Cleo
Auf der Spur der Vergangenheit: In seinem Spielfilmdebüt "Cleo" befasst sich Regisseur Erik Schmitt mit der Geschichte Berlins und muntert gleichzeitig dazu auf, den Alltag wieder neu zu entdecken.

Erik Schmitt [Interview]

Nachdem Erik Schmitt mit seinen Kurzfilmen auf unzähligen Festivals zu Gast war und mit seiner ganz eigenen Bildsprache für Aufmerksamkeit sorgte, durfte das Publikum gespannt sein, wie wohl der erste Spielfilm des Regisseurs sein würde. Die Antwort gibt er nun in Cleo. Darin erzählt er die Geschichte einer jungen Frau, die zusammen mit drei anderen in Berlin auf eine große Schatzsuche geht, um mit Hilfe einer magischen Uhr die Zeit zurückdrehen zu können. Derzeit ist Erik mit dem Film auf großer Tour, bevor am 25. Juli 2019 der reguläre Kinostart ansteht. Die Gelegenheit haben wir genutzt, um den Filmemacher zu seinem Debüt ein bisschen auszuquetschen, mit ihm in die Vergangenheit zu reisen und natürlich auch zu seinen Zukunftsplänen zu befragen.

Erik, erzähl uns doch ein bisschen was über dich. Wie bist du Filmemacher geworden?
Interessiert hat es mich immer. Aber ich hatte damals sehr viele Interessen. Ich wusste damals deshalb nicht, was genau ich studieren soll, und habe erstmal Kommunikationswissenschaften an der LMU in München studiert. Ich wollte aber immer nach Berlin, das war mein heimlicher Traum. Zwei Jahre später bin ich dann auch hingezogen. 2006/2007 war ich mit meinem Studium fertig und habe begonnen, für eine Werbeagentur in Berlin YouTube Clips zu drehen. Dabei habe ich gemerkt: In den Filmen konnte ich meine ganzen Interessen vereinen, die ich damals so hatte – Musik, Geschichten erzählen, visuelle Tricks. Dann bin ich über diese Agentur auf ein spannendes Projekt gestoßen: Das erste Solarauto, das um die Welt fahren will, suchte einen Videomenschen. Ich bin ein Jahr mitgefahren und habe dadurch meinen ersten Dokumentar-Film gemacht.

Bist du des Films wegen mit?
Mir ging es erstmal um das Abenteuer. Dadurch bin ich aber erst richtig auf den Geschmack des Filmemachens gekommen und habe angefangen, zusammen mit dem  Filmemacher Stephan Müller unter dem Namen „Kamerapferd“ Kurzfilme zu drehen und Tricks zu entwerfen, analoge Stop-Motion-Sachen und so ein Zeug. Dadurch entstand der Kurzfilm Nashorn im Galopp, der weltweit sehr gut auf Festivals lief. Daraus wollten wir einen Langfilm machen. Das war 2014, und wir haben von Wim Wenders ein Drehbuchstipendium bekommen. Ich dachte natürlich, dass das alles viel schneller geht. Am Ende hat es aber rund viereinhalb Jahre gedauert. Elemente des Nashorns sind immer noch drin, aber natürlich hat sich der Film im Laufe der langen Arbeit komplett verändert.

Warum hat es so lange gedauert?
Ich hatte gelernt, wie man analoge Tricks macht oder wie man Szenen inszeniert. Aber letztendlich ist Dramaturgie, vor allem Kinodramaturgie, unglaublich komplex. Das ist eine hohe Kunst, ein Drehbuch zu schreiben, das dich 90 Minuten involviert. Ich dachte, das würde bei Cleo genauso einfach wie bei den Kurzfilmen. Und dann sind wir in etwas hineingelaufen, was wohl alle Drehbuchautoren so erleben: Du taumelst in einen Abgrund rein und musst dich erst einmal selbst wiederfinden und, wie die Protagonisten in unseren Film, aus dem Dunklen herausfinden.

Und wie sah es bei der Finanzierung aus?
Dank der Kurzfilmerfolge war die Finanzierung machbar. Wir sind natürlich trotzdem ein Low-Budget-Film, und mussten mit unserem Geld sehr sparsam umgehen. Dafür konnten wir uns beim Schnitt etwas Zeit lassen. Beim ersten Film kannst du dir das noch erlauben, weil Schnitt eigentlich nicht teuer ist. Ob man jetzt drei Monate länger schneidet, ist finanziell zu vernachlässigen, hat aber unglaublichen Einfluss auf die Dramaturgie des Films. Das hat dem Film auch gut getan.

