Ice Cream and the Sound of Raindrops

Ice Cream and the Sound of Raindrops

„Ice to Amaoto“, Japan, 2017
Regie: Daigo Matsui; Drehbuch: Daigo Matsui; Musik: Moroha
Darsteller: Kokoro Morita, Reiko Tanaka, Taketo Tanaka, Jôtarô Tozuka, Yuzu Aoki, Guama

Ice Cream and the Sound of Raindrops
„Ice Cream and the Sound of Raindrops“ läuft im Rahmen der 18. Nippon Connection in Frankfurt am Main (29. Mai bis 3. Juni 2018)

Im einen Moment ist Kokoro noch unterwegs, um Getränke zu kaufen, im nächsten streitet sie mit ihrer im Sterben liegenden Mutter, danach muss sie erfahren, dass ihr Stück abgesetzt wird, noch bevor es aufgeführt wurde. Bewegt hat sie sich in dem Zeitraum kaum, nur wenige Meter. Es hat auch nur einige Minuten gedauert, um vom einen Thema zum nächsten zu kommen. Und doch ist inzwischen wieder eine Woche vergangen, nur eine bleibt jetzt noch, bevor das Stück aufgeführt wird, das es inzwischen nicht mehr gibt. Was sie aber nicht daran hindert, es dennoch zu proben und aufzuführen.

Hört sich verwirrend an? Ist es auch. Dabei ist die Geschichte hinter Ice Cream and the Sound of Raindrops eigentlich recht simpel: Regisseur und Drehbuchautor Daigo Matsui erzählt hier – basierend auf einer wahren Begebenheit – von einer Gruppe von Jugendlichen, die in einem Theaterstück mitmachen wollen. Das Casting haben sie hinter sich, in nervenaufreibenden Proben versuchen sie, in ihre jeweiligen Rollen hineinzufinden, nur um am Ende erfahren zu müssen, dass der Auftritt abgesagt wurde. Die Ticketverkäufe waren zu schlecht.

Wer spielt hier eigentlich wen?
Daraus hätte man sicher ein sensibles Drama machen können über jugendliche Ambitionen und die harsche Realität des Kulturbetriebs. Matsui machte jedoch etwas anderes draus. Etwas, das oftmals kaum zu fassen ist. Zunächst einmal spielen alle Darsteller eine Figur, die ihren Namen trägt. Kokoro Morita verkörpert so in dem Film die angehende Schauspielerin Kokoro, die wiederum in dem Stück eine Kokoro spielt. Und das gilt für alle Jugendlichen, die hier mitmachen. Die Grenzen zwischen Mensch und Rolle bzw. Rolle in Rolle verschwimmen hier, wo das eine anfängt und das andere beginnt, ist schwer zu sagen.

Immerhin: Der Filmemacher fügte in den Probeszenen schwarze Balken ein, um so einen Sprung innerhalb der Ebenen zu verdeutlichen. Sehr viel einfacher wird Ice Cream and the Sound of Raindrops dadurch aber nicht. Dafür fehlt es zu sehr an Kontexten und Hintergrundgeschichten. Wir erfahren so wenig über die Schauspieler, dass wir letztendlich nie wissen, wer sie sind und wo die Unterschiede zwischen den Rollen liegen sollen. Kleinere Nebensätze über das Schauspielen an sich oder welche Bedeutung der Auftritt für sie hat, das ist schon das höchste der Gefühle.

Zeit ist relativ
Ice Cream and the Sound of Raindrops geht aber noch weiter: Fast der komplette Film wurde in einer einzigen Plansequenz gedreht, also ohne erkennbare Schnitte. Hin und wieder nutzen Filmemacher das, um damit den Echtzeitaspekt ihrer Geschichte zu betonen, eine Art Dringlichkeit. Das beste Beispiel hierfür war sicher Victoria, das von einer rastlosen, letztendlich tragischen Nacht berichtet. Hier ist das anders. Nicht nur die Grenzen zwischen den Ebenen werden aufgehoben, sondern auch zwischen den Zeiten. Die Geschichte wird chronologisch erzählt, jedoch im deutlichen Zeitraffer, mehrere Wochen finden innerhalb von 74 Minuten statt – was den Effekt ad absurdum führt.

Das macht Ice Cream and the Sound of Raindrops einerseits zu einem sehr spannenden Film. Experimentierfreudige Besucher der Nippon Connection 2018, wo das Drama Ende Mai Europapremiere feiert, dürfen sich deshalb hier auf einen doch recht ungewöhnlichen Beitrag freuen. Allerdings ist es eben auch ein Beitrag, der sich etwas zu sehr in das Experimentieren verliebt. So schön es ist, den Jugendlichen beim begeisterten Proben zuzuschauen und dem Kampf um ihre Aufführung, der Film bleibt durch seine Spielereien sehr auf Distanz. Es wird viel über Gefühle gesprochen, ohne dass diese je selbst spürbar würden, ohne dass wir eine wirkliche Ahnung bekommen, wer diese Menschen da eigentlich sind. Es ist noch nicht einmal so, dass die kontinuierlichen Grenzüberschreitungen wertvolle Erkenntnisse mit sich bringen würden, etwa über die Kunst der Schauspielerei. Eine interessante Erfahrung ist der Film sicherlich. Aber eine, die dann eben doch nur für Filmfestivals wirklich geeignet ist, auf denen sie einen reizvollen Kontrast zu einem herkömmlichen Werk entwickelt. Für sich genommen ist das hier trotz der ungewöhnlichen Ansätze auf Dauer zu wenig.



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Eine 74-minütige Plansequenz, die ständig zwischen den Ebenen hin und her springt und dabei auch Zeit sehr fließend ist – „Ice Cream and the Sound of Raindrops“ ist eine sicherlich interessante Erfahrung. Allerdings versteift sich der Film zu sehr auf diese Experimente. Die eigentliche Geschichte um Jugendliche, die ein Theaterstück aufführen wollen, kommt dabei zu kurz und lässt das Publikum nicht an sich heran.
5
von 10