Aylin Tezel Interview Unbroken
© ZDF/Frank Dicks

Aylin Tezel [Interview]

In Unbroken (ZDFneo ab 23. Februar 2021) spielt Aylin Tezel die hochschwangere Polizistin Alexandra Enders, die am helllichten Tag entführt wird. Als sie wieder zu sich kommt, hat sie nicht nur ihre Erinnerungen verloren, sondern auch ihr Neugeborenes. Doch wer könnte hinter allem stecken? Und was genau ist geschehen? Wir haben uns mit der Schauspielerin zum Start ihrer neuen Thrillerserie über fordernde Rollen, den Reiz von Paranoiageschichten und die Bedeutung von Normalität in der Krise unterhalten.

In Unbroken spielen Sie eine hochschwangere Kommissarin, die spurlos verschwindet und danach ohne Gedächtnis und Kind wieder auftaucht. Was hat Sie an dem Stoff gereizt?

Erst einmal habe ich mich darüber gefreut, dass es eine sehr interessante Frauenfigur ist. Sie ist deutlich komplexer als viele der Figuren, die wir in den letzten Jahren im deutschen Fernsehen gesehen haben. Außerdem fand ich spannend, dass Unbroken mehr ist als nur ein Krimi. Es gibt natürlich ein Rätsel, das sich durch die sechs Folgen zieht, und als Zuschauer willst du unbedingt wissen, was dieser jungen Frau zugestoßen ist. Gleichzeitig geht es in der Serie aber auch um den Verlust eines Kindes, ungewollte Mutterschaft und den Kampf gegen eigene Dämonen,  Themen die man so vielleicht eher aus einem Dramaformat kennt. Diese Kombination aus Drama, Krimi und Thriller finde ich spannend und für die deutsche Krimilandschaft neu und mutig.

Wir lernen Ihre Figur Alexandra in einer Ausnahmesituation kennen, die nicht wirklich Rückschlüsse darauf erlaubt, wie sie unter normalen Umständen ist. Wie würden Sie Alexandra als Mensch beschreiben?

Man sieht in den wenigen Situationen, vor ihrer Entführung, dass sie eine sehr starke Frau ist. Sie ist eine Kämpferin. Sie begegnet ihren männlichen Kollegen absolut auf Augenhöhe, was bei der Polizei nicht selbstverständlich ist. Wir lernen sie aber auch als eine Frau kennen, die nicht unbedingt etwas Mütterliches an sich hat. Das sorgt anfangs direkt für Irritationen beim Zuschauer, weil sie kommuniziert, dass sie das Kind nicht wollte und sich nicht sicher ist, ob sie es will. Als ihr dann dieses Trauma passiert, werden Energien in ihr freigesetzt, die ohnehin in ihr schlummern. Dieses Aggressionspotenzial sich selbst und anderen gegenüber, das trägt sie schon mit sich.

Sie haben bereits angesprochen, dass sie das Kind nicht unbedingt wollte. Dennoch steigert sie sich nach dem Verlust so sehr hinein, bis es für sie nichts anderes mehr gibt. Was ist da in ihr geschehen, dass sie sich so sehr verändert?

Man darf nicht unterschätzen, wie sehr ein Trauma einen an Orte in sich führen kann, von denen man vorher vielleicht gar nicht wusste, dass es sie gibt. Und bei Alex geht es nicht nur um die Suche nach dem Kind, sondern auch nach sich selbst. Sie weiß nicht, was mit ihr passiert ist. Sie weiß nicht einmal, wer sie wirklich ist. Wenn sie so besessen sucht, dann ist das gleichzeitig ihr Drang zu überleben. Denn da ist diese Unsicherheit in ihr, da ist der Druck von außen. Und damit muss sie irgendwie fertig werden.

Wie schwierig war es für Sie, sich in diese Situation hineinzuversetzen, eben weil sie so ungeheuerlich ist?

