Der Eissturm The Ice Storm
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Der Eissturm

Kritik

Der Eissturm The Ice Storm
„Der Eissturm“ // Deutschland-Start: 18. Dezember 1997 (Kino) // 8. Februar 2018 (DVD/Blu-ray)

Es gab bestimmt einmal eine Zeit, in der die Familien Hood und Carver glücklich waren. Richtig daran erinnern können sie sich aber nicht. Und so beginnt Ben Hood (Kevin Kline) hinter dem Rücken seiner Frau Elena (Joan Allen) eine Affäre mit der Nachbarin Janey Carver (Sigourney Weaver), die wiederum von ihrer Ehe mit Jim (Jamey Sheridan) gelangweilt ist. Aber auch die Kinder der beiden Paare versuchen sich an ersten sexuellen Erfahrungen, mit gemischtem Erfolg. Während Wendy (Christina Ricci) die beiden Carver-Brüder (Elijah Wood, Adam Hann-Byrd) verrückt macht, hat ihr eigener Bruder Paul (Tobey Maguire) ein Auge auf eine Mitschülerin geworfen …

Thanksgiving, das ist eigentlich einer dieser Anlässe in den USA, in denen die ganze Familie zusammenkommt. Das bedeutet in Filmen, dass viel gegessen und viel gestritten wird, am Ende aber auch versöhnt, zum Nachtisch gibt es so viel Zuckerguss, dass einem schon vom Zusehen schlecht wird. Außer bei Der Eissturm. Auch der Film spielt an dem uramerikanischen Familienfest, genauer dem Thanksgiving-Wochenende 1973. Aber von Harmonie, ob nun anfänglicher oder angefutterter, ist hier weit und breit nichts zu sehen. Wenn in dem Drama tatsächliche Streitigkeiten selten sind, dann nicht, weil alles so toll läuft. Im Gegenteil: Die Familien sind schon so entzweit, dass es nicht einmal mehr zum Streiten reicht.

Wer liebt hier wen?
Der Anfang gestaltet sich daher auch ein wenig verwirrend. Zwei Familien, jedes davon hat zwei Kinder. Doch wer wohin gehört, erschließt sich nicht auf den ersten Blick, wenn nirgends eine wirkliche Zusammengehörigkeit zu spüren ist. Nicht zwischen den Partnern, nicht zwischen Eltern und Kindern. Selbst die Affäre von Ben und Janey ist so gleichgültig, so frostig, dass man nicht genau weiß, warum sie das überhaupt tun. Sie habe schon einen Mann, sagt Janey ihrem Liebhaber nach einer intimen Szene, und brauche deshalb keinen zweiten Mann, der sie langweilt, als er eine Konversation zu beginnen versucht. Der Versuch der Annäherung, er ist zum Scheitern verurteilt.

Auch bei den Dialogen zwischen den Eltern und ihren Kindern tun sich Abgründe auf. Jim schafft es beispielsweise nicht, seine beiden Söhne in ein wirkliches Gespräch zu verwickeln. Sie sind Fremdkörper. So wie er selbst ein Fremdkörper in seinem Leben ist, eine Art Gast, der von niemandem mehr wahrgenommen wird. Sinnbildlich dafür ist eine Party, auf der beide Paare sein werden, bei der es eigentlich um Anziehungskraft geht, um Gemeinsamkeit, um Lust. Doch das Ergebnis ist destruktiv, grenzt aus, führt zu den emotionalsten Szenen eines Films, der in seiner eigenen Gefühllosigkeit erfroren ist.

Das Nichts in vielen Details
Regisseur Ang Lee, der sich in den letzten Jahren mit Die irre Heldentour des Billy Lynn und Gemini Man eher auf technische Aspekte konzentrierte als auf seine Figuren, agiert hier äußerst zurückgenommen. Sein Film verurteilt nicht, er beobachtet nur. Aber er beobachtet sehr genau. Große Szenen gibt es in Der Eissturm nicht, nur zum Ende hin wird es tatsächlich dramatischer. Ansonsten vertraut der taiwanesische Regisseur auf die kleinen Momente, unscheinbar, dabei doch vielsagend. Eine Demonstration des Subtilen, der feinen Gesten, unterstützt von einem hervorragenden Ensemble.

Die Adaption von Rick Moodys gleichnamigen Roman ist dabei einerseits die persönliche Geschichte von zwei auseinanderbrechenden Familien, ist gleichzeitig aber Zeitporträt. Lee hält hier die Bürgerlichkeit der USA Anfang der 1970er fest, getrieben von Selbstsucht und Selbstbezogenheit, auf der Suche nach Erfüllung und doch innerlich leer. Das ist teils sehr schön, teils verstörend, Der Eissturm nimmt einen mit auf eine Reise, die selbst auslaugt, ein wenig wie die Werke von Michael Haneke es getan haben. Das Drama braucht dafür aber keine Gewalt oder den Schock, auf den der Österreicher oft zurückgriff. Hier darf man auch ohne solche Elemente verzweifeln und sich im Anschluss nach ganz viel Wärme sehnen.

Credits

OT: „The Ice Storm“
Land: USA
Jahr: 1997
Regie: Ang Lee
Drehbuch: James Schamus
Vorlage: Rick Moody
Musik: Mychael Danna
Kamera: Frederick Elmes
Besetzung: Kevin Kline, Joan Allen, Christina Ricci, Tobey Maguire, Jamey Sheridan, Sigourney Weaver, Elijah Wood, Adam Hann-Byrd

Bilder

Trailer

Filmfeste

Cannes 1997
Locarno 1997
International Film Festival Rotterdam 1998
Locarno 2018

Filmpreise

Preis Jahr Kategorie Ergebnis
BAFTA Awards 1998 Beste Nebendarstellerin Sigourney Weaver Sieg
Bestes adaptiertes Drehbuch James Schamus Nominierung
Cannes 1997 Bestes Drehbuch Sieg
Golden Globe Awards 1998 Beste Nebendarstellerin Sigourney Weaver Nominierung

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„Der Eissturm“ zeigt zwei US-amerikanische Familien Anfang der 1970er, die schon seit Längerem nicht mehr wirklich funktionieren und im Laufe eines Thanksgiving-Wochenendes endgültig auseinanderzubrechen drohen. Die Roman-Adaption ist dabei weitestgehend frei von großen Szenen, zeigt vielmehr – auch mit der exzellenten Besetzung – anhand von Details, wie eine ichbezogene Gesellschaft den Zusammenhalt verloren hat.
8
von 10