Lass uns abhauen
© HFF

Lass uns abhauen

Inhalt / Kritik

Lass uns abhauen
„Lass uns abhauen“ // Deutschland-Start: 4. Dezember 2021 (Amazon Prime Video)

Frieda (Anja Thiemann) braucht Urlaub. Und zwar gleich. Ohne lang zu zögern werden die Tageseinnahmen der Bar, in der sie arbeitet, zur Wunscherfüllung umfunktioniert. Gerade sind die ersten Schritte getan, begegnet sie allerdings ganz unvermittelt und unter ungewöhnlichen Umständen Oskar (Sebastian Urzendowsky). Der Physikstudent ist nämlich gerade im Begriff, sich das Leben nehmen zu wollen, und wird eigentlich nur widerwillig von Frieda gerettet. Die wiederum entschließt sich kurzerhand Oskar für ihren Urlaub mit einzuspannen. Immerhin kann er Auto fahren und darf sogar das Reiseziel ihres Roadtrips bestimmen. Richtig begeistert ist Oskar natürlich nicht, kann sich allerdings der forschen Natur von Frieda kaum entziehen und so beginnt die Reise nach Norwegen, die nicht nur Überraschungen, sondern auch mehr Veränderungen mit sich bringt und beide mehr zusammenschweißt, als sie es überhaupt für möglich gehalten hätten.

Persönlich und sympathisch

Lass uns abhauen ist das Langfilmdebüt von Regisseurin Isa Micklitza, welches auf einer sehr persönlichen Erfahrung fußt und das sich den Fragen hingibt „Was wäre wenn…“ und „Wäre es anders gewesen hätte ich…“.

Das komödiantische Drama stürzt sich jedoch nicht sofort auf die Schwermut der Thematik, sondern wagt sich zunächst an einen überaus sympathischen Einstieg, in dem es einen älteren Herren dabei beobachtet, der sich gedankenversunken als Letzter in der Bar ganz und gar der Musik hingibt. Eine Szene, die in ihrer Leichtigkeit, Unbeschwertheit und fast schon hypnotisierenden Art eher an amerikanische Indiefilme erinnert, die die Protagonistin Frieda allerdings sogleich unterbricht und nicht nur den Gast, sondern auch das Publikum unmittelbar in die traurige Realität zurückholt. Unweigerlich wird die junge Frau schon hier mit der Thematik Tod und Vergänglichkeit konfrontiert und sieht sich auch im weiteren Verlauf von diesen verfolgt. Sei es dabei manchmal nur der Blick auf ein Bestattungsunternehmen während eines Zwischenstopps oder der Drang, die einzelnen grauen Haare loswerden zu wollen. Wo der aufgegabelte Oskar noch zunächst dem eigenen Ableben entgegenseht, zeigt sich Frieda, versteckt hinter ihren vorlauten, manchmal gar unsensibel wirkenden Natur, hin und wieder besorgt, ein Stück weit ängstlich und würde allem, was mit der Endlichkeit des Lebens zu tun hat, am liebsten aus dem Weg gehen. Der Grund dafür ist wenig überraschend, tut allerdings der überaus angenehmen Erzählstruktur keinen Abbruch, die weniger mit Unvorhergesehenem, als mit der langsam aufkeimenden Freundschaft und Zuneigung beider füreinander besticht.

Zwischen Komik und kleinen Erkenntnissen

Diese Freundschaft wird von einer zuweilen komödiantischen Dynamik getragen, die immer wieder in spontanen, gelegentlich unüberlegten Situationen mündet, wie das Abfangen des Abschiedsbriefs, den Oskar seiner Familie geschickt hat, oder das Carsharing der etwas anderen Art, um nach Norwegen zu kommen. Dabei offenbaren sich Frieda immer weiter die Gründe für Oskars Depression und Hoffnungslosigkeit, die sie jedoch zur Krisenbewältigung nicht weiter vertieft, sondern lediglich zur Kenntnis nimmt und vielmehr versucht, Oskar aus der Reserve zu locken und so etwas wie Lebensgeist in ihm zu wecken.

Was ihr tatsächlich auch immer wieder gelingt, so sehr sich der Physikstudent auch dagegen sträubt, der zwanghaft die Halbwertszeiten von menschlichen Beziehungen ausrechnet. Denn tatsächlich werden im Verlauf ihrer Reise alte Muster immer unwichtiger und die Erlebnisse verleiten zu Ausgelassenheit, Wahrnehmung von kleinen perfekten Augenblicken und die Erkenntnis (für beide), wie einfach es manchmal sein kann zu sehen und gesehen zu werden.

Die dokumentarische Reise ans Ziel

Wenngleich Lass uns abhauen das Rad hinsichtlich der Geschichte und ihrer Charaktere nicht gänzlich neu erfindet, so macht die stilistische Ausgestaltung den Film zu einem zauberhaften wie charismatischem Abendfüller. Das liegt zum einen auch an der verführerischen wie hinreißenden Akustikmusik von Lion Bischof, der eigentlich Dokumentarfilmregisseur ist, hier aber seiner musikalischen Kreativität freien Lauf ließ, und zum anderen aber auch an der hervorragenden Kameraarbeit von Zoë Schmederer. Im dokumentarischen Stil begleitet das Team Rund um Isa Micklitza, die zwei Charaktere auf ihrem tatsächlich stattgefundenen Roadtrip, der am Ende doch noch, wenngleich auch auf ganz andere Weise, die Nordlichter und sein Ziel findet.

Credits

OT: „Lass uns abhauen“
Land: Deutschland
Jahr: 2018
Regie: Isa Micklitza
Drehbuch: Isa Micklitza
Kamera:  Zoë Schmederer
Musik: Lion Bischof
Besetzung: Anja Thiemann,  Sebastian Urzendowsky, Ulrike Arnold, Jakob Philipp Graf

Trailer

Kaufen / Streamen

Bei diesen Links handelt es sich um sogenannte Affiliate-Links. Bei einem Kauf über diesen Link erhalten wir eine Provision, ohne dass für euch Mehrkosten entstehen. Auf diese Weise könnt ihr unsere Seite unterstützen.





(Anzeige)

Ein Langfilmdebüt, das mit viel Liebe inszeniert, ein kleiner unaufdringlicher Appell an die Achtsamkeit, die Empathie und eine Geschichte über die Einfachheit von Sehen und Gesehen werden wird. Viele schöne Momente, die, mit bezaubernder Akustikmusik unterlegt, zwei konträre Charaktere zusammenbringen und, gepaart mit großartiger Kameraarbeit und einer charmanten Erzählweise, unerwartet viel Eindruck hinterlassen.
7
von 10