Der gläserne Turm
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Der gläserne Turm

Inhalt / Kritik

Der gläserne Turm
„Der gläserne Turm“ // Deutschland-Start: 24. Oktober 1957 (Kino) // 18. Juni 2021 (DVD)

Nach dem Ende des Krieges hat die Schauspielerin Katja Fleming (Lilli Palmer) den Industriemagnaten Robert Fleming (O. E. Hasse) geheiratet und sich ganz von der Bühne verabschiedet. Da er sie noch aufgrund ihrer Darstellung der Ophelia in einer „Hamlet“-Inszenierung in Erinnerung hat, will der US-Autor und einstige GI John Lawrence (Peter van Eyck) sie aber unbedingt für die Titelrolle in seinem neuen Stück besetzten, welches am Berliner Schauspielhaus inszeniert wird. Dort macht man ihm wenig Hoffnung, doch Lawrence lässt sich nicht von seinem Vorhaben abbringen, sodass es vor allem seiner Hartnäckigkeit geschuldet ist, dass Katja letztlich doch zusagt. Als ihr Mann schließlich von einer Geschäftsreise in Indien nach Hause kommt, nimmt er die Veränderung in seiner Frau mit großer Beunruhigung wahr, denn nicht nur verbringt sie aufgrund der Proben immer weniger Zeit in der gemeinsamen Wohnung, auch die Beziehung zu Lawrence erscheint ihm verdächtig. Durch sanften Druck will er Katja davon überzeugen, dass sie die Rolle wieder aufgibt, doch ihre neu gefundene Selbstständigkeit sowie die Leidenschaft, wieder auf der Bühne zu stehen, will Katja nicht aufgeben.

Im Laufe der nächsten Wochen bleibt der Druck jedoch nicht ohne Spuren, denn Katja kann nicht schlafen, leidet an Schwächeanfällen und bricht immer wieder in Tränen aus. Immer mehr findet sie Halt in der Beziehung zu Lawrence, die mittlerweile alles andere als professioneller Natur ist, was auch Fleming ahnt.

Von Erfolg und Untergang

Aufgrund seiner zahlreichen Arbeiten gehört Regisseur, Produzent und Drehbuchautor Harald Braun zu den prägendsten Figuren des deutschen Nachkriegskinos. Als Sohn eines Pfarrers lag es ihm vielleicht schon in der Wiege, sich in seinem Filmen vor allem mit religiösen und ethischen Fragen zu befassen sowie deren Relevanz in der deutschen Wirklichkeit nach 1945. Für Der gläserne Turm arbeitete er daher nicht nur mit namhaften Darstellern wie Lilli Palmer oder Peter van Eyck zusammen, sondern auch mit Autor Wolfgang Koeppen, der in seinem Roman gleichfalls einen kritischen Blick auf die Wirtschaftswunderjahre warf. Entstanden ist dabei ein Drama über die Identität Deutschlands nach dem Krieg, über Wahrhaftigkeit und Gefangensein.

Der Wolkenkratzer, in dem sich unter anderem die Wohnung der Flemings befindet, bildet den Anfang dieses Filmes und gleichzeitig ein zentrales Motiv. Gleich beim ersten Blick fällt dem Autor Lawrence der Kontrast zwischen diesem Symbol des Aufschwungs und des Erfolgs auf und den noch immer brachliegenden Ruinen auf der anderen Straßenseite. Dieses letzte Bild ist eines der wenigen, die sich Brauns Inszenierung erlaubt, um auf die Zeit der Not und den Wiederaufbau zu verweisen, doch es hallt noch lange nach. Besonders in den Köpfen der Menschen, der von Lilli Palmer gespielten Katja oder dem von O. E. Hasse gespielten Robert Fleming, scheinen diese Eindrücke noch immer sehr lebendig zu sein, wie auch die Sehnsucht, sich von dieser Erinnerung loszusagen, auch wenn ihre Wege dies zu erlangen sich sehr unterscheiden.

In den Bildern Friedl Behn-Grunds bleibt diese Vergangenheit immerzu lebendig. Immer scheint es um die Verdrängung dieser Erinnerung zu gehen, die sich dennoch in das kollektive Unterbewusstsein eingegraben hat. Allein die öffentlichen Auftritte der Flemings, beispielsweise bei der Einweihung eines neuen Bauwerks, wird im Kontext der Handlung enttarnt als Fassade und Täuschungsmanöver, während sich dahinter eine tiefgehende Sinnkrise der beiden Eheleute abspielt.

Im Glaskäfig

Der Wohlstand ist in Der gläserne Turm auch immer eine Art Gefängniszelle. Der feinsinnige Lawrence spricht dies bereits nach wenigen Momenten in der Wohnung der Flemings aus, in welcher Metall, Marmor und vor allem Glas dominieren. Innerhalb der Handlung stehen die phänomenalen Kulissen von Architekt Walter Haag für einen weiteren Kontrast, der für alle Figuren zum Verhängnis wird. Gerade im Nachkriegskino wird immer wieder die Umgehung oder Verdrängung der Erfahrung von Not und Armut thematisiert, und welche Opfer man für diese Tat bereit war zu machen. In diesem Falle ist es die Aufgabe von Selbstständigkeit und Freiheit innerhalb des gläsernen Panopticons, in welchem man sich zu keiner Zeit wirklich zurückziehen kann.

Insbesondere Palmer und Hasse spielen dieses Dilemma sehr überzeugend. Neben dem Scheitern jenes Wohlstandversprechens geht es um ein Lebenskonzept, welches droht zu zerbrechen und um das man kämpft. Es ist die Entscheidung zwischen „vorwärts und zurück“, die beiden bevorsteht und über deren Untergang bestimmt.

Credits

OT: „Der gläserne Turm“
Land: Deutschland
Jahr: 1957
Regie: Harald Braun
Drehbuch: Odo Krohmann, Wolfgang Koeppen, Harald Braun
Musik: Werner Eisbrenner
Kamera: Friedl Behn-Grund
Besetzung: Lilli Palmer, O. E. Hasse, Peter van Eyck, Hannes Messemer, Brigitte Horney, Ludwig Linkmann, Gerd Brüdern

Bilder

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„Der gläserne Turm“ ist ein Drama über Wohlstand und Identität im Nachkriegsdeutschland. Vor allem die Darsteller und die Kulissen wissen in Harald Brauns Films zu überzeugen und machen diesen zu einem vielschichtigen Porträt über Lebenskonzepte nach einer Erfahrung der Not.
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von 10