Home 2020
Szenenbild aus Franka Potentes Regiedebüt "Home" (© Weltkino)

Franka Potente [Interview]

In ihrem Langfilmdebüt als Regisseurin und Drehbuchautorin Home erzählt Franka Potente die Geschichte von Marvin (Jake McLaughlin), der viele Jahre wegen Mordes im Gefängnis war und nun in seine kleine Heimatstadt zurückkehrt – zum Ärger der Familie des Opfers, die ihn sofort wieder vertreiben will. Anlässlich des Kinostarts am 29. Juli 2021 haben wir uns mit der Filmemacherin über die Entwicklung der Idee, das Konzept von Heimat und die Schwierigkeit von Vergebung unterhalten.

Nachdem Sie so lange schon als Schauspielerin tätig sind, wie kam es zu dem Wunsch, jetzt auch bei einem Film Regie zu führen?

Wenn man als Schauspieler so viele Jahre am Set ist und sich dafür interessiert, bekommt man unweigerlich mit, was der Regisseur da so macht. Ich habe in der Zeit mit vielen guten Regisseuren gearbeitet. Aber auch mit welchen, die nicht so gut waren und bei denen du dich fragst: Was quatscht der denn da? Das muss man doch ganz anders machen! Zum Teil ist der Regiewunsch sicher aus der Idee geboren, dass man es besser machen kann oder es auch einfach selbst machen mag, weil es so aussieht, als würde es richtig Spaß machen. Als Schauspieler bist du immer nur ein kleiner Teil von einer solchen Kreation. Der Regisseur hat da doch deutlich mehr Einfluss auf alles. Dadurch, dass ich damals lange mit Tom Tykwer zusammen war, habe ich viele Einblicke gekriegt. Ich fand das immer spannend, mit ihm im Schneideraum zu sein. Oder auch die Postproduktion. Und das wollte ich einfach auch. Ich habe schon immer viel geschrieben. „Home“ ist dann mein erstes Drehbuch geworden. Und das wollte ich eben auch selbst umsetzen, weil mir beim Schreiben schon so viel eingefallen ist: der Look, die Musik.

Viele Schauspieler und Schauspielerinnen, die Regie führen, übernehmen auch selbst eine Rolle, teilweise sogar die Hauptrolle. Stand das für Sie je zur Debatte?

Nein. Ich glaube, das sind dann andere Gründe, warum man Regie führen möchte als bei mir. Ich habe auch Freunde, die haben das Gefühl, sie hätten nie wirklich eine Chance gekriegt und würden gerne mal etwas anderes spielen. Und da ihnen niemand eine solche Rolle anbietet, schreiben sie sich die Rolle selber, was auch völlig okay ist. Das Gefühl hatte ich nie. Bei mir waren nie solche Wünsche offen. Regie führen ist außerdem ein so umfangreicher Job, dass ich gar nicht weiß, wie die das machen. Man ist als Regisseur ja wirklich jede Sekunde involviert. Ich war das zumindest und wollte das auch. Gleichzeitig eine Innensicht und eine Außensicht anzubieten, das wäre mir zu viel gewesen. Aber da ist jeder anders.

Dann kommen wir auf die Geschichte zu sprechen. Wie kamen Sie auf die Idee hierfür? Warum wollten Sie diese unbedingt erzählen?

Um ehrlich zu sein, war mir einfach langweilig. Und Schreiben ist eine super Sache, das kannst du praktisch überall machen. Das ist in der Hinsicht so wie Joggen. Als ich mit der Geschichte angefangen habe, war ich gerade in London und habe in der Serie „Taboo“ mit Tom Hardy mitgespielt. Die hatten damals ziemlich viele Probleme mit dem Wetter, weshalb ich regelrecht festsaß in London und meine Familie vermisst habe. Die Idee war: Was wäre, wenn jemand, der wie ich aus einem Kleinstadtkontext kommt und sich irgendwie schuldig macht, in diesem Kontext bleiben will? Jemand, der entgegen aller Erwartungen bleibt und den man auch wiedererkennt. Es gab in der Stadt, in der ich aufgewachsen bin, so einen Rothaarigen, der uns Mädchen immer mit dem Fahrrad hinterhergefahren ist. Das fanden wir total unheimlich und haben uns alles Mögliche Schlimme ausgedacht, was das für ein Typ ist. Denn wir kannten den nicht. Das war der Anfangspunkt für meine Geschichte. Außerdem hatte ich schon früh das Bild im Kopf von einem Mann, der etwas ganz Zerbrechliches hat, gleichzeitig aber auch all diese Tattoos und etwas Männliches hat. Marvin ist eben beides.

