Adama

(OT: „Adama“, Regie: Simon Rouby, Frankreich, 2015)

AdamaRegeln? Nein, mit denen konnte Samba noch nie sehr viel anfangen. Er ist viel zu störrisch, treibt mit seiner rebellischen Art die Älteren in dem afrikanischen Dorf gern in den Wahnsinn. Als dann auch noch ein Vogel über den Himmel kreist, während er auf das Ritual zum Erwachsenwerden wartet, steht für den Schamanen fest: Der Junge muss besessen sein! Noch bevor Samba zur Läuterung herangezogen wird, entschließt er sich, das Dorf zu verlassen und den Nassaras anzuschließen, die in dem Land des Windes leben. Damit sei er für immer verloren, so heißt es, schließlich darf niemand dieses Land betreten. Doch Adama will seinen älteren Bruder nicht einfach kampflos aufgeben und reist diesem kurz entschlossen hinterher – der Anfang eines großen und gefährlichen Abenteuers.

Französische Animationsfilme, die in Afrika spielen, gibt es immer wieder mal. Der bekannteste davon ist sicher Kiriku und die Zauberin, der mit ungewöhnlichen Bildern die Folklore des Schwarzen Kontinents heraufbeschwört. Und zumindest zu Beginn sieht es so aus, als würde es Regisseur und Co-Autor Simon Rouby hier seinem berühmten Kollegen Michel Ocelot gleichtun. Ein kleines nicht näher benanntes Dorf in Westafrika, eine rund 100 Jahre zurückliegende Geschichte, Rituale und böse Omen, das weckt alles gewisse Erwartungen. Doch Adama erfüllt diese Erwartungen nicht, zumindest nicht so ganz. Stattdessen ist der unbeschwerte Anfang in dem idyllischen Nirgendwo der Auftakt zu einer ganz besonderen Reise.

Eine Reise im realen wie übertragenen Sinn
Es handelt sich dabei zum einen um eine wörtlich zu verstehende Reise: Während des Ersten Weltkriegs wurden viele Afrikaner von den Franzosen rekrutiert, um gegen die Deutschen zu kämpfen. Adama wird diesen Landsleuten folgen, erst heimlich, später offen, selbst auch den Schrecken des Krieges erleben. Aber Adama ist eben auch ein Coming-of-Age-Film. Nicht ohne Grund beginnt das hier mit einem Ritual, welches Samba zu einem Mann machen soll. Zu einem Erwachsenen. Aufgegriffen wird dieses Ritual auch später. Aber selbst wenn es nicht thematisiert wird, wir einfach nur dem Jungen quer durch die Welt folgen, erleben wir, wie jemand seinen Platz im Leben sucht.

Das erinnert manchmal etwas an Marco, wo ebenfalls ein Junge über den Globus reiste, damals um seine Mutter zu finden. Da sind unbeschwerte Momente dabei. Momente, in denen Adama auch einfach ein Kind sein darf und sich mit anderen anfreundet. Aber wir spüren zu jeder Zeit, dass dies nur ein Zwischenstadion sein kann. Dass da etwas anderes wartet, etwas Unbekanntes, etwas Finsteres. Für junge Zuschauer ist Adama insgesamt auch eher weniger geeignet. Selbst wenn die Kriegsmomente nie explizit werden, die Atmosphäre ist düster, zum Ende hin auch surreal und alptraumhaft.

Bilder wie aus einem anderen Leben
Unwirklich war der Film, der 2015 auf dem Annecy Animationsfilmfest seine Premiere feierte, aber schon vorher. Eine Mitschuld daran tragen die Bilder, die nur wenig mit dem zu tun haben, was wir sonst in Animationsfilmen sehen dürfen. Die Hintergründe erinnern etwas an Gemälde, vergleichbar zu The Painting, sind zauberhafte und doch dynamische Landschaftsaufnahmen. Die Figuren wiederum wurden erst aus Ton modelliert und später eingescannt. Sie sehen damit deutlich erdiger aus als die gerne mal wie Plastikpuppen wirkenden Figuren regulärer CGI-Filme. Realistischer. Gleichzeitig sind die Animationen aber nur rudimentär wie in einem Stop-Motion-Film, es gibt keine nennenswerte Mimik.

Allein schon dieser sehr ungewöhnlichen Kombination wegen sollten Animationsfans ein Auge auf den Film haben: Die traumartige Atmosphäre zwischen Alltag und Fantasie, zwischen Freude und Schrecken fesselt, berührt und verstört. Dass ein derart eigenwilliger Film nicht gerade für das übliche Zielpublikum gedacht ist, das versteht sich von selbst. In der Heimat fiel Adama deshalb auch an den Kinokassen durch, bis heute ist das Drama lediglich in Frankreich erschienen. Dafür gibt es jetzt eine weitere Gelegenheit, ihn zu sichten: Der Film wird im Rahmen der Französischen Filmtage Tübingen-Stuttgart 2017 gezeigt. Wer die Chance ihn, dort vorbeizuschauen und etwas für düstere, erwachsene Animationsfilme übrig hat, sollte sich diese daher nicht entgehen lassen.



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Ein afrikanischer Junge sucht seinen älteren Bruder und landet mitten im Ersten Weltkrieg. Das ist ein nicht ganz alltägliches Szenario und verbindet doch alltägliches Coming of Age mit dem Schrecken des Krieges. „Adama“ ist aber auch der Optik wegen unbedingt sehenswert, da hier verschiedene Stile zu einer düsteren Atmosphäre verbunden werden, die gleichzeitig real und unwirklich ist.
8
von 10