Wild Indian

Wild Indian

Inhalt / Kritik

Das Leben ist nicht einfach für Makwa (Phoenix Wilson) und Ted-O (Julian Gopal), zwei Anishinaabe-Jungen, die in den 1980ern in einem Reservat aufwachsen. Vor allem Makwa leidet sehr unter seiner Situation, unter dem Missbrauch zu Hause, unter dem Mobbing an der Schule. Bis es eines Tages aus ihm herausbricht und es zu einem brutalen Zwischenfall kommt. Jahre später haben sich die Wege der zwei getrennt. Während Mawa (jetzt: Michael Greyeyes), der sich inzwischen Michael nennt, weit weg von zu Hause Karriere bei einer Marketingfirma macht und glücklich mit Greta (Kate Bosworth) verheiratet ist, hat Ted-O (Chaske Spencer) nie wirklich überwunden, was an diesem Tag vorgefallen ist. Und so macht sich der Mann, frisch aus dem Gefängnis entlassen, auf den Weg, seine Vergangenheit zu konfrontieren …

Die schwierige Lage der Native Americans

Arbeitslosigkeit, Alkoholismus, fehlende Perspektiven: Wann immer Filmschaffende aus dem Leben der Native Americans erzählen, die in irgendwelchen Reservaten zusammengeschlossen werden, dann wird es oft dramatisch. Da geht es dann oft um Rassismus und damit verbundene Einschränkungen, wie in Wind River. Zuletzt erschienen auch diverse Coming-of-Age-Geschichten, in denen junge Menschen zwischen isolierter Tradition und der großen weiten Welt sich selbst suchen – siehe etwa Kuessipan. Gerade die Abgeschiedenheit der Reservate, die nicht Teil des „normalen“ Amerikas sind, führen unweigerlich zu Identitätsfragen.

Das ist bei Wild Indian nicht anders, das beim Sundance Film Festival 2021 Weltpremiere feierte. Ausgrenzung und die Suche nach dem eigenen Ich sind zentrale Bestandteile des Thrillerdramas über zwei Jungen, die gemeinsam aufwachsen, bevor sie völlig unterschiedliche Wege einschlagen. Auf der einen Seite ist Makwa, der die Spuren seiner Vergangenheit auszulöschen versucht. Wenn er seinen alten Namen ablegt, um sich Michael zu nennen, dann ist das ebenso symptomatisch wie seine Ehe mit einer schönen, blonden Weißen, die der Beleg dafür ist: Er hat es geschafft, er ist weg gekommen. Zumindest hofft er das, zwischendurch gibt es auch Anzeichen dafür, dass er sich seiner Sache nicht so sicher ist, wie er es gerne wäre.

Gefangen in der Vergangenheit

Auf der anderen Seite ist Ted-O, bei dem irgendwann alles den Bach runterging. Wo Michael sich vorzeigbaren Gepflogenheiten hingibt, er nach etwas aussehen möchte, da ist sein Cousin von Kopf bis Fuß mit Tätowierungen überseht. Und natürlich haben auch die zehn Jahre im Gefängnis seine Spuren hinterlassen. Sein Ausweg aus der Misere ist aber konträr zu der Michaels: Wo dieser flieht, alles hinter sich lassen und begraben möchte, da sucht Ted-O das Heil in der Vergangenheit. Sucht sie bei der Familie, wo er wieder unterkommt. Und er sucht sie in der Auseinandersetzung mit der Tat, die ihn sein Leben lang verfolgt hat, die noch immer bestimmt, wer er ist.

Dass zwei derart unterschiedliche Begegnungen mit einer gemeinsamen Geschichte zu Konflikten führt, ist klar. Im Gegensatz zu vielen Filmen, die zu dem Thema gedreht wurden, ist Wild Indian auch kein reines Drama, sondern verbindet dies mit Thrillerelementen. Die eine Seite kämpft darum, die Wahrheit aufzudecken, die andere will das um jeden Preis verhindern, will nichts mehr mit dem zu tun haben, was einmal war. Doch auch bei Michael bricht diese Vergangenheit immer wieder durch, ist nie wirklich vergangen. Tatsächlich kommt es selbst im Erwachsenenalter zu einigen sehr düsteren bis schockierenden Stellen, die ihn zu einer mindestens ambivalenten Figur machen. Wurde er aufgrund seiner Erfahrungen als Kind so gewalttätig? Oder war da schon immer etwas Böses in ihm?

Die Ungewissheit bleibt

Eine wirkliche Antwort darauf gibt Regisseur und Drehbuchautor Lyle Mitchell Corbine Jr. bei seinem Langfilmdebüt nicht, will sie gar nicht geben. Er hält bewusst vieles in der Schwebe. Das kann für manche frustrierend sein oder schlicht zu wenig, das einiges doch nur angeschnitten wird. Auch die Verbindung der beiden Zeitebenen ist eher schwach ausgearbeitet: Der große Zeitsprung lässt kaum direkte Rückschlüsse zu, allenfalls Mutmaßungen. Dafür sind die schauspielerischen Leistungen umso stärker. Vor allem Michael Greyeyes (Die Frau, die vorausgeht) und Chaske Spencer beeindrucken, der eine mit eisiger Kälte, der andere mit dem subtilen Ausdruck eines Schmerzes, der zu groß geworden ist. Dass der Film einen damit allein lässt, ist einerseits gemein, aber doch auch effektiv. Denn hin und her gerissen zwischen Flucht und Rückkehr bleibt man als Zuschauer mit der Ungewissheit zurück, mit verschiedenen Gefühlen, für die es keinen wirklichen Platz zu geben scheint.

Credits

OT: „Wild Indian“
Land: USA
Jahr: 2021
Regie: Lyle Mitchell Corbine Jr.
Drehbuch: Lyle Mitchell Corbine Jr.
Musik: Gavin Brivik
Kamera: Eli Born
Besetzung: Michael Greyeyes, Chaske Spencer, Jesse Eisenberg, Kate Bosworth, Phoenix Wilson, Julian Gopal

Interview

Lyle Mitchell Corbine Jr.Wie ist die Entstehungsgeschichte des Films? Und wie sehr ist er selbst von seiner Herkunft geprägt? Diese und weitere Fragen haben wir Regisseur und Drehbuchautor Lyle Mitchel Corbine in unserem Interview zu Wild Indian gestellt.

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„Wild Indian“ folgt zwei Männern und ihren sehr unterschiedlichen Reaktionen auf einen brutalen Zwischenfall in ihrer Jugend. Der Film lässt dabei vieles bewusst in der Schwebe, ist auch bei den Protagonisten ambivalent. Das wird manchen zu wenig sein, das Thrillerdrama ist aufgrund der intensiven Darstellungen aber sehenswert.
7
von 10