Die Huegel von Istanbul

Die Hügel von Istanbul

Inhalt / Kritik

Die Huegel von Istanbul
„Die Hügel von Istanbul“ // Deutschland-Start: 26. Februar 2021 (digital) // 22. September 2022 (Kino)

Die Hauptstädte der Welt, sofern man nicht selbst Bewohner von ihnen ist, lernt man meist aus der Perspektive des Außenseiters kennen. Es dauert naturgemäß länger als nur ein paar Wochen, die man dort vielleicht im Urlaub verbringt, um das Gefüge einer Metropole wie Berlin, New York oder Tokio kennenzulernen. Dabei geht es nicht alleine um die Sprache oder die Küche, sondern es geht um die Routinen und die Menschen, welche eine Metropole ausmachen, wobei eben jene, die vielleicht augenscheinlich am untersten Ende der sozialen Hierarchie sind, eine meist sehr erhellende Perspektive auf die Stadt haben. Interessant ist dabei nicht nur, was sie zu erzählen haben und welche Sichtweise sie auf bedeutenden politische oder gesellschaftliche Ereignisse haben, sondern inwieweit die Stadt in ihren Geschichten und Erlebnissen eine Nation oder Kultur widerspiegelt. Nicht umsonst ist gerade die Perspektive von Bettlern, Obdachlosen oder Arbeitslosen eine oft gewählte Sicht, welche in Romanen oder Filmen die Geschichte erzählen.

Eine solche Perspektive bildet auch das Fundament der Dokumentation Die Hügel von Istanbul von Regisseurin Ellen Rudnitzki, welcher aufgrund der Corona-Pandemie Ende Februar 2021 seine digitale Premiere feierte im Rahmen der Filmreihe „Tüpisch Türkisch“. Seit 16 Jahren bildet die türkische Metropole einen wichtigen Aspekt in Rudnitzkis Leben, sodass sie genug Zeit hatte, die verschiedenen Facetten Istanbuls kennenzulernen. Als sie auf die vielen Müllsammler in der Stadt aufmerksam wurde, die durch diese Beschäftigung ihren Lebensunterhalt verdienen, stellte sie sich die Frage, wie diese wohl den Alltag in der Stadt wahrnehmen, wie sie im Kommentar zu Die Hügel von Istanbul erläutert. Entstanden ist dabei ein Porträt von Menschen, die am untersten Ende der sozialen Leiter stehen, ihres Alltags, ihrer Sorgen und ihrer Familien, die teils sogar außerhalb Istanbuls leben. Über Menschen wie den Roma Bayram Renklihava oder den Kurden Ahmet Yaşar gelingt darüber hinaus ein interessanter Perspektivwechsel, äußern diese doch oft sehr hellsichtige Gedanken über die politischen und gesellschaftlichen Ereignisse, welche in den letzten Jahren die Türkei prägten.

Aus der Sicht eines Müllsammlers

Es sei eine gefährliche Arbeit, leitet Bayram die Beschreibung seiner Tätigkeit ein, und die erfordere viel Durchhaltevermögen, doch am Ende gewinne vor allem die Neugierde darauf, was der Müll über den Verursacher aussage. Später wird die Kamera die Wohnungen Bayrams und Ahmets zeigen, wo sie, nicht ganz ohne Stolz, beschreiben, was sie alles auf dem Müll gefunden haben und nun ihr Eigentum ist. Dies ist die eine Seite, die in Rudnitzkis Dokumentation eine wichtige Rolle spielt und sich genauer mit den Protagonisten befasst, beides augenscheinlich Außenseiter der Gesellschaft, welche aber innerhalb ihres eigenen Mikrokosmos, ihrer Nachbarschaft wie auch der Gemeinschaft der anderen Müllsammler, voll integriert sind und diese keinesfalls missen wollen. Mit einer Mischung aus Humor und Bitternis in der Stimme kommentiert beispielsweise Bayram über die Art und Weise, wie man auf ihn herabsieht, das man ihn auf die Stufe des Müllsammlers herabstuft, doch dann zeigt er sein Erstaunen über die Höhe der Verschwendung, von der er, wie auch viele andere, ihren Nutzen ziehen.

Aus der Sicht der beiden Hauptfiguren ergeben sich überraschende Einsichten, vor allem, da Bayram als Roma und Ahmet als Kurde per Definition schon in gewissem Sinne Außenseiter innerhalb der türkischen Gesellschaft sind. Während sie Prozesse wie Gentrifizierung bedrohen, vor allem ihre Wohnungen in Istanbul, die sie vielleicht bald aufgeben müssen, erscheinen sie andererseits als genaue Beobachter von Ereignissen wie dem missglückten Putsch-Versuch 2016, den beispielsweise Ahmet auf eine Art und Weise deutet, die man als scharfen Kontrast zu der nationalistischen Propaganda sehen kann, welche im Anschluss die Straßen Istanbuls definiert.

Credits

OT: „Die Hügel von Istanbul“
Land: Deutschland
Jahr: 2020
Regie: Ellen Rudnitzki
Musik: Hans Engel, Ali Reza Ökzan
Kamera: Ellen Rudnitzki

Trailer



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Die Hügel von Istanbul
fazit
„Die Hügel von Istanbul“ ist eine teils sehr erhellende Dokumentation über die Stadt Istanbul aus der Sicht zweier Müllsammler. Ellen Rudnitzki zeigt das Leben und den Alltag ihrer beiden Hauptfiguren, ihre Sorgen, doch auch ihr Glück sowie ihre interessanten Sichtweisen auf politische wie auch soziale Prozesse.