Vermisst Missing
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Vermisst

Kritik

Vermisst Missing
„Vermisst“ // Deutschland-Start: 13. August 1982 (Kino) // 17. Februar 2005 (DVD)

Im Chile der frühen 70er Jahre leben der Autor und Reporter Charles Horman (John Shea) und seine Frau Beth Horman (Sissy Spacek) ein Leben inmitten eines gewaltsamen Umbruchs im Land. Während um sie herum die Militärpräsenz immer dichter wird, eine Ausgangssperre verhängt wird und immer wieder Schüsse von den Straßen her hallen, verdichten sich die Informationen über Verhaftungen und Exekutionen, denen Charles nachgeht und über die er sich Notizen macht. Als Beth, nachdem sie die Nacht über wegen der Ausgangssperre nicht nach Hause konnte, wieder heimkommt, findet sie die Wohnung verwüstet vor und von Charles fehlt jede Spur. Während Beth in Chile nach Spuren sucht, tut Charles Vater Edmund (Jack Lemmon) dies auf amerikanischer Seite, indem er zu Politikern geht und mit der amerikanischen Botschaft Kontakt aufnimmt. Letztlich reist er nach Chile, um dort nach Antworten zu suchen und endlich Klarheit zu erhalten, wo sich sein Sohn befindet. Doch auch mit Hilfe der Botschaft ist das Finden handfester und belegter Hinweise schier unmöglich, befindet sich das Land doch auch nach dem Militärcoup in einem Ausnahmezustand. Zudem ist das Verhältnis zwischen Ed und Beth ziemlich angespannt und definiert von Vorwürfen, sie hätte besser auf ihren Mann aufpassen müssen, erst recht bei der schwierigen politischen Lage in Chile.

Leben in ständiger Ungewissheit
Im Allgemeinen behandelt das Kino des griechischen Regisseurs Costa-Gavras unsere moderne sozial-politische Wirklichkeit, hinterfragt sie und löst die Sicherheiten, die mit ihr verknüpft sind, bisweilen sogar auf. Stilistisch klar und stets engagiert diskutieren seine Filme Ereignisse wie beispielsweise die griechische Militärdiktatur in seinem Meisterwerk Z (1969) oder die Beziehung der Kirche zum Nationalsozialismus wie in Der Stellvertreter (2002). Costa-Gavras erster Film, der in den Vereinigten Staaten produziert wurde, basiert auf Thomas Hausers Sachbuch The Execution of Charles Horman: An American Sacrifice, welches Anfang der 80er Jahre unter dem Titel Missing neu aufgelegt wurde. In diesem geht es um die Ermordung des Journalisten Charles Horman, der im Zuge des Militärputsches in Chile im Jahre 1973 entführt und ermordet wurde.

Auch wenn das Skript aus der Feder Costa-Gavras und Donald E. Stewart starke melodramatische Züge aufweist, ist Vermisst in erster Linie ein politischer Film, der von einem Einzelschicksal ausgehend ein hochbrisantes politisches Thema verhandelt, nämlich die US-amerikanischen Verwicklungen in die Politik südamerikanischer Staaten. Daneben beschäftigt sich der Film mit einem tiefgehenden Werteverlust, der sich insbesondere in der Figur, die Jack Lemmon spielt, wiederfindet. Wie sein Sohn wähnt sich dieser in einer Art Unantastbarkeit durch seine Staatsangehörigkeit, glaubt daran, dass ihm die gleichen Rechte zustehen auch außerhalb der Heimat, doch dieses Gefühl der Sicherheit wird immer mehr ausgehöhlt, bis am Ende nur noch die Angst und ein Gefühl der Hilflosigkeit das Handeln bestimmt. Auf das Reden folgt immer Schweigen, lange Minuten der Stille zwischen Jack Lemmon und Sissy Spacek, die nicht nur eine Geschichte der Vorwürfe erzählen, sondern symptomatisch für eine Sprachlosigkeit stehen angesichts des Schreckens in der Welt.

