Nurejew the White Crow
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Nurejew – The White Crow

Nurejew The White Crow
„Nurejew – The White Crow“ // Deutschland-Start: 26. September 2019 (Kino)

Seit seiner Kindheit schon träumte er davon, ein großer Tänzer zu werden. Inzwischen hat er es geschafft, Rudolf Nurejew (Oleg Ivenko) genießt in seiner Heimat Russland einen glänzenden Ruf. So glänzend, dass er in den 1960ern zusammen mit anderen in den Westen geschickt wird, um das kulturelle Ansehen seines Heimatlandes zu stärken. Doch der junge Tänzer hält wenig davon, sich von anderen für deren Zwecke einspannen zu lassen. Er will Spaß haben, das Leben genießen, kostet das Nachtleben und das kulturelle Angebot von Paris aus, auch zusammen mit Clara Saint (Adéle Exarchopoulos). Das wiederum ist den russischen Agenten, die auf ihn aufpassen sollen, ein Dorn im Auge …

Als Schauspieler genießt Ralph Fiennes zweifellos Weltruhm, war zweimal für den Oscar nominiert, sackte eine Reihe anderer Preise an, spielte in zahlreichen Filmen mit. Er steht zudem wie kaum ein anderer für das traditionelle Großbritannien, ein vornehmer Gentleman alter Schule, wie man ihn nur auf der Insel findet. Bei seinen Regiearbeiten erfüllt er diese Klischees aber kaum. Sein Biopic The Invisible Woman (2013) über den großen viktorianischen Autor Charles Dickens kommt dem noch am nächsten. Sein zwei Jahre zuvor erschienenes Regiedebüt Coriolanus – Enemy of War basierte zwar auf einem Stück von Shakespeare, verlegt das jedoch in die Neuzeit. In Nurejew – The White Crow kehrt er nun in die Vergangenheit zurück, verlässt dabei aber die Insel, wenn er sich dem Schicksal des russischen Ballettwunders Rudolf Nurejew zuwendet.

Ein Tanzfilm mit anderen Schwerpunkten
Die Titelrolle konnte er damit zwar nicht übernehmen, anders als in seinen ersten beiden Regie-Werken. Auftreten wollte er aber trotzdem und sicherte sich deshalb einfach die Rolle des russischen Ballettlehrers Alexander Pushkin, selbst eine historische Berühmtheit. Den Vorzeigebriten als Russen zu sehen und vor allem zu hören – in Nurejew – The White Crow dürfen die Charaktere tatsächlich die dazugehörigen Sprachen anwenden –, ist anfangs ein wenig irritierend. Seine eher väterlich angelegte Figur ist aber durchaus ein Gewinn für den Film, umso mehr da dieser auf den sonst üblichen Drill verzichtet. Dass ein Leben als Tänzer viel harte Arbeit erfordert, das wird hier zwar nicht abgestritten. Es spielt nur keine wirkliche Rolle.

Das ist auch deshalb bemerkenswert, weil die Figur des Nurejew sich für einen solchen Konflikt geradezu aufdrängt. Er ist so hungrig auf das Leben und voller Tatendrang, dass jeder, der ihn auch nur ansatzweise einengen könnte, erst einmal rücksichtslos zur Seite gestoßen wird. Dass er damit andere verletzt, ist ihm ebenso gleichgültig wie die Risiken, die für ihn selbst damit einhergehen. Diplomatie ist ihm ein Fremdwort, Zurückhaltung sowieso. Das macht ihn vielleicht nicht zu der sympathischsten Figur, die man dieses Jahr auf der Leinwand sehen darf. Aber doch zu einer der faszinierendsten, auch weil sich Nachwuchsdarsteller Oleg Ivenko diese Rolle völlig zu eigen macht, Anmut, Kraft und Energie zu einem Wirbelwind zusammenrührt, der einen schon vom bloßen Zusehen schwindlig werden lässt.

Ein ganzes Leben in einem Moment
Das Tanzen selbst kommt dabei eher etwas kurz. Wer sich ein Kinoticket für Nurejew – The White Crow holt, in der Erwartung, viele Beispiele für das große Talent des Russen zu sehen, der könnte deshalb enttäuscht sein. Die späteren Jahre spielen ohnehin keine Rolle, Fiennes und Drehbuchautor David Hare (The Hours) wollen lieber die jungen Jahre zeigen und Nurejews Drang nach Freiheit. Das gipfelte in einem großen Knall, der hier auch für den Höhepunkt aufgehoben wird. Das ist sicherlich verständlich, war seine Lebensgeschichte an dieser Stelle doch spektakulär. Allerdings reduziert der Film dadurch ein wenig die Figur auf seinen Konflikt mit den russischen Behörden, lässt alles andere nur als Zwischenschritt zur eigentlichen Geschichte erscheinen.

Doch das sind eher Details, die ebenso wie die etwas zu lange Laufzeit und die filmische Konventionalität auffallen, aber nicht übermäßig stören. Wer historische Biopics mag, ein Interesse für das Thema hat oder schlicht und ergreifend spannende Figuren sehen will, der sollte sich das hier durchaus einmal überlegen. Das Drama, das unter anderem beim Filmfest München 2019 zu sehen war, ist ein atmosphärischer Ausflug in die Zeit des Kalten Krieges und die Welt des Tanzes und zeigt auf, wie selbst völlig unpolitische Bereiche politisch sein können. Vor allem aber ist es ein Film über einen Freigeist und dessen Kampf dafür, er selbst sein zu dürfen.



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„Nurejew – The White Crow“ erzählt die Geschichte von Rudolf Nurejew, der einer der größten Ballett-Tänzer war. Der Tanzaspekt kommt dabei vergleichsweise kurz, außerdem wird das Leben des Russen auf einen Wendepunkt reduziert. Dafür ist die Figur so spannend durch ihre unbeirrte Energie, dass man ihr die gut zwei Stunden gerne zuschaut, wie sie alles und jeden durcheinanderbringt.
7
von 10