Funny Face
© Lucas Gath

Funny Face

Kritik

Brooklyn ist schon länger nicht mehr das, was es einmal war. Die Leute, die einst das Viertel von New York City bestimmt haben, die Künstler und Träumer, sind fort. Stattdessen sprießen überall Geschäftsräume aus den Böden, dazu Luxuswohnungen für die Reichsten der Reichen. Saul (Cosmo Jarvis) ist keiner dieser Reichen. Geld hat er keins, auch keine Perspektive. Dafür jedoch eine Maske, die er immer wieder aufzieht und mit der er nachts durch die Gegend streift. Eines Tages läuft er dabei Zama (Dela Meskienyar) über den Weg, einer Muslimin aus einer traditionellen Familie, die selbst nicht weiß, was die Zukunft für sie bereithält, und damit zu einer wichtigen Begleiterin von Saul wird …

Die Reichen werden immer reicher, die Armen immer ärmer. Und dazwischen? Sucht eine Mittelschicht ihren Weg, die zunehmend gegen den sozialen Abstieg zu kämpfen hat. Während diese Entwicklung schon seit einer ganzen Weile zu beobachten ist, hat eine andere damit zusammenhängende in den letzten Jahren deutlich an Fahrt gewonnen: die Gentrifizierung. Gemeint ist damit, dass die Reichen immer größere Gebiete einer Stadt aufkaufen und für sich nutzen, während die ärmere Bevölkerung nach und nach vertrieben wird. Das muss nicht einmal mit Druck gemacht werden. Es reicht, dass die Grundstückspreise derart explodieren, dass sich kaum einer mehr leisten kann, dort noch zu wohnen. Diese Entwicklung lässt sich derzeit weltweit beobachten, viele Großstädte sind derart teuer geworden, dass für normale Menschen kaum noch Platz ist.

Ein Leid aus eigener Erfahrung
Tim Sutton hat diese Entwicklung selbst beobachtet, in seiner Heimatstadt New York City, in der er seit mehr als zwei Jahrzehnten lebt. Und so entschloss sich der Regisseur und Drehbuchautor, aus dem Stoff einen Film zu machen. Wie schon in seinem letzten Werk Donnybrook – Below the Belt wendet er sich in Funny Face auf diese Weise dem vergessen, abgehängten Amerika zu. Einem Amerika, für das es keinen Platz mehr zu geben scheint. Nur dass er dieses Mal die Menschen aus den Großstädten in den Mittelpunkt rückt, nicht die ländliche Bevölkerung. Die ist dann auch nicht ganz so blass. Eine Protagonistin mit Ganzkörperschleier, in einem amerikanischen Film? Das ist ungewöhnlich.

Ungewöhnlich ist aber auch, was Sutton aus der Materie gemacht hat. Grundsätzlich würde sich das Szenario um Menschen, die aus ihrem Zuhause vertrieben werden und die daraus resultierende Wut in sich tragen, sowohl für ein Sozialdrama wie auch einen knallharten Thriller anbieten, ein bisschen wie es Die Wütenden – Les Misérables getan hat. Elemente daraus finden sich auch in Funny Face, die Gewaltbereitschaft von Saul ist zu spüren, obwohl er sich hinter einer grotesken Maske versteckt. Gleichzeitig ist der Film aber auch eine Liebesgeschichte zwischen zwei Außenseitern, die sich in dem jeweils anderen finden, obwohl sie aus verschiedenen Welten kommen.

Ein Silberstreif in der Dunkelheit
In die düstere Geschichte um verlorene Menschen jeglichen Spektrums mischt sich daher auch etwas Versöhnliches: Selbst wenn wir am Ende nichts ausrichten können gegen die Leute da oben, wenigstens haben wir uns, sind nicht alleine. Der Hass und die Kälte, die in den düsteren Bildern umherwabern, ein Abgrund, in dem wir verlorengehen, sie finden Gegenstücke, die in der Dunkelheit funkeln. Tatsächlich hat Funny Face, auch aufgrund der sphärischen Klänge von Phil Mossman, immer etwas Märchenhaftes an sich. Ein Traum, der mal schön, mal bedrohlich ist, mal auch einfach nur surreal.

Gewöhnungsbedürftig ist das sicher. Und doch ist dieser Wechsel von Stimmungen und Genres geglückter als etwa bei Queen & Slim, das einen ähnlichen Spagat wagte. Am Ende bleibt der Genremix, der auf der Berlinale 2020 Weltpremiere hatte, zwar wenig greifbar, wird weder die Leute zufriedenstellen, die sich einen Rachethriller oder ein Sozialdrama erhoffen. Und er wird vermutlich auch nicht wirklich etwas ändern, selbst wenn das offene Ende alle möglichen Wege andeutet. Aber es ist zumindest ein weiteres interessantes Werk von Sutton, der gesellschaftliche Themen und Stimmungen aufgreift, um daraus etwas Unerwartetes zu machen.

Credits

OT: „Funny Face“
Land: USA
Jahr: 2020
Regie: Tim Sutton
Drehbuch: Tim Sutton
Musik: Phil Mossman
Kamera: Lucas Gath
Besetzung: Cosmo Jarvis, Dela Meskienyar, Jonny Lee Miller, Victor Garber

Filmfeste

Berlinale 2020



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Trotz des komisch klingenden Titels, „Funny Face“ ist eine bittere Bestandaufnahme eines New Yorks im Wandel, das nur noch den Reichen gehört. Der Film mischt dabei Sozialdrama mit Thrilleratmosphäre, kombiniert dazu noch eine Liebesgeschichte zwischen zwei Außenseitern. Das ist ungewöhnlich, einerseits nah am Alltag, gleichzeitig märchenhaft, düster und optimistisch in einem.
7
von 10