In dem Film geht es viel um das Thema Vergebung, weil Marvin zuvor einen Menschen getötet hat. Aber warum sollte ich jemandem vergeben, der einen Menschen getötet hat, der mir nahesteht? Ein bisschen wird das der anderen Familie ja aufgezwungen.

Es wird ihnen insofern aufgezwungen, weil Marvin wieder zurück ist und das Thema damit wieder präsent. Ob sie ihm vergeben müssen? Darauf habe ich ehrlich gesagt keine Antwort. Ich laufe nicht herum und sage allen, dass sie vergeben müssen. Mir geht es mehr darum aufzuzeigen, dass es schwierig ist. Im Film nehme ich ja die Perspektive von Marvin ein. Und klar hat er etwas Schlimmes getan. Das weiß er auch. Aber er hat Sühne getan, war jahrelang im Gefängnis. Und es gibt nun einmal dieses unausgesprochene Versprechen an die Leute, die ins Gefängnis gehen, dass sie nach dem Absitzen ihrer Strafe frei und frei von Sünde sind. Das ist wie das Versprechen in jedem Gottesdienst: Wenn ich gesündigt habe und danach entsprechend bete, dann ist es auch wieder gut. Ich will jetzt gar nicht sagen, dass man im Anschluss das tatsächlich vergeben muss und jemand frei von Sünde ist. Mich interessiert mehr die Mechanik und die Frage, ob wir als Gesellschaft diesem Versprechen nachkommen können oder ob das eigentlich zu viel verlangt ist.

Und haben Sie auch eine Antwort auf diese Frage?

Wahrscheinlich kannst du darauf keine allgemeingültige Antwort geben. Ich für meinen Teil würde sagen, dass man es versuchen sollte und es versuchenswert ist. Dass es auch moralisch gesehen richtig ist. Aber das lässt sich natürlich leicht sagen, wenn man selbst nicht in der Situation ist. Wäre jemand ermordet worden, der mir nahe steht, hätte ich dieselben Hassgefühle. Weil das menschlich ist. Es ist schon interessant zu sehen, wie es da diese wahnsinnige Kluft gibt, und sich in einen Menschen hineinzuversetzen, der auf diese Vergebung angewiesen ist.

Das habe ich mich beim Anschauen des Films auch gefragt: Wenn ich in der Position von jemandem wäre, der anderen vergeben muss, wüsste ich nicht einmal, wo ich anfangen soll mit diesem Vergebungsprozess …

Im Kleinen exerzieren wir das ja auch so durch. Das sehen wir gerade jetzt in der Pandemie: Jeder kennt bestimmt einen Menschen, der eine andere Meinung hat. Kündigt man eine Freundschaft, weil jemand sich nicht impfen lassen will oder keine Maske aufsetzen will? Das geht ja da schon los. Man ist da im letzten Jahr schon sehr getestet worden. Damit verbunden ist auch immer die Frage: Wie sehe ich mich eigentlich im Rahmen einer Gemeinschaft? Das wird gerade dann auch schwierig, wenn ein Land so geteilt ist wie die USA und Ereignisse wie die Black Lives Matter Bewegung spalten ohne Ende. Vergebung kann auch bedeuten, eine völlig andere Meinung zu akzeptieren, von jemandem, der auf einer krass anderen Seite steht. Der Anfang wäre schon gemacht, wenn beide Seiten offen versuchen, die andere zu verstehen.

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Kathy Bates und Jake McLaughlin als Mutter und Sohn in dem Drama „Home“ über einen verurteilten Mörder, der von vorne anfangen will (© Weltkino)

Marvin hat nicht nur wegen seines Verbrechens Schwierigkeiten, wieder in seiner Heimat Fuß zu fassen. Er ist durch seinen Gefängnisaufenthalt fast sein halbes Leben lang weg gewesen und ist jetzt mit vielem überfordert, was sich seither getan hat. Er scheitert sogar schon am Versuch, am Handy ein Gespräch anzunehmen. Lässt sich so jemand, unabhängig von seinem Verbrechen, überhaupt wieder integrieren?

Hier in den USA werden jedes Jahr 600.000 Häftlinge entlassen. Die stehen genau vor demselben Problem. Ich glaube schon, dass eine Integration möglich ist. Aber alleine geht das nicht. Selbst so letztendlich banale Sachen wie das mit dem Handy können ein Hindernis werden. Oder dass jemand nicht weiß, was „Game of Thrones“ ist und deshalb nicht mitreden kann. Am besten ist es, wenn du bei der Familie andocken kannst oder auch Kumpels von früher hast, mit denen du sofort wieder zusammenkommst. Natürlich gibt es zweite Chancen. Natürlich können sich Leute komplett neu erfinden. Unser Hauptdarsteller Jake McLaughlin hat zum Beispiel ganz viel gemeinsam mit der Figur. Er war schon mit 19 als Soldat im Irak und kommt aus einem ähnlichen Background. Der musste auch lernen, nach diesen Erfahrungen wieder ein normales Leben führen zu können. Inzwischen ist er Schauspieler und kann auf diese Weise diese dunklen Erfahrungen verwenden. Das hat mich bei ihm sehr beeindruckt, weil er auch emotional sehr durchlässig war. Er ist der Beweis, dass das geht.

