Nackte Tiere
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Nackte Tiere

Kritik

Nackte Tiere
„Nackte Tiere“ // Deutschland-Start: 17. September 2020 (Kino) // 5. März 2021 (DVD)

Es ist Winter im kleinen brandenburgischen Ort, vielleicht der letzte, den Katja (Marie Tragousti), Sascha (Sammy Scheuritzel), Benni (Michelangelo Fortuzzi), Laila (Luna Schaller) und Schöller (Paul Michael Stiehler) noch zusammen verbringen werden. Das Ende der Schulzeit nähert sich mit großen Schritten. Aber eben auch die Frage: Und was kommt danach? So richtig weiß es keiner von ihnen, die Jugendlichen verbringen ihre Zeit miteinander, mit Trinken und Rauchen, manchmal auch mit Kämpfen, im Sportverein wie daheim, wenn unterdrückte Gefühle oder Streit mit den Eltern ansteht. Wenn wieder alles zu viel und nichts genug ist …

Melanie Waelde, so viel wird recht schnell klar, ist niemand, der es anderen einfach machen will. Sie macht es ihren Figuren nicht leicht, den fünf jungen Menschen, die kurz vor dem Abschluss stehen und doch auch in einem Zwischenstadium gefangen sind. Die Regisseurin und Drehbuchautorin macht es aber auch dem Publikum nicht leicht, das im Kino sitzt und versucht, eben diesen fünf Leuten zu folgen. So verzichtet sie in Nackte Tiere auf eine Vorstellungsrunde oder eine Einführung, welche uns die Figuren näher bringen könnte. Wer diese Charaktere sind, das muss man sich erst einmal zusammenreimen. Und selbst innerhalb der Erzählung ist sie keine Freundin großer oder erhellender Worte.

Sie schlugen und sie liebten sich
Gerade die Beziehungen untereinander stellen einen immer wieder vor größere Rätsel. Eine der ersten Szenen zeigt, wie Katja und Sascha sich gegenseitig schlagen. Das tun sie natürlich auch im Kampfsporttraining, welches immer wieder gezeigt wird und wo die beiden mit wenig Zurückhaltung Kinder aufeinander hetzen. Aber sie tun es eben auch abseits der Sporthalle, tun es mal im Rahmen von etwas, das wie ein Ritual erscheint. Oder eben ganz spontan, wenn sie sich in den Gängen der Schule über den Weg laufen und sich schon mal eine Platzwunde an der Stirn verpassen. Ist ja nicht so schlimm, kann mal passieren, zumindest bei ihnen.

Auch bei den anderen spielt Gewalt eine große Rolle. Sie kann mal nach innen gerichtet sein wie bei dem sensiblen Benni, der selbstdestruktive Tendenzen zeigt. Im Fall von Laila kommt sie durch die Mutter, welche sie und ihre jüngere Schwester terrorisiert. Doch die Gewalt muss nicht zwangsweise physisch sein, immer wieder geht es auch darum, den anderen durch Worte zu verletzen, Druck aufzubauen, zu beleidigen – und anschließend wieder zu trösten. Denn auch wenn man sich zwischendurch immer wieder fragt, warum genau die Jugendlichen Zeit miteinander verbringen, wenn dies oft in destruktiven Momenten endet, so sie sind eben auch der Halt in einer Welt, die sonst wenig Halt bietet. Eine Konstante, die sie brauchen, um irgendwie durch den trüben Tag zu kommen.

Zwischen Nähe und Distanz
Jugendliche, die sich gegenseitig stützen, hat es im Laufe der Filmgeschichte natürlich nicht zu knapp gegeben, vor allem solche, die aus schwierigeren Verhältnissen stammen. Die Outsider – Rebellen ohne Grund zeigte beispielsweise eine Gruppe von Arbeiterkindern, die sich regelmäßig mit den Söhnen aus gutem Hause anlegen. Eine solche Kontrastgruppe fehlt in Nackte Tiere. Tatsächlich fehlt in dem Film überhaupt das Gefühl, dass es da eine Welt da draußen gibt. Das liegt nicht nur an dem quadratischen Bildformat, welches oft so nah an den Protagonisten und Protagonistinnen dran ist, dass der Rest verdeckt ist. Es liegt auch an den Charakteren selbst, die so sehr mit sich selbst beschäftigt sind, dass die übrigen Menschen wie Schiffe wirken, die irgendwo am Horizont entlangfahren.

Umso eigenartiger ist, dass auch die Hauptfiguren so fremd bleiben. Das Drama, welches auf der Berlinale 2020 Premiere hatte, zeigt uns eine Reihe von Momentaufnahmen, welche zusammen eher ein Stimmungsbild ergeben als ein wirkliches Porträt. Da gilt besonders für Laila und Schöller, die irgendwie dabei sind, aber zu wenig Raum zur Entfaltung bekommen. Und doch ist Nackte Tiere auch aufgrund dieser scheinbaren Mängel ein interessanter und sehenswerter Film. Nicht allein, dass er komplexe Beziehungen aufzeigt, die sich nicht so leicht in eine Schublade pressen lassen. Der Film überzeugt auch durch eine raue Unmittelbarkeit, vergleichbar zu Werken wie Dreißig, die sich ebenfalls über Erwartungen und dramaturgische Konventionen hinwegsetzen, um einen ungeschönten Blick auf Menschen zu werfen, die irgendwo im Leben stecken, darum kämpfen weiterzukommen und doch nicht wissen, was dieses weiter denn sein soll.

Credits

OT: „Nackte Tiere“
Land: Deutschland
Jahr: 2020
Regie: Melanie Waelde
Drehbuch: Melanie Waelde
Kamera: Fion Mutert
Besetzung: Marie Tragousti, Sammy Scheuritzel, Michelangelo Fortuzzi, Luna Schaller, Paul Michael Stiehler, Florian Schmidtke

Bilder

Trailer

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Berlinale 2020

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„Nackte Tiere“ nimmt uns mit zu fünf Jugendlichen, die in der Provinz leben und an der Grenze zum Erwachsenendasein sind. Ungewöhnlich ist daran zum einen die Gewalt, welche die durchaus komplexen Beziehungen begleitet, aber auch die Distanz, welche der Film beibehält – obwohl die Protagonisten und Protagonistinnen direkt im Fokus sind, es außer ihnen keine Welt zu geben scheint.
7
von 10