Another Reality

Another Reality

Another Reality
„Another Reality“ // Deutschland-Start: nicht angekündigt

Unsere Marotten haben wir natürlich alle irgendwo, kleine Eigenheiten, die uns zu denen machen, die wir sind. Das muss man nicht immer verstehen, manchmal reicht es, das einfach zur Kenntnis zu nehmen. Wenn dir jedoch jemand erzählt, er kann im Restaurant nicht mehr mit dem Rücken zur Tür setzen, weil er im Falle eines Mordes sehen will, wer ihn denn gerade ermordet, dann frieren dir schon einmal etwas deine Gesichtszüge ein. So geschehen bei Another Reality, das seinem Titel alle Ehre macht.

Anders als man vermuten könnte, hat das hier nichts mit virtuellen Ausflügen oder auch dem kreativen Umgang mit der Wahrheit zu tun. Vielmehr entführt uns der Dokumentarfilm in das, was von manchen gern mal als Parallelgesellschaft bezeichnet wird. Teile unserer Gesellschaft, die gern unter sich bleiben, eigene Regeln verfolgen, die höchstens zufällig mal mit denen der Außenwelt zu tun haben. Von denen des Gesetzbuches ganz zu schweigen.

Das Leben abseits der Legalität
Fünf Personen sind es, mit denen sich das Regieduo Noël Dernesch und Oliver Waldhauer (Istanbul United) während der mehr als drei Jahre dauernden Drehzeit getroffen hat. Drei Jahre, in denen sie sich doch erstaunlich nahegekommen sind. Denn was sie aus ihrem Leben, sei es das aktuelle oder das frühere zu erzählen haben, das würde man eher in einem Spielfilm vermuten, weniger in einer Dokumentation. Denn kriminell waren sie alle mal, sind es zum Teil noch. Das kann mal erschreckend sein wie beim obigen Beispiel mit dem Platz im Restaurant. Andere Enthüllungen sind eher kurioser Natur, etwa bei einem vormals angehenden Polizisten, der parallel nicht von den illegalen Machenschaften lassen konnte.

Es war aber auch zu verführerisch, das schnelle Geld. Anstatt sich einen abschuften zu müssen, lieber andere Wege einschlagen. Die Möglichkeiten sind groß, die Risiken leider auch. Da kommt es schon mal vor, dass man mehr Zeit hinter Gittern verbringt als da draußen. Und wer einmal in der Kriminalität gelandet ist, der kommt so bald nicht wieder raus. Denn Gefängnisse sind ein Paradebeispiel für Orte, an denen sich ganz andere Gesellschaftsstrukturen bilden. Logisch, wenn der Rest der Gesellschaft wegfällt. Wenn Verbrecher unter sich sind, ist das mit den positiven Vorbildern so eine Sache. Mehr noch, manch einer schlägt erst durch die Bestrafung eine wirkliche kriminelle Laufbahn ein.

Künstlerische Aufarbeitung
Teilweise thematisiert Another Reality, das auf dem DOK.fest München 2019 Weltpremiere feierte, diese Verselbständigung von Kriminalität und die Schwierigkeiten, aus diesem Kreis wieder auszubrechen. Ein anderes großes Thema ist die Verbindung von Kriminalität und Rap. Immerhin zwei der fünf Protagonisten machten im Anschluss an ihre Hafterfahrungen musikalische Karriere: Parham Vakili, alias P.A., sowie Kianush Rashedi, der von P.A. entdeckt wurde. Und auch Sinan Farhangmehr, alias Sinan-G, nutzte künstlerische Möglichkeiten, um seine Erfahrungen zu verarbeiten.

Die Frage, inwieweit kriminelle Karrieren und diese Musikrichtung zusammenhängen, ist natürlich spannend. Bedingt das eine das andere oder sind sie Ausdruck derselben Veranlagung? Selbst wenn die Protagonisten der Kriminalität entkommen konnten, ihre Stücke sprechen eine andere Sprache. Wirklich tief dringt Another Reality an der Stelle jedoch nicht durch. Der Dokumentarfilm vermeidet es, stärker analysieren zu wollen. Der Erkenntnisgewinn hält sich daher eher in Grenzen, als soziologische Studie taugt das hier nichts – dafür ist es zu persönlich. Als Einblick in eine nahe und doch fremde Welt funktioniert das aber ganz gut, eben eine andere Wirklichkeit, die irgendwo da draußen existiert.



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„Another Reality“ stellt uns fünf Männer vor, die alle mit dem Gesetz in Konflikt geraten sind, es teilweise immer noch tun. Das ist vor allem als Einblick in eine kriminelle Parallelgesellschaft, aus der es kaum ein Entkommen ist, spannend, selbst wenn der Dokumentarfilm mehr an der Persönlichkeit als an einer Analyse interessiert ist.