True North

Kritik

True North
„True North“ // Deutschland-Start: nicht angekündigt

Gerade mal neun Jahre alt ist Yo-han, als seine Familie ins Fadenkreuz der Staatenwächter Nordkoreas gerät. Seine Vater, so wird ihnen gesagt, habe ein furchtbares Verbrechen begangen. Während der spurlos verschwunden ist, müssen der Junge, seine kleine Schwester und die Mutter ein neues Leben beginnen, als Gefangene in einem Straflager. Tagein, tagaus leisten sie harte körperliche Arbeit, ohne viel Nahrung. Und selbst die kann von einem Moment zum nächsten gestrichen werden, wer nicht höllisch aufpasst und sich komplett unterwirft. Während die beiden anderen versuchen, sich während dieser Zeit irgendwie ihre Menschlichkeit zu bewahren, verändert sich Yo-han zunehmend …

Kaum ein Land ist für Außenstehende ein vergleichbar großes Rätsel wie Nordkorea. Aus dem Alltag in dem nach außen abgeschotteten fernöstlichen Staat ist nur wenig bekannt, was über die offiziellen Bilder hinausgeht. Wen doch mal dorthin verschlägt, der bekommt nur die Seiten zu sehen, welche das Regime der Öffentlichkeit freigibt. Die einzige Möglichkeit, doch einmal mehr über die Vorgänge dort zu erfahren, sind Menschen, denen es gelungen ist, auf teils abenteuerliche Weise von dort zu fliehen, und die anschließend von ihren Erlebnissen berichten. Erlebnisse, die oft surreal sind, alptraumhaft, kaum zu vereinbaren mit dem Leben, das man selbst kennt.

Erzählungen aus der Hölle
Eiji Han Shimizu kennt diese Gräueltaten nicht aus eigenen Erfahrungen. Dafür ließ sich der Japaner mit koreanischen Wurzeln von solchen Erzählungen Überlebender inspirieren, als er sich an die Arbeit zu True North machte. Der Regisseur und Drehbuchautor wählte hierfür jedoch ein eher unerwartetes Medium, indem er die Geschichte einer Familie, die jahrelang als Ergebnis einer Sippenhaft ins Gefängnis musste, als einen Animationsfilm umsetzte. Ob dies aus Budgetgründen geschah oder um die schrecklichen Szenen abzumildern, darüber kann man nur spekulieren. Eindruck hinterlassen Letztere aber auch in dieser Form.

Streng chronologisch arbeitet sich Shimizu von der frühen, schockierenden Verhaftung bis zur Gegenwart vor. Lediglich dass Yo-han irgendwann die Flucht gelingen wird, wird zu Beginn vorweggenommen. Trotz der Gradlinigkeit ist die Geschichte durchaus spannend, handelt True North doch nur zum Teil vom Schicksal des Jungen. Vielmehr nimmt der Beitrag vom Annecy Filmfestival 2020 seinen Aufenthalt zum Anlass, um den Alltag im Lager zu beleuchten. Vor allem aber ist Shimizu daran interessiert, was es mit den Menschen macht, die sich dort aufhalten. Denn wer längere Zeit in einer solchen Einrichtung verbringt, bei dem hinterlässt das natürlich Spuren.

Wenn Menschen ihre Menschlichkeit verlieren
Das zeigt sich vor allem an Yo-han selbst, der umgeben von Gewalt und Unterdrückung innerlich zunehmend verroht. Aber auch andere passen sich, sei es bewusst oder unbewusst, der Umgebung an. An einem Ort wie diesem zu leben, das fördert einen Opportunismus, wenn sich jeder selbst der nächste ist, man tut, was nötig ist, um irgendwie über die Runden zu kommen. Und doch versucht True North, immer wieder kleine Lichtblicke einzubauen und für Spuren von Menschlichkeit zu sorgen. Dabei wagt sich der Film selbst nie wirklich aus seiner Komfortzone. Ob es nun die körperliche Gewalt ist oder die teils willkürliche Nahrungsmittelreduktion, es fehlt den Szenen an Beispielen, welche spezifisch nordkoreanisch sind. Von wenigen Elementen abgesehen, etwa der Umgang mit südkoreanischer Popkultur oder christlicher Religion, könnten sich die Geschichten in so ziemlich jedem Strafgefangenenlager weltweit abspielen.

Eigenwilliger, wenn auch nur zum Teil geglückt, ist die visuelle Umsetzung. Shimizu verwendet eine ausgesprochen grobe CGI-Grafik, die nicht einmal versucht, die Ecken und Kanten irgendwie zu kaschieren. Das sieht dann zwar deutlich anders aus als die oft glatt gebügelten Pendants westlicher Blockbuster-Studios. Aber nicht unbedingt gut. Und auch bei den Umgebungen ist, natürlich teils inhaltlich bedingt, alles recht spartanisch, ohne viele Details. Im weiteren Verlauf kommen zwar ein paar nette Effekte hinzu. Insgesamt sind die Bilder aber schon veraltet, nicht auf dem Stand einer Produktion aus dem Jahr 2020. Wer sich nicht daran stört, dass das hier mehr nach altem Videospiel aussieht, der kann sich von dieser japanisch-indonesischen Coproduktion jedoch ziemlich schockieren lassen, welche die Barbarei ferner Lände greifbar und spürbar macht.

Credits

OT: „True North“
Land: Japan, Indonesien
Jahr: 2020
Regie: Eiji Han Shimizu
Drehbuch: Eiji Han Shimizu
Musik: Matthew Wilder

Bilder

Trailer

Filmfeste

Annecy 2020

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„True North“ zeigt anhand einer inhaftierten Familie den grausamen Alltag in einem Gefangenenlager in Nordkorea. Optisch ist das nicht auf der Höhe der Zeit, die Szenen wirken teils auch etwas beliebig. Der Animationsfilm schockt dennoch immer wieder, zeigt nicht nur die Brutalität der Wärter, sondern auch, welche Auswirkungen diese Erfahrungen auf die Menschen haben.
6
von 10