Winnie Puuh

„Winnie The Pooh“, USA, 2011
Regie: Stephen J. Anderson, Don Hall; Drehbuch: Don Hall; Musik: Henry Jackman

Winnie PuuhAlso, das ist jetzt schon irgendwie doof. Der Schwanz von I-Aah ist weg, mal wieder. Und was soll ein Esel ohne seinen Schwanz machen? Aber zum Glück hat er ja gute Freunde, die ihm helfen wollen und veranstalten deshalb einen kleinen Wettbewerb, wer den schönsten Schwanz für I-Aah auftreibt. Ganz umsonst sollen sie das nicht machen: Dem Gewinner winkt ein Topf voll leckerem Honig. Den hätte Winnie Puuh ja schon ganz gern, seit einer Weile knurrt sein Bauch ganz doll. Doch das ist leichter gesagt denn getan, die Konkurrenz ist groß, die anderen haben richtig klasse Vorschläge. Und als wäre das alles nicht schon kompliziert genug für den kleinen Bären, verschwindet auch noch sein bester Freund Christopher Robin spurlos.

Irgendwie ist es ja schon komisch. Und auch ein bisschen traurig. Rein quantitativ gehört Winnie Puuh zu der Spitze im Disney-Konzern, seitdem das Unternehmen in den 60ern begann, die Kinderbücher von Alan Alexander Milne zu kommerzialisieren. Viele Dutzend Filme wurden produziert, das Merchandising ist ein Kassenschlager: Mehrere Milliarden Dollar setzt Disney damit jedes Jahr um. Und doch nimmt den kleinen Bären kaum einer ernst. Schon Die vielen Abenteuer von Winnie Puuh (1977) wird immer wieder vergessen, wenn von vergangenen Disney-Animationsfilmen die Rede ist. Die Adaption aus dem Jahr 2011 ist sogar komplett zum Geheimtipp verdammt. In England wurde der Film als Direct-to-Video veröffentlicht. Dort wo er in die Kinos kam, ging er unter.

Ein Film wie aus einer anderen Zeit
Das mag nicht zuletzt daran liegen, dass Winnie Puuh irgendwie so gar nicht in die aktuelle Filmlandschaft passen wollte. Zeichentrick war damals schon verpönt, Disney selbst hatte sich nach den enttäuschenden Einspielergebnissen von Küss den Frosch auf die populärere 3D-CGI-Variante konzentriert. Ein bisschen darf der Rechner zwar auch hier mitspielen. Zum Großteil aber ist der Film tatsächlich noch per Hand gefertigt, sieht seinen mehrere Jahrzehnte alten Vorgängern zum Verwechseln ähnlich. Und natürlich auch den Büchern.

Dass Bücher die Vorlage bilden, daran lässt das Regieduo Don Hall (Baymax – Riesiges Robowabohu) und Stephen J. Anderson (Triff die Robinsons) keinen Zweifel. Wie auch schon in der 77er Variante gibt es immer wieder Szenen, die sich innerhalb eines Buches abspielen. Da spaziert Puuh schon mal auf den Buchstaben herum und verheddert sich in ihnen, verursacht einen richtig schönen Buchstabensalat. Diese Meta-Ausflüge sind nicht die einzigen Momente, die einem auch als Erwachsener ein Lächeln ins Gesicht zaubern. Immer wieder werden die Abenteuer durch Humor aufgelockert, der besonders in der zweiten Hälfte richtig gelungen ist. Wer kann, sollte sich Winnie Puuh jedoch im englischen Original anschauen, da einige der Witze auf Wortspiele hinauslaufen, die in der Übersetzung nicht ganz so gut funktionieren. Wie so oft stellen sich einige Wörter als einfach zu schwer für die kleinen Bewohner des Hundertsechzig-Morgen-Walds heraus, so manches Abenteuer entsteht durch reine Missverständnisse.

Sorgenfreie Abenteuer für die Kleinen
Die sind hier – anders als Winnie Puuh auf großer Reise – frei von jeder Düsternis. Selbst wenn die Jagd auf ein furchterregendes Monster ansteht, bleibt es harmlos und bunt, sorgenfreie Spielereien. Der kleine Bär mit dem großen Appetit auf Honig ist nun mal für die kleinsten Zuschauer zuständig, für die der bloße Alltag schon Abenteuer genug ist. Dennoch ist Winnie Puuh auch für erwachsene Zuschauer empfehlenswert. Mehr noch: Die Buchadaption gehört zu den schönsten Filmen, die Disney nach der Jahrtausendwende hervorgebracht hat. Eingängige Lieder, ausdrucksstarke, skurrile Figuren, bezaubernde Hintergründe – der Film ist mit einer Laufzeit von gut einer Stunde einer der kürzesten der sogenannten Meisterwerke-Reihe. Doch in punkto Charme ist die nostalgisch-warmherzige Spielzeugexpedition – Winnie Puuh zeigt zu Beginn, dass die Geschichte auf Spielzeugen basiert – einer der großen Titel innerhalb der illustren Disney-Runde. Und ein kleines bisschen darf man ja auch fürs Leben lernen, für die große Welt da draußen. Denn gute Freunde kann man immer gebrauchen, selbst wenn sie aus Stoff sind und einem den ganzen Honig wegfuttern.



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Erst verschwindet der Schwanz von Esel I-Aah, danach Christopher Robin. Wenn sich der honigliebende Spielzeugbär und die anderen auf die Suche machen, dann ist das eine nostalgisch-warmherzige Liebeserklärung an die Freundschaft. Die Zielgruppe ist wie immer etwas niedriger angesetzt, doch der unglaubliche Charme und der überraschend gelungene Humor machen „Winnie Puuh“ auch darüber hinaus zu einem der schönsten Disney-Filme der letzten Jahre.
8
von 10