Wind River
© Wild Bunch

Wind River

(OT: „Wind River“, Regie: Taylor Sheridan, USA, 2017)

Wind River
„Wind River“ läuft ab 8. Februar 2018 im Kino

Auch ohne forensische Untersuchungen weiß der Fährtenleser und Jäger Cory Lambert (Jeremy Renner) auf den ersten Blick, dass es sich bei der Leiche um die 18-jährige Natalie handelt. Und auch, dass sie auf der Flucht war, als sie mitten im Schnee zusammenbrach und starb. Aber wovor? Gemeinsam mit Ben (Graham Greene), der als Sheriff in dem Indianer-Reservat arbeitet, und der jungen FBI-Agentin Jane Banner (Elizabeth Olsen) suchen sie nach den Antworten. Doch das gestaltet sich alles andere als einfach. Das Gebiet im schneebedeckten Wyoming ist riesig, Jane hat keinerlei Erfahrungen bei solchen Outdooreinsätzen. Und dann wäre da noch Corys eigene Vorgeschichte, die ihn immer wieder einholt.

Meistens sind es ja die Schauspieler, die zum Aushängeschild eines Filmes werden. Aber auch der eine oder andere Regisseur wird gern genommen, um auf Plakaten von neuen Werken zu werben. Drehbuchautoren haben es da naturgemäß schwerer, im dem Wust an Neuerscheinungen wahrgenommen zu werden. Taylor Sheridan ist eine dieser aktuellen Ausnahmen. Nachdem er sich erst mit dem Drogenthriller Sicario einen Namen machte und anschließend den für einen Drehbuch-Oscar nominierten Western Hell or High Water schrieb, legt er mit Wind River den Abschluss seiner American-Frontier-Trilogie ab. Dieses Mal wollte er die Lorbeeren dann wohl auch ganz für sich haben, weshalb er mit dem eisigen Thrillerdrama gleichzeitig sein Regiedebüt abliefert.

Reizvolle und bedrückende Winterlandschaft
Zum Glück für den Amerikaner – und auch fürs Publikum – steht dieses Debüt den vorangegangenen Visionen nicht nach. Dabei profitiert Wind River aber auch ungemein von dem visuell reizvollen Setting: Wenn wir mit den Ermittlern durch menschenverlassene, unzugängliche Schneelandschaften stapfen, dann ist das ein atemberaubender Anblick. Zudem bringt dieses vergessene Niemandsland eine ganz eigene Spannung mit sich. Jeder Schritt ist ein Kampf gegen die unbarmherzige Natur, die weiten Flächen sind bedrückend und befreiend in einem. Außerdem gleichen sie einem Pulverfass, da die wenigen dort noch lebenden Menschen kaum Möglichkeit haben, Druck abzulassen und sich auszuleben. Kaum eine Person, die hier nicht durch latente Aggressivität auffällt.

Ohnehin ist Wind River sehr viel mehr ein Film über die Menschen als über das Verbrechen. Anfangs tut Sheridan noch so, als hätte er einen klassischen Whodunnit gedreht – wenn auch in einem weniger klassischen Umfeld. Allzu viel sollte man in der Hinsicht aber besser nicht erwarten. Die Spurensuche ist ziemlich geradlinig, die Beweiskette spärlich. Auch bei den Verdächtigen ist aufgrund der geografischen Besonderheit der Fundus recht eingeschränkt. Eine Auflösung findet der Fall. Bei dieser hatte es Sheridan jedoch sehr eilig, was nicht so ganz zu dem ansonsten ziemlich gemächlichen Tempo passt.

Eisiges Drama mit erstklassiger Atmosphäre
Atmosphärisch ist das inhaltlich minimalistische, archaisch anmutende Wind River dafür erstklassig. Der weiße Abgrund fesselt vom ersten Moment an, selbst wenn vordergründig gar nicht viel passiert. Das lebt auch von den zurückgenommenen Darbietungen der Schauspieler. Jeremy Renner wurde aufgrund seiner subtilen Performance, bei der hinter der ruhigen Fassade Trauer und Wut durchschimmern, eine Zeit lang gar als Oscar-Kandidat gehandelt.

Trauer und Wut bestimmen aber auch losgelöst von dem schrecklichen Todesfall das Leben im Reservat. Ähnlich zum kanadischen Kollegen Miséricorde erzählt der Film von einst stolzen Menschen, die an den Rand gedrängt wurden und in Drogen und Alkohol den letzten Trost gefunden haben. Für die sich eigentlich niemand mehr interessiert. Die Suche nach dem Täter, sie bedeutet hier auch den Kampf gegen das Vergessen. Das Vergessen von Natalie, die so jung und unwürdig zu Tode kam. Das Vergessen von den vielen Tausend Fällen misshandelter Frauen in den Reservaten, die den Film inspiriert haben. Ob Sheridan sein Ziel hiermit erreicht, darüber lässt sich zwar streiten, dafür sind die meisten Figuren zu grob angelegt. Aber das kraftvolle, moralisch ambivalente Debüt macht neugierig, was der Filmemacher uns als nächstes beschert – sei es als Regisseur oder als Drehbuchautor.



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Nach seinen hoch gelobten Drehbucharbeiten „Sicario“ und „Hell or High Water“ liefert Taylor Sheridan mit seinem Regiedebüt einen würdigen Abschluss seiner Trilogie vor. „Wind River“ ist dabei nur vordergründig ein Krimi. Vielmehr ist die Suche nach dem Mörder einer jungen Frau in einem Indianer-Reservat einmalig bebilderter Thriller und eiskaltes Drama in einem.
8
von 10