Galveston
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Galveston – Die Hölle ist ein Paradies

Galveston
„Galveston – Die Hölle ist ein Paradies“ // Deutschland-Start: 28. Februar 2019 (DVD/Blu-ray)

Roy (Ben Foster) hat lange davon gelebt, anderen Menschen ihr Leben zu nehmen. Doch jetzt scheint sich auch sein eigenes dem Ende zu nähern. Erst wird bei ihm gefährlicher Lungenkrebs diagnostiziert. Und dann wird der Auftragskiller selbst zur Zielscheibe für seinen früheren Boss. Seine ersten Angreifer kann er zwar alle ausschalten, aber das bedeutet, nun auf der Flucht zu sein. Verkompliziert wird die Situation durch das Call-Girl Rocky (Elle Fanning), das er währenddessen aufliest und die auch gleich noch ihre kleine Schwester mitschleppt. Denn auch sie hat ihre dunkle Vergangenheit.

Das Genrekino ist traditionell ja in männlicher Hand. In den letzten Jahren gab es jedoch eine Reihe bemerkenswerter Beispiele, wie Frauen sich dunkler Stoffe annehmen. Das bekannteste ist sicherlich Jennifer Kent, die mit Der Babadook für Aufsehen sorgte und deren Rache-Thriller The Nightingale letztes Jahr kontrovers aufgenommen wurde. Auch ihre Kollegin französische Kollegin Coralie Fargeat erzählte von einer jungen Frau, die sich für vergangenes Unrecht rächt, und stellte dabei so manche Konvention auf den Kopf. Nun folgt ihr die Landsfrau Mélanie Laurent nach, die durch Filme wie Inglourious Basterds oder Die Unfassbaren – Now You See Me international als Schauspielerin bekannt ist und hier ihr englischsprachiges Debüt als Regisseurin abliefert.

Düsterer Seitenwechsel
Als Vorlage diente ihr bei Galveston der gleichnamige Debütroman von Nic Pizzolatto aus dem Jahr 2010. Das Buch dürfte hierzulande kaum bekannt sein, der Name des Autors dafür schon – zumindest Serienfans. Schließlich war es Pizzolatto, der die gefeierte Krimiserie True Detective kreierte. Waren es dort noch zwei heruntergekommene Cops, die im Mittelpunkt standen, ist hier von Gesetzeshütern weit und breit nichts zu sehen. Oder auch von Recht und Ordnung. Stattdessen sehen wir größtenteils Leute, die bewusst eben diese Gesetze brechen oder im besten Fall zumindest wegschauen, wenn andere das tun.

Wobei, so wahnsinnig viele Leute bekommen wir gar nicht zu sehen. Was auch durchaus Sinn ergibt: Roy hat nur wenig Interesse daran, von seinen Verfolgern entdeckt zu werden. Je weniger von ihm und seinem Aufenthaltsort erfahren, umso besser. Über weite Strecken ist er damit auch durchaus erfolgreich, selbst wenn die gemeinsame Flucht mit Rocky und deren Schwester immer wieder zu Irritationen führt. Das ist für die Betroffenen positiv, für die Zuschauer hingegen zwiespältig. Wer ständige Schießereien erwartet oder furchtbar brenzlige Situationen, der wird sie hier nicht finden. Im Mittelpunkt stehen vielmehr die Flüchtenden.

Warum bin ich hier?
Das ist auch deshalb mutig, weil es nicht unbedingt eine spaßige Angelegenheit ist, mit ihnen Zeit verbringen zu müssen. Rocky ist nicht die Hure mit dem goldenen Herzen, wie wir sie so oft in derartigen Filmen finden. Vor allem aber der von Foster (Leave No Trace) brutal-unnahbar verkörperte Roy ist ein echter Problemfall. Dass er seine Begleiterin rettet, geschieht nicht aus Selbstlosigkeit heraus. Es ist vielmehr eine Art Unfall, ein oft lästiger Unfall. Die gemeinsame Zeit führt noch nicht mal zu einer spürbaren Verbesserung seines Charakters, bis zum Ende ist er ein sehr unangenehmer Zeitgenosse, dem man allenfalls mangels Alternativen die Daumen drückt. Schließlich gibt es hier keine nennenswerte Gegenseite, die Bedrohung durch die Gangster ist eher abstrakt als konkret.

Ob Galveston, das auf dem South by Southwest Festival 2018 Premiere feierte, damit ein größeres Publikum anspricht oder überhaupt ansprechen möchte, das ist fraglich. An vielen Stellen ist der Film mehr Drama als Thriller, was die Genrezielgruppe verprellen könnte. Und auch wer sich am Zwischenmenschlichen erfreut, bekommt nicht ganz das geboten, was man hier erwarten könnte. Das wiederum macht den Film interessant: Er nimmt männliche Mythen auseinander, ohne damit hausieren zu gehen, zerstört an der einen Stelle Hoffnungen, verweigert befreiende Szenen, nur um an anderen doch wieder Konventionen zu folgen. Das ist vielleicht nicht immer befriedigend, insgesamt aber doch ein lohnenswerter Beleg dafür, dass Frauen im Genrekino für frischen Wind sorgen können – selbst wenn dieser einen manchmal erstickt.



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Ein Killer und ein Call Girl sind auf gemeinsamer Flucht, da weiß man, was einen erwartet. Oder denkt es zumindest. Statt großer Actionszenen und charakterlicher Läuterung gibt es hier ein unangenehmes Warten mit unangenehmen Leuten. Für die Massen ist „Galveston“ nichts, auch nicht unbedingt für ein klassisches Genre-Zielpublikum. Als zeitweilige Abkehr von den üblichen Konventionen lohnt sich der Film jedoch.
7
von 10