Ein nasser Hund
© Volker Roloff / Carte Blanche International / 2019

Ein nasser Hund

Inhalt / Kritik

Ein nasser Hund
„Ein nasser Hund“ // Deutschland-Start: 9. September 2021 (Kino)

Als der 16-jährige Iraner Soheil (Doguhan Kabadayi) mit seinen Eltern (Dorka Gryllus, Kida Khodr Ramadan) nach Berlin-Wedding zieht, sucht er Anschluss bei den türkischen und arabischen Jugendlichen in dem Viertel. Tatsächlich gelingt es ihm, mit Husseyn (Mohammad Eliraqui) und den anderen Freundschaft zu schließen: Immer wieder verbringen sie Zeit miteinander, hängen ab, quatschen über ihr Leben. Dabei verschweigt Soheil jedoch seinen neuen Freunden, dass er trotz seiner Herkunft kein Muslim ist. Stattdessen gehört seine Familie der Minderheit jüdischer Iraner an. Während der Teenager versucht, sich anzupassen und in der Gruppe zu integrieren, verliebt er sich in das türkische Mädchen Selma (Derya Dilber) aus der Parallelklasse …

Eine unglaublich wahre Geschichte

Eigentlich sollte man meinen, dass Minderheiten Verständnis füreinander haben, zumindest für die grundsätzliche Not, wenn man nicht wirklich dazugehört. Aber Minderheit ist dann eben doch nicht gleich Minderheit, wie das Beispiel Ein nasser Hund zeigt. Das Szenario mag sich dabei erst einmal nach einem Scherz anhören. Juden aus dem Iran? Gibt es so etwas wirklich? Ja, gibt es. Arye Sharuz Shalicar war ein solcher, seine Familie war in den 1970ern wegen des Antisemitismus in ihrem Heimatland nach Deutschland geflohen. Doch auch dort hatte er zu kämpfen, wurde von der muslimischen Bevölkerung im Berliner Ortsteil Wedding angefeindet. Davon und wie er sich mit seinem neuen Leben arrangierte erzählte er später in dem autobiografischen Buch Ein nasser Hund ist besser als ein trockener Jude: Die Geschichte eines Deutsch-Iraners, der Israeli wurde .

Regisseur und Drehbuchautor Damir Lukacevic nahm dieses zum Vorbild für Ein nasser Hund, ohne aber das Buch direkt zu verfilmen. Er änderte die Namen, verlagerte die Geschichte in die Gegenwart, auch sonst wurde einiges erfunden. Gleichzeitig ist der Film von dem Bestreben geprägt, möglichst authentisch zu wirken und keine Hochglanzausgabe einer wahren Geschichte zu werden. Das zeigt sich gerade beim Ensemble, das überwiegend aus Newcomern besteht und entsprechend auftritt. Auch bei der Sprache und dem Setting gelingt es dem Filmemacher, dem Publikum das Gefühl zu vermitteln, mit einer tatsächlichen Gang umherzuziehen, mit ihnen zu streiten und zu träumen, und dabei sich selbst zu suchen.

Suche nach Identität und Zusammenhalt

Über weite Strecken ist Ein nasser Hund dann auch ein Film, der die typischen Coming-of-Age-Bestandteile abruft. Lukacevic erzählt von einem Alter, das geprägt ist von der Selbstsuche und der Frage, wie man denn in diese Welt passt. Bei Soheil findet das aber noch etwas verschärfter statt, die Folge seiner ungewöhnlichen Biografie. Immer wieder ringt er damit, inwiefern seine jüdische Herkunft nun Teil seiner Identität ist oder nicht. Spielt sie eine Rolle bei dem Umgang mit den anderen Jugendlichen? Sollte sie eine Rolle spielen? Wie viel einer Identität ist überhaupt vorgegeben, wie viel davon ein reines Konstrukt? Denn eigentlich dürfte sich für den Rest nichts ändern, wenn dieser erfährt, dass es sich bei ihrem Freund um einen Juden handelt. Die religiöse Komponente war schließlich für die Freundschaft keine Voraussetzung.

Zumindest beiläufig befasst sich das Drama auf diese Weise mit dem Thema kultureller Identität und dass wir letztendlich nie so frei sind, wie wir es gerne wären. Vorurteile werden weitergegeben, ohne dass wir sie hinterfragen oder als solche wahrnehmen. Wir sind für andere immer auch das Produkt ihrer eigenen Erfahrungen und Erwartungen. Damit verbunden ist jedoch die Aufforderung, sich zu öffnen, bewusster mit anderen umzugehen. Ein nasser Hund will kein reines düsteres Sozialdrama sein, sondern zugleich Hoffnung machen und Mut zusprechen. Wenn Soheil eines zeigt, dann dass man sich auch unter diesen Umständen noch finden kann.

Dramatisches Ende

So etwas kann leicht ins Kitschige gehen und auf Kalendersprüche zurückgreifen. Glücklicherweise gelingt es dem Film jedoch, diese Klippen zu umschiffen. Lediglich zum Schluss wird Ein nasser Hund ein bisschen unnötig dramatisch. Die ansonsten eher zurückhaltende Erzählweise macht einer Zuspitzung Platz, wohl um zum Ende hin ein richtiges dramaturgisches Finale zu ermöglichen. Gebraucht hätte es das nicht, die leisen Töne standen dem Film dann doch deutlich besser. Solche Fehler oder auch die eine oder andere holprige Stelle, die mehr aufgesagt als gelebt wirkt, schmälern den Eindruck aber nur zeitweise. Insgesamt ist das Drama ein sehenswerter Beitrag zu einem wichtigen Thema, gleichermaßen universell wie individuell.

Credits

OT: „Ein nasser Hund“
Land: Deutschland
Jahr: 2021
Regie: Damir Lukacevic
Drehbuch: Damir Lukacevic
Musik: Boris Bojadzhiev
Kamera: Sten Mende
Besetzung: Doguhan Kabadayi, Mohammad Eliraqui, Derya Dilber, Kida Khodr Ramadan, Dorka Gryllus

Bilder

Trailer

Interview

Was war die Inspiration für seinen Film? Und wie wichtig ist Religion bei der Suche nach Identität? Diese und weitere Fragen haben wir Regisseur Damir Lukacevic in unserem Interview zu Ein nasser Hund gestellt.

Damir Lukačević [Interview]

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Inspiriert von einer wahren Geschichte erzählt „Ein nasser Hund“ von einem jungen Iraner jüdischen Glaubens, der sich mit muslimischen Jugendlichen anfreundet. Der Film ist dabei überwiegend authentisch-dokumentarisch gehalten, verbindet Alltag mit einem ungewöhnlichen Szenario. Nur zum Schluss hin wird dann doch etwas unnötig dramatisiert.
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