Wie ich lernte, bei mir selbst Kind zu sein
© Piffl Medien

Wie ich lernte, bei mir selbst Kind zu sein

Inhalt / Kritik

Wie ich lernte bei mir selbst Kind zu sein DVD
„Wie ich lernte, bei mir selbst Kind zu sein“ // 25. April 2019 (Kino) // 7. November 2019 (DVD)

Träume? Von denen hat der zwölfjährige Jung Paul Silberstein (Valentin Hagg) jede Menge. Möglichkeiten, diese auch umzusetzen, die sind hingegen rar gesät. Grund dafür ist sein strenger Vater Roman (Karl Markovics), der strikte Erwartungen an die Welt und die Menschen hat und seinen Frust über eigene unerfüllte Träume an seiner Frau (Sabine Timoteo) und den Kindern auslässt. Nur Paul sieht es nicht ganz ein, sich der Willkür seines verbitterten Papas zu fügen, weswegen er immer wieder nach Wegen sucht, doch noch seinen Kopf durchzusetzen. Das wiederum stößt beim Familienoberhaupt auf Ablehnung, weshalb der den Jungen in das Jesuiteninternat Attweg verbannt, wo er endlich lernen soll, sich anständig zu benehmen …

Der Zwang der Konformität

Es ist immer mit einer gewissen Herausforderung verbunden, seinen Platz im Leben und dieser Welt zu finden. Vor allem wenn man anders ist. Paul Silberstein ist ein solcher Mensch mit Anpassungsschwierigkeiten. Das geht jedoch nicht auf mangelnde soziale Kompetenz oder andere Defizite zurück. Vielmehr ist es seine überbordende Fantasie und der Drang dieser nachzugehen, welche zwangsläufig zu Konflikten führen – umso mehr, wenn diese auf Menschen bzw. ein System trifft, für die Konformität der einzig richtige Weg erscheint. Wie ich lernte, bei mir selbst Kind zu sein ist deshalb nicht allein eine Geschichte des Aufwachsens, sondern zugleich die einer Rebellion des Geistes, wenn ein Individuum sich seinen Weg bahnt.

Der Film basiert dabei auf dem gleichnamigen Roman von André Heller, in dem der Künstler seine eigene Kindheit in einem Jesuiteninternat aufarbeitet – wenngleich mit sehr viel Fantasie. Die zeigte Regisseur und Co-Autor Rupert Henning dann auch bei seiner Adaption des Buches. Der eher als Drehbuchautor (Alle Nadeln an der Tanne) tätige Österreicher nahm die Vorlage seines Landsmannes, ordnete sie neu an, legte zum Teil eigene Schwerpunkte. Dabei behielt er den Humor Hellers bei. Auch wenn die Geschichte eigentlich Stoff für ein bleischweres Drama bieten würde, rund um Unterdrückung und Misshandlung, familiäre, gesellschaftliche und religiöse Zwänge, wird das Geschehen durch den spöttischen Ton des Jungen aufgelockert.

Das bedeutet jedoch nicht, dass es dem Film an Tragik und Abgründen mangeln würde. Gleich zu Beginn gibt es eine Szene, die dem Vater die Gelegenheit gibt, seine Grausamkeit eindrucksvoll unter Beweis zu stellen. Und auch wenn die später immer mal wieder zum Vorschein tritt, so macht Wie ich lernte, bei mir selbst Kind zu sein ihn zugleich zu einer traurigen Karikatur. Ein Mann, der furchteinflößend und lächerlich zugleich ist, ein Despot und ein Clown. Unterschiedlicher könnten Vater und Sohn dabei kaum sein: der eine verbittert und voller Wut, der andere lebensfroh mit großen Zielen. Und doch eint beide die Sehnsucht und die Traum nach einem besseren Leben. Während der Vater jedoch gescheitert ist, finanziell und in der Liebe, er nur mit Drogen durch den Tag kommt, da ist Paul noch voller Tatendrang.

Die Fantasie als Ausweg

Verbunden wird dieser mit dem Wunsch, sich auszudrücken. Auch wenn die Geschichte von Wie ich lernte, bei mir selbst Kind zu sein fiktiv ist, so schimmert in dem Jungen doch der künstlerische Wille durch, welcher den vielseitig aktiven Heller kennzeichnet. Denn Fantasie ist hier Ausdruck und Flucht zugleich. Das ist gut gespielt, der österreichische Film profitiert schon enorm von seinem Ensemble. Karl Markovics (Das letzte Problem) gibt eine wunderbar widerwärtige und zugleich mitleiderregende Vorstellung ab. Nachwuchsdarsteller Valentin Hagg, der für seine erste Rolle gleich eine Nominierung als bester Hauptdarsteller beim Österreichischen Filmpreis erhielt, ist als aufgeweckter, eigensinniger Träumer eine Entdeckung.

Ohnehin: Ganz real wirkt das hier nie. Während andere Coming-of-Age-Geschichten gerne das Alltägliche in den Vordergrund stellen, damit sich das Publikum darin wiederfinden kann, da geht man hier konsequent einen eigenen Weg. Wie ich lernte, bei mir selbst Kind zu sein erinnert dabei manchmal an die Werke von Jean-Pierre Jeunet (Die fabelhafte Welt der Amélie, Die Karte meiner Träume), bei denen das Märchenhafte und das Morbide eng beieinander liegen konnten, zusammengehalten von Humor. Auch Vergleiche zu David Copperfield – Einmal Reichtum und zurück bieten sich an. Wer in der Stimmung ist für eine derartige skurrile Tragikomödie um Selbstfindung und künstlerischen Aufbruch, der sollte diesem seinerzeit in den deutschen Kinos wenig beachteten Film eine Chance geben, selbst wenn die Laufzeit schon ein bisschen arg lang ist.

Credits

OT: „Wie ich lernte, bei mir selbst Kind zu sein“
Land: Österreich
Jahr: 2019
Regie: Rupert Henning
Drehbuch: Uli Brée, Rupert Henning
Vorlage: André Heller
Musik: Kyrre Kvam
Kamera: Josef Mittendorfer
Besetzung: Valentin Hagg, Karl Markovics, Sabine Timoteo, Nikolaas von Schrader, Nora Hochleitner

Bilder

Trailer

Kaufen / Streamen

Bei diesen Links handelt es sich um sogenannte Affiliate-Links. Bei einem Kauf über diesen Link erhalten wir eine Provision, ohne dass für euch Mehrkosten entstehen. Auf diese Weise könnt ihr unsere Seite unterstützen.




(Anzeige)

In „Wie ich lernte, bei mir selbst Kind zu sein“ folgen wir einem Jungen mit einer blühenden Fantasie, der zuerst von seinem strengen Vater, später in einem Jesuiteninternat zurechtgestutzt werden soll. Die Tragikomödie kombiniert dabei Grausamkeit mit einem spöttischen Ton, setzt bei den Figuren stark auf Skurrilität. Trotz einer zu langen Laufzeit ist das sehenswert, was nicht zuletzt ein Verdienst des Ensembles ist.
7
von 10