Bound Gefesselt
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Bound – Gefesselt

„Bound – Gefesselt“ // Deutschland-Start: 31. Oktober 1996 (Kino) // 20. September 2019 (DVD/Blu-ray)

Frisch aus dem Gefängnis entlassen, begegnet die toughe Corky (Gina Gershon) zufällig ihrer verführerischen Nachbarin Violet (Jennifer Tilly) im Aufzug. Es ist Liebe auf den ersten Blick und der Beginn einer heißen Liebesaffäre zwischen den beiden, die sie im Apartment von Violets Freund Ceasar (Joe Pantoliano) ausleben. Schon seit einiger Zeit spielt Violet mit dem Gedanken, sich von dem eifersüchtigen Mafioso zu trennen. Doch für einen gemeinsamen Neuanfang fehlt den Frauen das nötige Geld. Mit einem riskanten Plan wollen sie Ceasar und seine Anhänger um zwei Millionen Dollar erleichtern. Doch wer sich mit der Mafia anlegt, muss bereit sein über Leichen zu gehen.

Bonny und Clyde waren (vor-)gestern, hier kommen Corky und Violet! Bound – Gefesselt, der Debütfilm der Wachowski-Geschwister Andy und Larry (heute Lilly und Lana), erzählt davon, wie die beiden scheinbar ungleichen Frauen den schmierigen Kleinganoven Ceasar um die Beute seines letzten Coups erleichtern. Mit dieser kreativen feministischen Umdeutung des klassischen Film Noir-Schemas legten die Wachowskis den Grundstein für ihre Weltkarriere.

Elaborierte Noir-Ästhetik
Genre, das ist immer ein Wechselspiel aus Wiederholung und Variation. Das Sehvergnügen ergibt sich aus dem Wiedererkennungswert bekannter Schemata und zugleich überraschenden Wendungen und Neuinterpretationen. Bound kann man getrost als ein Paradebeispiel für diese wirkungsvolle Strategie bezeichnen: Der Neo Noir würdigt die wichtigsten narrativen und ästhetischen Strategien des klassischen Film Noir, inklusive der obligatorischen Rückblendenstruktur, kontrastreiche low-key-Lichtsetzung und einer voice-over-Erzählung. Stilisiert und stilsicher zeigen die Wachwoskis hier, etwa vermittels fantastischer Zeitlupensequenzen und verkanteter Kameraperspektiven, ihr Talent für Suspense, Komposition und Choreografie, das sie in drei Jahre später in Matrix zur Perfektion ausarbeiten sollten.

Inversion von Genre-Klischees
Doch auch abseits der selbstreflexiv angeeigneten Noir-Ästhetik weiß der mit einem umfangreichen, schön aufgemachten Booklet wiederveröffentlichte Kulttitel zu überzeugen. Das bewusst klassische Genre-Korsett dient den Wachowskis nämlich – genau wie später in Matrix – als Vehikel für ihre emanzipatorische Botschaft. Diese ergibt sich aus dem vergleichsweise einfachen Kniff, statt des überholten Hard Boiled Detectives oder eines abgehalfterten Gangsters zwei Frauen ins Zentrum der Handlung zu stellen. Diese könnten – auf den ersten Blick – kaum unterschiedlicher wirken: Die stets in eine schwarze Lederjacke gekleidete Corky ist lesbisch, sexuell selbstbestimmt und lässt sich nicht zum Lustobjekt männlicher Figuren degradieren.

Die (zunächst) schüchterne Prostituierte Violet dagegen ist in etwas gefangen, was man heute wohl eine „toxic relationship“ nennen würde. Ihr Liebhaber (?) und vor allem Zuhälter Ceasar agiert besitzergreifend und gewalttätig. In dieser Rolle des schmierigen, homophoben und misogynen Mafia-Machos besetzten die Wachowskis Joe Pantoliano, der auch in Matrix als rückgratloser Verräter Cypher nicht gerade den großen Sympathieträger abgibt. Apropos: Die Sympathien sind im Film klar verteilt. Die lange unterdrückte Violet will ein neues Leben und als Zuschauer gönnt man ihr dieses von ganzem Herzen.

Clever verpackte Gesellschaftskritik
Hier kommt die selbstbewusste Corky ins Spiel. Unter ihrer Federführung schmieden die beiden Frauen – auch hier wieder ganz in der Tradition der Noir-Erzählung – einen elaborierten Plan, eine Intrige, um Ceasar das Geld abzuknöpfen, das er sich gerade von der örtlichen Mafia ergaunert hat. Gekonnt spielen die Protagonistinnen die minderbemittelten Möchtegerngangster gegeneinander aus, wobei ihnen ebenso ein „Recht“ auf Habgier und Kaltblütigkeit zugestanden wird wie sonst nur ihren männlichen Gegenspielern. Bound verweigert sich konsequent gängigen Genderklischees und geschlechtsspezifischen Rollenbildern. Die männlichen Figuren sind hier nur Hindernisse oder Mittel zum Zweck auf dem Weg in eine glückliche, männerlose Zukunft der Protagonistinnen (der Vergleich zu Thelma & Louise drängt sich gerade in der Schlusssequenz förmlich auf).

Nicht nur das Verbrechen, der ganze Lebensstil von Corky und Violet stellt einen Akt der ostentativen Transgression dar. Offen lesbische Protagonistinnen waren auch in den 90er Jahren noch keineswegs eine Selbstverständlichkeit auf der Kinoleinwand. Und auch heute, 23 Jahre nach seiner ursprünglichen Erscheinung, sind Emanzipation und weibliche Solidarität hochaktuelle Themen. Und auch eine weitere, kapitalismuskritische politische Message dringt durch, wenn Corky ihren Raubzug augenzwinkernd als „redistribution of wealth“ bezeichnet. Letztlich sind Corky und Violet, so ließe sich argumentieren, gewissermaßen zwei Seiten ein und derselben Figur, wodurch sie sich einer eindeutigen und letztgültigen Definition von Weiblichkeit entziehen und nachdrücklich auf der Fluidität von Geschlechterrollen insistieren.



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„Bound“ ist auch 23 Jahre nach Erscheinen noch ein hochaktueller und relevanter Film, der gekonnt einerseits dem tradierten Genremuster des (Neo-)Noir formal sehr treu bleibt und es andererseits geschickt subvertiert und radikal neu deutet. Dank inszenatorischer Raffinesse, extrem starken Hauptdarstellerinnen und geschickt transportierter Gesellschaftskritik ein auf allen Ebenen gelungener Debütfilm.
8
von 10