Eng mit der Geschichte von Marvin ist die Idee der Heimat verbunden. Ihr Film heißt ja auch „Home“. Wie würden Sie Heimat definieren?

Ich bin in der Hinsicht natürlich ein komischer Hybrid. Für mich gibt es da zwei Heimatbegriffe. Da ist zum Beispiel meine Heimat Deutschland, wo ich aufgewachsen bin und zu dem ich immer noch enge Beziehungen habe. Meine Familie lebt dort, gute Freunde leben dort. Ich fahre auch öfter hin. Vieles, was mich als Mensch ausmacht, kommt dort her. Heimat ist also eng mit deiner Herkunft verbunden. Gleichzeitig ist Heimat der aktuelle Ort, den man sich baut und wo alles möglich ist. Wo ich ich sein kann. Wo ich meine Ziele erreichen kann. Wo ich auch Fehler machen kann. Das ist bei mir die USA. Von daher ist das eigentlich so ein Changieren. Das merke ich auch bei der Arbeit: Ganz viel von „Home“ basiert auf meinem Background in einer deutschen Kleinstadt. Auf meiner Erinnerung an meine Oma im Dorf. Darüber habe ich auch viel mit Kathy Bates gesprochen, die die Mutter von Marvin spielt, und wir haben festgestellt, dass es da ganz universelle Gemeinsamkeiten gibt. Man ist also vieles und nicht nur eins.

Gibt es in einer Welt, in der alle vernetzt und unterwegs sind, überhaupt noch eine wirkliche Heimat?

Das ist eine gute Frage. Heimat ist nicht nur ein Ort, ist nicht nur Brezeln und Brot, auch wenn dieses Taktile oder auch Gerüche schon dazu gehören können. Heimat ist letztendlich vor allem etwas Emotionales. Wo kann man man selber sein? Wo kann man der sein, der man sein möchte? Wo wird man angenommen, wie man ist? Und das ist für mich sowohl in Deutschland wie auch in den USA der Fall.

Sie haben schon McLaughlin und Bates angesprochen. Wie schwierig war es, für Ihren Film die richtige Besetzung zu finden? Gerade bei einem Film wie „Home“, der sehr nahe an den Figuren ist, ist das ja sehr wichtig.

Eigentlich ging das relativ gut. Kathy war als erste besetzt. Sie war auch sehr loyal und hat alles abgewartet und mitgemacht, bis der Film finanziert war. Sie war ein wichtiges Rückgrat des Films. Lil Rel Howery war auch sehr früh fest. Beim Hauptdarsteller war das schon ein wenig hin und her. Jake war am Ende dann ein Glücksgriff, das hat wie die Faust aufs Auge gepasst. Aisling Franciosi kannte ich aus „The Nightingale“. James Jordan, der den aggressiven Bruder spielt, war fantastisch in „Wind River“. Dass mein Mann Derek Richardson mitspielt, war sowieso klar, ich hatte seine Rolle ja für ihn geschrieben. Insofern ging das alles Schlag auf Schlag und wir haben wirklich die bekommen, die wir kriegen wollten.

Und wie geht es jetzt bei Ihnen weiter? Welche Projekte sind geplant?

Das wird sich jetzt ein wenig zeigen. Wir bewegen uns erst langsam aus der Pandemie heraus und müssen schauen, wie es weitergeht. Während der Zeit habe ich drei Drehbücher geschrieben. Da kann es dann auch sein, dass etwas damit passiert. Aber da ist noch nichts spruchreif. Auf jeden Fall hoffe ich, dass es mit der Regie weitergeht, weil das eine tolle Erfahrung für mich war.

© Weltkino Filmverleih, Foto Vera Anderson
Zur Person
Franka Potente wurde am 22. Juli 1974 in Münster geboren. 1994 begann sie eine Schauspielausbildung an der Otto-Falckenberg-Schule in München, brache diese aber nach zwei Jahren ab. Später belegte sie einen Kurs am Lee Strasberg Theatre and Film Institute in New York. Ihre erste Hauptrolle spielte sie in der Tragikomödie Nach Fünf im Urwald (1995) als jugendliche Ausreißerin im Großstadtdschungel. Der Durchbruch gelang ihr 1998 mit dem Actionthriller Lola rennt, dem eine Reihe internationaler Produktionen folgte, darunter Blow (2001) und Die Bourne Identität (2002).



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