Was hat sich durch den Schnitt denn geändert?
Beim Schreiben stellst du dir Szenen immer so und so vor. Beim Schnitt hast du die Dramaturgie und den Film dann nackt vor dir. Du merkst auch, wenn du etwas in Minute 5 änderst, dass du gleichzeitig etwas in Minute 89 änderst. Dieses Gebilde ist wahnsinnig fragil, aber eben auch wahnsinnig interessant. Ich musste Szenen herausschneiden, darunter auch einen ganzen Charakter. Es gab einen Freund bzw. einen Ex-Freund von Cleo, gespielt von Wayne Carpendale. Die beiden hatten eine wundervolle Szene, die vielleicht beste Spielszene, die ich bislang inszeniert habe. Aber es hätte einfach nicht funktioniert, weil man dann ein anderes Gespür für den Charakter bekommt. Das war eine harte Entscheidung, das wieder rauszunehmen. Jetzt achte ich beim Schreiben von vornherein mehr drauf: Hat dieser Satz, hat dieser Blick eine Bedeutung? Ist das jetzt wichtig oder kann ich es herausnehmen? Wenn ich es herausnehmen kann, muss ich es nicht drehen.

Wie hast du dir das Schreiben beigebracht? Hast du viele Filme angeschaut? Oder einfach rumprobiert?
Die Idee war, bei jedem Schritt des Filmemachens innovativ ranzugehen. Wir haben beim Schreiben aber irgendwann gemerkt, dass das so nicht klappt und dass wir einen gelernten Drehbuchautor brauchen. Wir haben Stefanie Ren gefunden – eine tolle Autorin. Aber das Aneignen war genau, wie du gesagt hast: Ich habe das erste Mal angefangen, wirklich viele Filme zu gucken. Eine der besten Arten, einen Film zu verstehen, wirklich die ist, ganz aufmerksam zu schauen, auch zwei- oder dreimal.  Wenn du einen Film mehrfach anguckst, merkst du die Tricks, die Kniffe. Ich habe außerdem Drehbücher gelesen, die da gerade herumschwirrten. Aber das hilft dir nur bedingt. Es gibt zwar eine Grundstruktur, die alle Geschichten in sich tragen. Die muss man verstehen. Es gibt Elemente, die eine Geschichte braucht, um eine Geschichte zu sein. Aber es geht dann genau da drum, dass die nicht immer auf eine bestimmte Weise angeordnet werden müssen. Das kann auch mal anders sein. Für mich war das quasi eine Ausbildung zum Filmemacher.

Hattest du erst die grobe Geschichte, die du dann ausgearbeitet hast, oder hattest du zuerst einzelne Szenen im Kopf, die sich dann zu einer Geschichte zusammengesetzt haben?
Das war das Problem. Als ich angefangen habe, hatte ich zuerst lauter grobe Ideen, visuelle Ideen, aber auch Themen, die mich interessiert haben. Da hat mich beispielsweise schon der Teufelsberg interessiert. Aber ich wusste nicht, wie ich ihn in die Geschichte integriere. Da ging es erst um einen Archäologen, der in Berlin eine Ausgrabung macht. Diese Lösung, alles über eine emotional motivierte Reise zu verbinden, das kam dann erst durch die Drehbuchautorin.

Cleo
In „Cleo“ suchen die Protagonisten nach alten Schätzen. Doch die gibt es auch im Alltag, man muss nur genauer hinschauen.

