Jawbone
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Jawbone

„Jawbone“ // Deutschland-Release // VOD: 17. August 2018

Die ruhmreichen Zeiten von Jimmy McCabe (Johnny Harris) sind vorbei, lange vorbei sogar. Dass er einmal erfolgreich geboxt hat, das würde man heute kaum noch vermuten, sein bester Freund – und größter Feind –, das ist heute die Flasche. Als auch noch seine Mutter stirbt und er aus der alten Wohnung raus muss, da kann er nicht mehr tiefer sinken. Also will er es doch noch einmal wissen und sich in den Boxring wagen. Bill (Ray Winstone), Besitzer seines alten Boxclubs, Kampfpromoter Joe (Ian McShane) und Trainer Eddie (Michael Smiley) stehen ihm tatsächlich hilfreich zur Seite. Doch der Neuanfang ist hart, umso mehr, da er sehr viel Geld braucht und deshalb gleich in die Vollen gehen muss.

Filme übers Boxen leben meistens von den artistisch ausgefeilten Kampfchoreographien, gepaart mit einer Aufsteiger- oder Comebackstory: Je unbedeutender der Protagonist ist, je weniger man ihm zutraut, umso größer ist das Vergnügen, sich mit ihm nach oben zu prügeln und es allen anderen zu zeigen. Zumindest der zweite Punkt ist bei Jawbone zweifelsfrei abgehakt. Alte Haudegen, die es noch einmal wissen wollen, denen begegnet man immer mal wieder. Während aber beispielsweise die Veteranen in Zwei vom alten Schlag selbstverliebte Wichtigtuer sind, die nicht einsehen wollen, dass ihre beste Zeit hinter ihnen liegt, ist Jimmy ein Wrack. Und das ist noch recht positiv ausgedrückt.

Ein Blick in den Abgrund
Wie er durchs Leben streift, auf der Suche nach ein wenig Sinn und Würde, wenigstens aber Geld und Alkohol, das ist schon ein richtig bitterer Anblick. Sähe man ihn nicht im Boxclub, sondern draußen auf der Straße, ein Hut und ein Pappschild vor sich ausgebreitet, er würde kaum weiter auffallen. Einen derart erbärmlichen Mann, der tiefer nicht sinken könnte, in einen Boxfilm zu stecken, das ist reizvoll. Und gleichzeitig mutig. Umso mehr, da Jawbone sich nicht wirklich an die Erwartungen hält.

Johnny Harris, der hier nicht nur die Hauptrolle übernahm, sondern auch für das Drehbuch verantwortlich war, hat sich die Figur wirklich auf den Leib geschrieben und dominiert das Geschehen, auch wenn er gar nicht viel tut. Nicht viel tun kann. Anders gesagt: Jawbone ist kein Film über das Boxen, sondern ein Film über Jimmy. Zwar wird viel über das Boxen geredet, zwischendrin auch ein bisschen trainiert. Und doch ist der Sportanteil eher sekundär. Stattdessen ist die britische Produktion ein Drama über einen Mann, der versucht, sich selbst aus der Gosse zu ziehen.

Der ewige Kampf gegen die eigene Bedeutungslosigkeit
Das ist teils beeindruckend, teils aber auch spröde. Der zweite Punkt, der einen solchen Film meistens auszeichnet – die Kämpfe –, der ist hier nur versteckt zu finden. Wenn sich Jimmy in einen Kampf wirft, dann ist es kein Kampf der Stärke oder des Geschicks. Es ist ein Kampf der Verzweiflung eines Mannes, der keine Alternative mehr hat. Schön anzusehen ist das weniger, Jawbone würde als Werbefilm sicher keine neuen Mitglieder dieses Sports mit sich bringen, auch wenn der abgestürzte Exkämpfer sich mit aller Kraft hineinwirft.

Es ist eher erschreckend, hat die Faszination einer Naturdoku, in der ein unterlegenes Tier sich vehement gegen den eigenen Tod wehrt – auch wenn jeder weiß, dass das eigentlich nichts bringt. Wer sich solche Filme des Triumphes wegen anschaut, der wird hier wenig glücklich: Die Bilder lassen wenig Raum für Farbe und Licht, Hoffnung und Perspektive. Von Action ganz zu schweigen. Auf Dauer ist das vielleicht ein bisschen wenig, die Geschichte bewegt sich kaum über das Ausgangsszenario hinaus. Dafür schafft es die als Sportfilm getarnte Charakterstudie wie kaum ein Film aufzuzeigen, dass es vom Bodensatz der Gesellschaft aus wirklich nur noch nach oben gehen kann. Und das ist ja auch schon mal was.



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Ein ehemaliger Boxer will es noch mal wissen, da weiß auch das Publikum, was es bekommst. Denkste. „Jawbone“ erzählt zwar tatsächlich davon, wie Jimmy sich an einem Comeback versucht und sich langsam aus der Gosse hervorkämpft. Es ist jedoch mehr bedrückendes Charakterdrama denn Sportfilm, die Kampfszenen spielen kaum eine Rolle – so wie fast nichts außer dem Protagonisten eine Rolle spielt.
6
von 10