollte man so viel leisten wie nur irgendwie möglich. Ausgehen wurde in diesem Zusammenhang zu einem Akt des Widerstandes. Die Parallelen zwischen Kino und Restaurant sind da offensichtlich. Ich könnte den ganzen Tag damit verbringen, nur darüber zu reflektieren. Ich habe dieses Jahr einen Film in den Bergen gedreht und war zwei Monate lang von der urbanen Welt abgeschnitten. Als ich dann nach Paris zurückkehrte, entdeckte ich ein ganz anderes Paris als das, das ich zurückgelassen hatte, nämlich das Paris mit der Angst vor Terroristen und das Paris mit dem Gesundheitspass. Die Stadt war wieder voll, alle saßen draußen. Das Leben hatte wieder zurückgeschlagen. Da war wieder so eine vitale Kraft, von der Nietzsche schon gesprochen hat. Deswegen bin ich voller Hoffnung, dass nicht alles so bleiben muss, wie es in Covid-Zeiten war.

Können Sie uns mehr über diesen Film erzählen, den Sie gedreht haben? An welchen Projekten arbeiten Sie?

Der Film war wirklich eine Reaktion auf Covid und auf den Lockdown, bei dem die Menschen die Straßenseite gewechselt haben, wenn sie sich gegenseitig gesehen haben. Ich wollte einen Film machen, bei dem ich sage, dass man einander auch wieder vertrauen muss. Der Film heißt Un grand ami, also Ein großer Freund. Im Gegensatz zu den Filmen über Freundschaften, bei denen sich die Leute schon seit dreißig, vierzig Jahren kennen, erzähle ich von zweien, die sich gerade erst kennengelernt haben. Der Film, den ich als nächstes mache, knüpft ein wenig an die Idee von À la Carte zur französischen Identität an. Im 19. Jahrhundert kam es zu dem historischen Moment, in dem Schulen gratis und laizistisch geworden sind, aber auch eine Schulpflicht entstand. Man hat Lehrerinnen in die Dörfer geschickt, die den Bauern klarmachen sollten, dass ihre Kinder zur Schule gehen müssen. Damit waren die Bauern überhaupt nicht einverstanden. Die Kinder, die bislang Feldarbeit verrichteten, sollten auf einmal in die Schule gehen. Die Schule ist dabei ein Konzept, aber auch ein Ort. Und ich stelle die Frage: Welchen Ort erschaffen wir da?

Vielen Dank für das Gespräch!

Zur Person
Éric Besnard wurde am 15. März 1964 als Sohn des Regisseurs Jacques Besnard geboren. Nach einem Studium der Politikwissenschaften zog es ihn zum Film. Sein eigenes Filmdebüt gab er 1998 mit Le Sourire du clown. Später arbeitete er sowohl als Regisseur wie auch als Autor für andere Filmemacher. Sein bislang bekanntester Film ist die romantische Tragikomödie Birnenkuchen mit Lavendel (2016), die in Deutschland mehr als 700.000 Besucher hatte.



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