In dem Film ist die Vergangenheit allgegenwärtig. Cleo, die bereut, was damals passiert ist, und das ändern will. Es gibt den Teufelsberg, den du erwähnt hast. Alte Schätze. Da sind die historischen Figuren, die auf einmal irgendwo auftauchen. Bist du jemand, der sich sehr mit der Vergangenheit auseinandersetzt?
Ich hatte gewisse Erlebnisse in meinem Leben, bei denen ich auch viel Zeit verloren habe, indem ich darüber nachgedacht habe, wie ich sie rückgängig hätte machen können. Das ist der eine Aspekt. Der andere ist, dass mich tatsächlich der Geist des Ortes interessiert. Hat ein Ort eine Erinnerung? Und wenn ja, was bedeutet das? Das ist in Deutschland, gerade auch in Berlin ein Thema. Wir kennen alle diese Stolpersteine, mit denen an die Opfer des Nationalsozialismus erinnert wird. Die erzählen die vergessenen Geschichten des Ortes: Vor nicht allzu langer Zeit wurden hier vielleicht zwei fünfjährige Mädchen herausgezogen und in irgendein KZ gefahren. Dieser Geist des Ortes fasziniert mich grundsätzlich. Die Leute sagen zwar: Das ist Quatsch, sowas gibt es nicht. Aber stell dir mal vor, du kaufst dir ein Haus und man sagt dir, dass in der letzten Nacht darin jemand grausam ermordet wurde. Das ist dir dann auch nicht egal, auch wenn es das rein faktisch sein sollte. Egal wie rational du bist, das wird sich irgendwie komisch anfühlen. Deswegen glauben wir insgeheim wohl doch daran, dass Orte mehr sind. Und dem wollte ich auf die Spur gehen.

Woher kommt eigentlich deine besondere Beziehung zu Berlin? Dein Film ist ja schon auch eine Liebeserklärung an die Stadt.
Ich kann es mir selbst nicht zu 100 Prozent erklären. Ich habe diesen Berlin-Drang seit Langem, als würde mich die Stadt schon früh rufen. Mittlerweile ist auch der Punkt erreicht, an dem ich länger in Berlin gewohnt habe als in jeder anderen Stadt. Als ich 2002 nach Berlin gekommen bin, habe ich mich sofort zu Hause gefühlt. Ich kam an und war Teil der Stadt. Aber es war eben auch dieses Gefühl, dass ich unter jedem Stein etwas finde. Das kann eine alte Münze sein oder eine Fliegerbombe. Die Faszination dieser Stadt, die so vieles erlebt hat. Die so stark traumatisiert ist und gleichzeitig so lebensfroh geworden ist. Das ist letztendlich die Geschichte, die unsere Protagonistin durchmacht. Sie hat beides in sich. Es gibt keine andere Stadt, in der eine Mauer quer durch die ganze Stadt ging. Was macht das mit einer Stadt, wenn du nicht auf die andere Seite darfst?

Ist diese Teilung heute noch zu spüren?
Die Teilung an sich nicht. Daran erinnert nur noch eine kleine Reihe Pflastersteine im Boden. Die Geschichte der Trennung ist aber wiederum noch deutlich zu spüren.

In deinen Filmen geht es auch immer darum, unterwegs etwas Besonderes zu entdecken. Bist du jemand, der gezielt nach diesem Besonderen sucht, oder findet es dich?
Ich hoffe, dass der Film auch dazu inspiriert so auf die Welt zu schauen. Es geht mir darum zu sagen: Geh einmal durch eine Straße und kuck genau hin, anstatt darüber nachzudenken, ob du es noch zum Schwimmen schaffst oder einkaufen gehen musst. Aufmerksamkeit hat für mich etwas mit „im Moment sein“ zu tun. Das ist etwas, das wir zu schnell verlieren.

Warum verlieren wir das?
Ich glaube, weil gerade die Phasen des konzentrierten Denkens kaputtgehen durch extreme Ablenkung. Während wir hier sitzen, habe ich bereits vier SMS bekommen. Diese Phase, wo man wirklich in einen Gedanken eintaucht oder achtsam ist, das sind total befriedigende Momente im Leben. Man geht in die Sauna oder lässt sich massieren, um mal wieder kurz hier zu sein. Aber das kannst du auch haben, wenn du die Straße runtergehst, einfach nur kuckst und dich fragst: Was finde ich hier Besonderes? Das kann eine witzige Schmiererei auf einem Straßenschild sein oder du entdeckst, dass ein Haus ein Gesicht hat. Du siehst vielleicht auch eine Mikrogeschichte von zwei Leuten, die eine Taube jagen. Es passiert so wahnsinnig viel, aber wir haben keine Chance mehr, darin einzutauchen und etwas zu betrachten, ohne gleich den Sinn zu hinterfragen. Das war einer der vielen Beweggründe, den Film so zu machen, wie er ist. All diese Tricks, die ihr seht, die sind selbst gemacht. Die könnt ihr auch alle selbst machen. Ich versuche keine Illusionen zu erzeugen, indem ich perfekt computeranimierte Fantasiewelten erschaffe. Die mag ich auch und schätze sie. Aber ich selbst will lieber unsere Welt zeigen, wie sie jeder sehen kann, wenn er oder sie achtsam ist.

