Arrhythmia
© déjà vu Filmverleih

„Arrhythmia“, Russland/Finnland/Deutschland, 2017
Regie: Boris Khlebnikov; Drehbuch: Boris Khlebnikov, Natalya Meshchaninova
Darsteller: Alexander Yatsenko, Irina Gorbacheva

Arrhythmia
„Arrhythmia“ läuft ab 19. April 2018 im Kino

Im Moment läuft es gar nicht rund im Leben von Oleg (Alexander Yatsenko). Schon unter normalen Umständen hat der junge Sanitäter viel um die Ohren, muss sich mit bürokratischen Willkürlichkeiten, widrigen Arbeitsumständen und streitsüchtigen Patienten herumschlagen. Seine Frau Katya (Irina Gorbacheva), die als Ärztin in der Notaufnahme arbeitet, hat genug davon, von ihm, dem gemeinsamen Leben. Sie will die Scheidung. Während sich Oleg hilflos an seine auseinanderbrechende Ehe krallt, droht von anderer Seite noch mehr Ungemach: Der neue Krankenhaus-Direktor pocht auf Kürzungen und Effizienzsteigerungen. Für Oleg, dem die Menschen immer wichtiger waren als Geld und Regeln, bedeutet das, sich an komplett neue Verhältnisse gewöhnen zu müssen.

Ob er getrunken hat, will Katya von ihm wissen, als sie sich zu ihm ins Auto setzt. Ein bisschen, zeigt dieser mit seinen Fingern an. Wortlos wechseln sie die Fahrerplätze, bevor sie sich auf den Weg zur Geburtstagsfeier ihres Vaters machen. Es ist eine kurze Szene, nur wenige Sekunden lang. Und doch braucht Regisseur und Co-Autor Boris Khlebnikov nicht mehr, um seine Figuren und ihre Beziehung zu etablieren. Ein Leben, das von Sprachlosigkeit geprägt ist, von unterdrückten Gefühlen. Und von Alkohol, der immer wieder fließt, zu oft fließt, zu sehr fließt.

Minimale Mittel mit maximaler Ausdruckskraft
Allgemein zeigt sich der russische Filmemacher hier als Meister des Minimalismus. Arrhythmia erzählt eher selten eine fortlaufende Geschichte, sondern besteht stattdessen aus vielen einzelnen, sehr präzise beobachteten Anekdoten, die dem Privatleben wie auch dem Arbeitsalltag entnommen sind. Da sind Banalitäten dabei, genauso einschneidende Szenen, Momente des kleinen Glücks und herzzerreißende Tragik. Man muss noch nicht einmal nah am Wasser gebaut sein, dass es einem hier an vielen Stellen die Kehle zuschnürt. Und das obwohl gar nicht so wahnsinnig viel passiert.

Ähnlich zu Loveless kürzlich nutzt auch dieses Drama eine persönliche Geschichte, um etwas über die Situation der russischen Gesellschaft zu sagen. Wo dort aber noch die innerlich verrohten Gewinner im Mittelpunkt standen, kümmert sich Khlebnikov um die Verlierer. Egal bei welchen Menschen Oleg Halt macht, sie alle wohnen in engen Räumen, die Häuser sehen baufällig aus. Und auch der Sanitäter und seine Frau leben nicht gerade unter luxuriösen Verhältnissen. Ein Schlafzimmer, ein Bad, eine Küche, mehr können sie sich mit dem gemeinsamen Gehalt nicht leisten. Und als die Trennung ins Haus steht, ist selbst diese sehr überschaubare Unterkunft zu teuer für einen einzelnen.

Kein Geld, keine Perspektive
Gleichzeitig erzählt Arrhythmia, wie den Leuten auch noch der letzte Rest genommen wird. Von dem Geld, das die großen Oligarchen verdienen, kommt nichts mehr unten an, die Menschen stehen vor dem Existenzminimum. Besonders bitter sind in dem Zusammenhang die finanziellen Kürzungen des Gesundheitssystems. Stellenabbau steht auf dem Programm, was umgekehrt bedeutet, dass weniger Zeit für die Patienten bleibt. Wer nicht sofort wieder gesund ist, hat eben Pech gehabt. Ebenso diejenigen, deren Fachärzte gerade anderweitig beschäftigt sind. Gestorben werden darf natürlich nicht, das betont der Krankenhausdirektor. Aber nur, wenn es die eigenen Sanitäter und Ärzte betrifft. Denn das könnte unangenehme Klagen nach sich ziehen. Möglichst schnell an jemand anderen weiterverweisen, lautet daher die Devise. Nach mir die Sintflut. Nach mir der Tod.

Das hat natürlich ungeheures Aufregerpotenzial, auch wenn es das ferne Russland betrifft. Der zynische Umgang mit Menschenleben, das lässt einen nicht kalt. Und doch sind die stärkeren Momente von Arrhythmia die bescheideneren, wenn es um die tatsächlichen Menschen geht. Denn trotz der Rhythmusstörungen, die im Titel angesprochen werden, die Herzen schlagen noch. Und auch das ist anders als in Loveless: Beziehungen scheitern hier nicht an einem Mangel an Liebe. Sie ist da, immer. Auch in den hässlichen Momenten, wenn Katya mit einer Mischung aus Entfremdung und Widerwillen ihren Ehemann anschaut. Wenn sich Oleg mal wieder volllaufen lässt und ganz vergisst, dass es sie noch gibt. Das macht den Film teilweise frustrierend, gerade in den Momenten mit einem Oleg, der wie ein geschlagener Hund dreinschaut, anstatt mal etwas in Angriff zu nehmen. Gleichzeitig macht es das nüchterne Drama aber auch auf eine wunderbare Weise menschlich. Selten hat man einem kaputten Paar derart die Daumen gedrückt, dass es doch noch irgendwie die Kurve bekommt.



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Ein junger Sanitäter steht vor dem Eheaus und muss sich mit einem zynischen Klinikdirektor herumärgern, dem Profit und Effizienz wichtiger sind als Menschenleben. „Arrhythmia“ gelingt auf diese Weise, gleichzeitig bitteres Gesellschaftsporträt und bewegendes persönliches Drama zu sein. Herausragend sind dabei die vielen sehr präzise beobachteten Szenen, die mit minimalen Mitteln eine ganze Menge zu erzählen haben.
8
von 10