Red Moon Tide Lúa vermella
© Zeitun Films 2020

Red Moon Tide

Inhalt / Kritik

Red Moon Tide Lúa vermella
„Red Moon Tide“ // Deutschland-Start: 20. April 2021 (Mubi)

In einem kleinen Dorf an der galizischen Küste scheint die Zeit stillzustehen. Die Bewohner verharren in einer Art Schockstarre und bewegen sich höchstens im Zeitlupentempo, aber nie weit weg von dem Platz, an dem sie überfiel, was auch immer über das Dorf gekommen ist. Die Natur um sie herum bewegt sich in normalen Tempo weiter, doch scheint auch von eben jenem dunklen Phänomen beeinflusst zu sein, das die Bewohner befallen hat. Die Kamera zeigt den Hafen, die Küste, einige Häuser sowie den Damm und die umliegenden Wälder, und nach einiger Zeit hören wir die Stimmen der Bewohner. Langsam aber sich ergibt sich aus ihren Berichten ein Gesamtbild, die Geschichte eines Fischers namens Rubio, dessen Boot in den Fluten sank und der wahrscheinlich im Meer ertrank. Je nach dem, wem man zuhört, gibt man dem Seemann die Schuld an dem, was im Dorf vor sich geht, oder man hört, wie Rubio von einem großen Monster im Meer verschlungen wurde. Vielleicht ist er sogar jenes Monster geworden, dessen Einfluss sich nun auch außerhalb des Meeres bemerkbar macht.

Auch halten sich Gerüchte um Rubios Familie, beispielsweise, dass seine Mutter eine Hexe sei und dass sich mit dem Eintreffen des roten Mondes eine grausame Prophezeiung erfüllen werde. Schließlich vergeht die Zeit, tausend Jahre, und drei Hexen kehren ins Dorf, jedoch weiß niemand so recht, ob sie nun den Bewohnern helfen können oder Teil jener unheilvollen Vorsehung sind, welche den Untergang für die Menschen nach sich zieht.

Im Bauch der Bestie

Mit Red Moon Tide legte der galizische Regisseur Lois Patiño seinen ersten Spielfilm vor, der sich nahtlos an die Ästhetik seiner vorangegangenen Kurz- und Dokumentarfilme einfügt. Mehr als dankbar wirkt der Filmemacher in seinem Kommentar zu Red Moon Tide, der dieser Tage auf MUBI angelaufen ist, und in welchem er sich zurückerinnert an den Moment, als sein Film auf der Berlinale in einem Kinosaal gezeigt wurde, was im April 2021 eine Realität ist, die Jahre zurück scheint. Mit den Mitteln des Mediums, so Patiño, wollte er die reiche Mythen- und Sagenwelt Galiziens genauer erforschen, vor allem aber das ambivalente Verhältnis zur Natur und dem Tod, das einen nicht unwesentlichen Teil dieser Kultur ausmacht. Herausgekommen ist dabei weniger ein Film, sondern mehr eine mystische Vision von einer Gesellschaft, die ihrem Untergang entgegensieht, unfähig, sich gegen diesen zu wehren.

Reichlich unbeholfen wirkt die Genrebezeichnung „Drama“ in Bezug auf ein Werk wie Red Moon Tide. Der Zuschauer wird vielmehr Zeuge eines Horrorfilms, einer wahren Schreckensvision, die  wenig zu tun hat mit Vampiren, Zombies oder Werwölfen, sondern mit einer ungefähren Bedrohung, bei der man sich nicht sicher ist, ob sie tatsächlich existiert. Patiños Bilder wirken dabei wie die Kompositionen von Malern wie Hieronymus Bosch oder die Filme von Lars von Trier aufgrund ihrer intensiven Farben sowie der Betonung von Themen wie Tod, Stillstand und einer Ahnung von einer Gefahr, die sich unaufhaltsam ihren Weg bahnt. Die Stimmen, augenscheinlich ohne jeden Bezug zu dem abgebildeten Menschen, mutmaßen über Monster, Hexen und andere Phänomene, bei denen sich weder die Figuren noch der Zuschauer sicher sein kann, ob es sich dabei um Realität oder nur um eine Einbildung handelt. Nichts ist sicher, was die Bilder in Red Moon Tide noch beunruhigender macht.

Giftiger Schall

Die Figuren in Red Moon Tide existieren in einer Art Geisterwelt, sind selbst zu Gespenstern geworden. Gefangen in ihrer eigenen Angst, ihren Geschichten von Monstern und Hexen verharren sie und erwarten nur noch den Untergang. Schritte, Stimmen oder andere Geräusche kommen scheinbar aus dem Nichts und wirken ebenso gespenstisch, ohne dass man sich erklären könnte, ob es sich hierbei ebenfalls um eine Einbildung handelt oder um eine tatsächliche Bedrohung. Das beachtliche Sounddesign, kombiniert mit der Kraft der Bilder, betont den Eindruck eines bevorstehenden Ereignisses, welches vielleicht sogar alleine durch eben jene Narrative der Dorfbewohner ausgelöst wurde.

Im Kontext einer Filmlandschaft, die sich, gerade im Mainstreamkino, immer mehr im Konkreten verliert, schöpft Lois Patiño aus der Vieldeutigkeit des Mediums und seiner Mittel. Dabei gelingt ein Film, den man als Kunstwerk ansehen muss, welches nicht leicht zu entschlüsseln ist, aber gerade für Filmfans und Cineasten eine echte Entdeckung sein dürfte.

Credits

OT: „Lúa vermella“
Land: Spanien
Jahr: 2020
Regie: Lois Patiño
Drehbuch: Lois Patiño
Kamera: Lois Patiño
Besetzung: Ana Marra, Carmen Martínez, Pilar Rodlos, Rubio de Camelle

Bilder

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„Red Moon Tide“ ist ein wahres Kunstwerk von einem Film. Der Spanier Lois Patiño zeichnet das Bild einer unwirklichen Welt, einer zwischen Realität und Fiktion, deren Figuren stillstehen, scheinbar aufgrund ihrer Angst. Die Bilder, welche Patiño werden noch lange im Zuschauer nachhallen, und sagen bei genauem Hinsehen viel mehr über unsere Wirklichkeit aus als so manche auf Realismus bedachte Mainstreamproduktion.
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