So ging es mir, als ich als Student in Tokio war. Damals fand ich es auch viel spannender, in irgendwelchen Hinterhöfen unterwegs zu sein, anstatt die üblichen Sehenswürdigkeiten abzuklappern.
In einer fremden Umgebung fällt uns das mit der Achtsamkeit auch noch einmal etwas leichter. Wenn du das erste Mal in einer Stadt bist, die komplett anders tickt, ob jetzt Tokio oder auch irgendwo in Sibirien, dann schaust du viel eher hin. Diese Orte zwingen dich geradezu zu dieser Aufmerksamkeit, weil sie so fremd sind und du in einer ungewohnten Umgebung bist. Das ist natürlich schwieriger, wenn du beispielsweise nach Hause läufst und einen Weg passierst, den du in dieser Woche schon 18 Mal gelaufen bist. Dann sagt mein Gehirn: Hey, ich übernehme das mal hier und du kannst dich währenddessen auf etwas anderes konzentrieren.

Zum Beispiel das Beantworten von SMS.
Genau. In Tokio kannst du das nicht. Deswegen sind Reisen auch so inspirierend für uns. Und so heilsam. Aber rein theoretisch können wir uns aber auch beibringen, das in unseren Alltag zu integrieren.

Welche Reisen oder Orte haben dich inspiriert?
Das sind sehr viele. Allein diese Reise in dem Solarauto hat mir unglaublich viel gegeben. Mit einem kleinen selbstgebauten Elektroauto durch Indien zu fahren oder durch China, das war schon spektakulär. Auch Australien, wo ich meinen Abschluss gemacht habe, war sehr inspirierend. Kolumbien. Ich mag auch die USA. Es würde mir da sehr schwerfallen, etwas herauszupicken.

Was steht als nächstes bei dir? Woran arbeitest du?
Als nächstes steht eine Buchverfilmung an, zusammen mit einer größeren Produktionsfirma. Die Geschichte ist düsterer und größer als Cleo, wodurch ich die Zeit und die Gelegenheit habe, eine neue Visualität zu entdecken und mich einfach ein bisschen auszuprobieren.

Auf der Suche nach dieser Visualität, wie entwickelst du diese Ideen?
Ganz unterschiedlich. Wichtig ist, Inspiration zuzulassen. Und damit meine ich eine echte Inspiration, nicht bloße Berieselung. Diese Inspirationen können durch Gemälde kommen oder Fotos. Vielleicht findest du aber auch etwas Witziges beim Browsen durchs Internet, das du weiterentwickeln kannst. Eine meiner größten Inspirationen ist es, auf dem Sofa zu liegen, Musik zu hören und Zeit zu haben. Wenn ich das schaffe, bauen sich vor mir visuelle Welten auf. Das ist eine schöne Reise, die ich aber aktiv initiieren muss. Gleichzeitig musst du aber natürlich im Blick behalten, dass ein Film auch ein kommerzielles Produkt ist, das Geld verdienen muss. Du drehst einen Film nicht nur für dich selbst, sondern willst ja auch, dass andere ihn sehen und verstehen können. Und das ist ein interessanter Konflikt.

Erik Schmitt Interview

Zur Person
Erik Schmitt wurde 1980 in Mainz geboren und wuchs in Worms auf. Nach dem Studium der Kommunikationswissenschaften an der LMU in München zog er nach Berlin und arbeitete für eine Werbeagentur. In Folge drehte er mehrere Kurzfilme, darunter Nun Sehen Sie Folgendes (2011), Nashorn im Galopp (2013) und Berlin Metanoia (2016). Insgesamt gewann er mit seinen Kurzfilmen über 100 internationale Festival- und Filmpreise. 2018 gründete er zusammen mit der Regisseurin Julia von Heinz, dem Regisseur David Wnendt und dem Produzenten Fabian Gasmia die Produktionsfirma Seven Elephants GmbH. Sein Spielfilmdebüt Cleo eröffnete 2019 die Sektion Generation Kplus der Internationalen Filmfestspiele von Berlin. Derzeit arbeitet er an seinem zweiten Spielfilm.



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