Kahlschlag
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Kahlschlag

Kritik

Kahlschlag
„Kahlschlag“ // Deutschland-Start: 5. März 2020 (Kino)

Es gab eine Zeit, da waren Martin (Florian Bartholomäi) und Eric (Bernhard Conrad) beste Freunde gewesen. Doch das liegt lange zurück, seit einigen Jahren schon haben sie sich nicht mehr gesprochen. Ein Grund dafür ist Frenni (Maike Johanna Reuter), in die beide damals verliebt waren, die sich am Ende aber für Martin entschieden hat. Jetzt sind sie wieder vereint, zumindest für eine kurze Zeit. Schließlich ist Erics Bruder tot. Wie könnte ihm Martin da verweigern, noch einmal mit ihm rauszufahren, an den See, an dem beide als Kinder immer wieder geangelt haben? Von beschaulicher Nostalgie jedoch keine Spur, denn der gemeinsame Aufenthalt bedeutet, sich einer Vergangenheit zu stellen, die nicht nur schöne Seiten hatte …

In Deutschland gibt es keine Genrefilme. Die Deutschen wollen aber auch keine Genrefilme, die daheim entstanden sind. Ob das nun die Wahrheit ist oder nur ein Klischee, sei mal dahingestellt, auch ob da nicht irgendwie eine sich selbst erfüllende Prophezeiung drinsteckt. Schließlich macht die aktuelle Situation nicht unbedingt Mut, es überhaupt zu versuchen. Einer, der sich nicht davon beirren ließ, ist Max Gleschinski. Einige Kurzfilme hatte der Regisseur und Drehbuchautor zu dem Zeitpunkt bereits umgesetzt, dazu Musikvideos, bevor er sich mit Kahlschlag an seinen ersten ausgewachsenen Spielfilm wagte.

Ein Debüt zwischen den Stühlen
Und ein Wagnis ist es, was der Nachwuchsfilmemacher hier abgeliefert hat. Zum einen ist die Einteilung in ein Genre gar nicht so eindeutig, wie es einem manche Texte glauben machen wollen. Elemente des Thrillers sind vorhanden, unverkennbar, von Anfang an herrscht eine bedrückende Atmosphäre und das Gefühl, dass da nichts Gutes dabei rauskommen kann, als Martin zu Eric ins Auto steigt. Zumal der Ausflug in eine abgelegene Gegend geplant ist, was in Filmen fast nie etwas Gutes bedeutet. Ein bisschen erinnert Kahlschlag da auch an die zahlreichen Kollegen aus dem englischsprachigen Raum mit einem ganz ähnlichen Wald-und-See-Setting, beispielsweise What Keeps You Alive.

Einen vergleichbar großen Twist wie dieser Titel liefert der deutsche Beitrag nicht. Gleschinski vertraut mehr auf viele kleine Schritte, die ans Ziel führen. Da sind durchaus auch unerwartete Schritte dabei: Anstatt sich auf die Konfrontation zu konzentrieren, die sich früh ankündigt, schaut Kahlschlag immer wieder zurück und sagt, was alles hat passieren müssen auf dem Weg zu diesem Ergebnis. Während die Haupthandlung chronologisch erzählt wird, unterbrechen zahlreiche Flashbacks das Geschehen. Die springen munter hin und her auf der Zeitachse, auch thematisch gibt es viele Wechsel. Gemeinsam ist diesen Einschüben nur, dass sie das Verhältnis zwischen den Figuren näher beleuchten.

Gefangene ihrer selbst
Damit einher geht auch ein Wechsel des Genres, wenn sich der Film auf die komplexe Gefühlslage der Charaktere verlagert. Während Gleschinski offenlässt, wie es mit den beiden früheren Freunden weitergeht und damit die Thrillerrichtung beibehält, wird Kahlschlag so stärker zu einem personenbezogenen Drama. Denn dort ist sehr viel im Argen, jeder trägt alte Wunden mit sich herum, über die nie gesprochen wurde, über die teilweise wohl nicht einmal nachgedacht wurde. Gleichzeitig wird der Film zu einem der Ausweglosigkeit, wenn sie alle irgendwo Gefangene sind, sei es von der eigenen Vergangenheit, von ihren Gefühlen oder auch den Umständen, die kein Entkommen zulassen.

Teilweise ist das sehr stark, so lange sich der Film mehr mit der allgemeinen Atmosphäre dieser provinziellen Perspektivlosigkeit auseinandersetzt. Teilweise wirkt Kahlschlag dadurch aber auch selbst ziellos, wenn ein Fass nach dem anderen aufgemacht wird, der Film sich derart in die Abgründe der einzelnen Figuren stürzt, dass es einem irgendwann zu viel ist. Zumal nicht jeder Einschub tatsächlich die Geschichte oder die Charakterisierung vorantreibt, es manchmal doch eher zäh wird. Aber auch wenn da nicht alles ganz rund ist bei dem Debüt, die grundsätzliche Idee ist interessant, das Ergebnis ein Hinweis dafür, dass Gleschinski eine Bereicherung für das deutsche Genrekino sein könnte.

Credits

OT: „Kahlschlag“
Land: Deutschland
Jahr: 2018
Regie: Max Gleschinski
Drehbuch: Max Gleschinski
Musik: Axel Meier
Kamera: Jean-Pierre Meyer-Gehrke
Besetzung: Florian Bartholomäi, Bernhard Conrad, Maike Johanna Reuter

Bilder

Trailer

Filmfeste

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Treffen sich zwei alte Freunde zum Angeln an einem abgelegenen See: Was sich idyllisch anhört, wird bald zu einer Mischung aus aktuellem Thriller und rückgewandten Drama über Figuren, die alle irgendwo ihre Vergangenheit mit sich herumtragen. „Kahlschlag“ ist atmosphärisch gelungen, inhaltlich aber nur teilweise, wenn so mancher Flashback zum Selbstzweck mutiert.
6
von 10