Ich hatte auf jeden Fall großen Respekt vor dieser Rolle. Mir war direkt klar, nachdem ich die Drehbücher gelesen hatte, dass es sehr anstrengend wird, mental und physisch. Deswegen habe ich mich auf die verschiedensten Arten vorbereitet. Körperlich habe ich mich vorbereitet, indem ich Kickbox-Training genommen habe. Außerdem Stunt-Training, weil es mir wichtig war, dass ich alle Stunts selber mache. Am Ende ist das aber auch eine Zeitfrage. Auf manche Sachen müsste man sich jahrelang vorbereiten. Die Zeit hat man natürlich nicht. Ich wollte aber dem Ganzen so nahe kommen wie möglich und vor allem die physische Kraft aufbauen, welche Alex braucht.

Unbroken 2021
Nonstop auf Achse: Polizistin Alexandra Enders (Aylin Tezel) sucht nach der Wahrheit und ihrem verschwundenen Kind (© ZDF/Frank Dicks).

Und wie sah die mentale Vorbereitung aus?

Mit einem Schauspielcoach zusammen habe ich mich vor allem den dunklen Seiten von Alex genähert, die sie in sich trägt. Ich wollte mich so gut wie möglich auf alles vorbereiten, weil beim Dreh ohnehin immer vieles geschieht, das du nicht einplanen kannst. Als Schauspieler muss man immer damit arbeiten, was die Realität des Moments ist. Das was beispielsweise dein Spielpartner in der Szenen anbietet, kann die eigene Spielidee verändern. Man weiß, wer die Figur ist, hat sein Fundament durch die Vorbereitung und kann sich dann in der Szene überraschen lassen.

Wenn beim Dreh vieles anders kommen kann als erwartet: Was waren dann am Ende für Sie die größten Herausforderungen?

Eine große Herausforderung war der Moment, in dem Alex klar wird, dass sie eine Mitschuld an dem tragen könnte, was passiert ist. Das war für mich ein besonders wichtiger Moment, weil er die Kämpferrolle meiner Figur natürlich komplett angegriffen hat und ihr den Boden unter den Füßen wegzieht.

Die Serie arbeitet nicht nur in dieser Szene, sondern allgemein mit vielen Wendungen. Als Sie das Drehbuch gelesen haben, wann wurde Ihnen klar, was da wirklich gespielt wird?

Erst relativ spät. Mir ging es beim ersten Lesen so, wie es hoffentlich den meisten Zuschauern geht, dass man allen Hinweisen nachgeht und dabei doch genauso im Dunkeln tappt wie unsere Heldin.

Im Laufe der Serie entwickelt sie dabei immer mehr Zweifel und zeigt erste Anzeichen von Paranoia. Woran merkt man als Betroffener, dass man paranoid wird? Kann man es überhaupt bemerken?

In ihrer eigenen Wahrnehmung ist Alex nicht paranoid. Von außen wird ihr gespiegelt, dass sie sich paranoid benimmt. Aber in ihrer Wahrnehmung sind das alles Teile eines Puzzles, das sie nach und nach zusammensetzt. Sie hat ja außerdem diese kurzen Erinnerungsflashs, und so  klammert sie sich an jede Ahnung und jeden Hinweis und geht diesen nach.

Solche Paranoia-Thriller erfreuen sich immer wieder größerer Beliebtheit. Worin liegt Ihrer Meinung nach der Reiz solcher Geschichten?

Dem zugrunde liegt ein Thema, das uns immer fasziniert: Was ist real, was ist wahr? Das verfolgt uns unser ganzes Leben lang, egal ob es nun gerade um Politik geht oder ein einfaches Gespräch zwischen zwei Menschen.

Ich frage auch deshalb, weil derzeit Verschwörungstheorien wieder Hochkonjunktur haben, die auch mit dem Motiv arbeiten, dass es da draußen eine große Wahrheit gibt, von der wir nichts wissen.