Innerhalb der Besetzung hat gerade die Figur des Edmund Horman eine zentrale Bedeutung. Zusammen mit seiner Rolle in James Bridges’ ebenfalls politisch sehr aufgeladenem Das China Syndrom (1979) bildet Lemmons Darstellung in Vermisst einen wichtigen Verweis zu seinen „Verlierer“-Rollen in den Komödien eines Billy Wilder. Horman ist keinesfalls ein Verlierer, sondern ein wichtiger Halt innerhalb der Welt, die Costa-Gavras Film schafft und die uns wegen ihrer repressiven Natur, ihrer Gewalt und ihrer bürokratischen Verwicklungen so fremd erscheint. Wie Horman würden wir uns gerne das Narrativ vom unterentwickelten Süden erzählen, müssen aber die Verwicklungen anerkennen, an denen wir uns, abermals durch Schweigen, mit schuldig gemacht haben.

Ausnahmezustand
Visuell und erzählerisch zeichnet sich Vermisst durch den für Costa-Gavras beinahe typischen Einsatz dokumentarischer sowie stark stilisierter Bilder aus. Parallel zu dem Suchen nach der Wahrheit der beiden Hauptfiguren wird der Film mittels vieler Zeitsprünge erzählt, welche jeweils eine andere Sicht auf die Hintergründe des Verschwindens Charles Hormans klären sollen. Doch diese Wahrheit ist in einer Welt wie der im Film Mangelware, ein Mosaik, wenn man so will, welches nur mühsam zusammensetzen lässt und bei dem Teile auf ewig verloren sein werden.

Erschreckend an dieser Welt ist ihr ständiger Ausnahmezustand, was sie aber dem Zuschauer dann auch wieder so bekannt macht. Schnell wird klar, dass hier Freiheiten auf dem Spiel stehen und Menschenleben und unsere Unschuld. Essenziell ist eine kurze Szene, unterlegt von der Musik Vangelis’, in der ein Soldatentrupp einen Schimmel durch die Straßen jagt, dicht gefolgt von Schüssen und wilden Rufen der Männer. Man weiß genau, was in diesen Straßen passiert, ahnt es durch die Gewehrsalven, doch entschließt man sich dazu einmal mehr, nur Zaungast zu sein. Edmund und Beth können diese Perspektive nicht mehr einnehmen.

Credits

OT: „Missing“
Land: USA
Jahr: 1982
Regie: Costa-Gavras
Drehbuch: Constantin Costa-Gavras, Donald E. Stewart
Vorlage: Thomas Hauser
Musik: Vangelis
Kamera: Ricardo Aronovich
Besetzung: Jack Lemmon, Sissy Spacek, John Shea, Melanie Mayron

Trailer

Filmpreise

Preis Jahr Kategorie Ergebnis
Academy Awards 1983 Bester Film Nominierung
Bestes adaptiertes Drehbuch Costa-Gavras, Donald Stewart Sieg
Bester Hauptdarsteller Jack Lemmon Nominierung
Beste Hauptdarstellerin Sissy Spacek Nominierung
BAFTA Awards 1983 Bester Film Nominierung
Beste Regie Costa-Gavras Nominierung
Bester Hauptdarsteller Jack Lemmon Nominierung
Beste Hauptdarstellerin Sissy Spacek Nominierung
Bestes Drehbuch Costa-Gavras, Donald Stewart Sieg
Bester Schnitt Françoise Bonnot Sieg
Beste Musik Vangelis Nominierung
Cannes 1982 Goldene Palme Sieg
Bester Darsteller Jack Lemmon Sieg
Golden Globes 1983 Bester Film – Drama Nominierung
Beste Regie Costa-Gavras Nominierung
Bestes Drehbuch Costa-Gavras, Donald Stewart Nominierung
Bester Hauptdarsteller – Drama Jack Lemmon Nominierung
Beste Hauptdarstellerin – Drama Sissy Spacek Nominierung

Filmfeste

Cannes 1982
Berlinale 1996

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„Vermisst“ ist ein engagierter und sehr bedrückender Film. Besonders sehenswert durch sein grandioses Ensemble, einem packenden Soundtrack und vielen brisanten, noch immer aktuellen Themen, sehnt man sich nach der Ansicht dieses Films nach diesem besonderen politischen Kino eines Costa-Gavras zurück, für das im Mainstream-Kino immer weniger Platz bleibt.
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von 10