Das stimmt. Ich denke, dass in dem Moment, in dem wir in lebensbedrohliche Situationen geraten – ob das nun eine Pandemie ist oder ein Krieg – in uns Urängste getriggert werden. Die Angst vor Krankheit, die Angst vor Tod, die Angst vor Verlust. Das ist ganz normal. Die Menschen gehen mit diesen Ängsten aber sehr unterschiedlich um. Klar wäre es schön, wenn wir da ruhig bleiben könnten, anstatt noch mehr Panik zu verbreiten mit irgendwelchen Verschwörungstheorien. Aber es ist menschlich, wenn sich diese Unsicherheit irgendwie ihren Weg sucht, auch durch Aggression oder Gewalt. Leider.

Und was bedeutet das für uns? Wie sollten wir darauf reagieren?

Man kann in solchen Fällen nur versuchen, selbst ruhig zu bleiben, ganz realistisch mit der Situation umzugehen und ein Stück Normalität zu bewahren. Sie und ich führen gerade mitten in der Pandemie ein Interview über eine Serie, die demnächst startet. Das ist auch eine Form von Normalität, für die wir sehr dankbar sein können. Man darf eben die Perspektive nicht verlieren: Wir leben in einem Land, das sicher ist und ein gutes Gesundheitssystem hat. Wichtig ist, dass wir uns unsere Hoffnung bewahren und nicht bei all dem Schrecken um uns herum übersehen, dass da auch viel Gutes geschieht. Beispielsweise ist das Bewusstsein dafür gestiegen, wie wir mit unserer Umwelt umgehen und wie wichtig diese für uns ist. Diese Zwangspause hat dazu geführt, dass viele andere Dinge an die Oberfläche gekommen sind, bei denen es wichtig ist, dass wir uns mit ihnen beschäftigen.

Unbroken wurde aber vor dem Ausbruch der Pandemie gedreht, oder?

Angefangen haben wir im Januar 2020, mussten später aber die Dreharbeiten unterbrechen, als der erste Lockdown kam. Dann haben wir zwei Monate später wieder angefangen. Das war alles nicht einfach, weil die Situation damals für alle noch sehr neu war. In der zweiten Jahreshälfte habe ich einen Kinofilm in Deutschland und Israel gedreht, da waren wir inzwischen komplett routiniert mit dem Tragen von Masken, der Einhaltung von Abständen und den regelmäßigen Tests. Es haben sich alle sehr diszipliniert verhalten, auch weil wir sehr dankbar waren, überhaupt arbeiten zu dürfen.

Und wie geht es nach Unbroken weiter? Wird es eine zweite Staffel geben?

Offiziell ist da bislang nichts angekündigt. Wenn Sie mich aber nach meiner persönlichen Meinung fragen: Ich fände es sehr spannend, diese Figur noch weiterentwickeln zu können. Es wäre schön, sie noch einmal in einer neuen Lebenssituation kennenzulernen.

Zur Person
Aylin Tezel wurde am 29. November 1983 in Bünde geboren. Seit ihrem sechsten Lebensjahr tanzt sie, erhielt dabei eine Ausbildung zum Tanz, später auch eine zur Tanzpädagogin. Als Jugendliche entwickelte sie zudem Interesse an der Schauspielerei, speziell das Theater. Einem größeren Publikum wurde sie bekannt durch die Tragikomödie Almanya – Willkommen in Deutschland (2011) über eine türkische Familie in Deutschland, die mit 1,5 Millionen Besuchern zu einem Überraschungserfolg an den Kinokassen wurde. Der zweite Coup gelang ihr im Jahr drauf, als sie festes Mitglied im Ermittlerteam im Dortmunder Tatort wurde. Insgesamt 16 Mal spielt sie darin die Polizistin Nora Dalay, bis sie 2020 mit Tatort: In der Familie – Teil 1 aus der Krimireihe ausstieg. 



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