The Painting
© Blue Spirit Animation / Be Films / Blue Spirit Studio /Sinematik / France 3 Cinéma / Rezo Productions / RTBF 2011

(„Le Tableau“ directed by Jean-François Laguionie, 2011)

Unser fortlaufendes Animationsspecial wurde vor zweieinhalb Jahren ins Leben gerufen, um vor allem vergessenen, unbekannten oder ungewöhnlichen Animationsfilmen einen Platz zu geben. Und das gilt auch für unseren 139. Teil, den wir einem Werk widmen, das zu den schönsten der letzten Jahre zählt, hierzulande aber kaum einer gesehen hat. Zeit, das zu ändern.

Keiner kann sagen, wohin der Maler verschwunden ist oder auch, warum er sein Werk nicht vollendet hat. Wobei für die Toupins die Lage klar ist: Sie wurden als einzige zu Ende gemalt, einfach weil sie wichtiger und wertvoller sind als die anderen. Und so dürfen sie als einzige im prächtigen Schloss leben, während die nur teils bemalten Pafinis und die rein skizzierten Figuren Reufs in Höhlen und Wäldern hausen müssen. Ramo, der zu den Privilegierten zählt und die halbfertige Claire liebt, will sich damit aber nicht abfinden. Und so beschließt er eines Tages, zusammen mit der Pafini Lola und dem Reuf Plume selbst den Maler zu suchen und ihn dazu zu bewegen, das Gemälde zu vollenden.

Sonderlich groß ist der Output von Jean-François Laguionie ja nicht, gerade einmal fünf Langfilme hat der 77-jährige Animationskünstler bislang realisiert. Und selbst die dürften in Deutschland die wenigsten kennen, auch weil drei davon erst gar nicht ihren Weg hierher fanden. Und das ist mehr als schade, da ausgerechnet diese drei einen visuell so einzigartigen Stil haben, dass sie jeder Animationsfan mal gesehen haben sollte. Und zumindest im Fall von The Painting auch absolut unverständlich. War Laguionies Debüt Gwen et le livre de sable aufgrund seiner surrealen Bilderwelten und des mysteriösen Szenarios zugegeben nichts für die große Masse, ist sein Ausflug in die Kunst einer, an dem die ganze Familie ihren Spaß haben kann – zumindest wenn sie nicht darauf besteht, den lauten Slapstick vieler CGI-Kollegen sehen zu wollen.

Im Mittelpunkt von The Painting steht vielmehr eine Liebegeschichte, die keine sein darf. Eine Neuauflage von „Romeo und Julia“, wenn man so mag, die von Anfeindungen und Vorurteilen auf beiden Seiten geprägt ist. Mit dem Unterschied, dass die Charaktere hier eben keine Menschen, sondern gemalte Figuren sind. Das weckt Erinnerungen an diverse andere Animationsfilme, kombiniert Elemente von Der König und der Vogel mit denen von Toy Story. Darüber hinaus grübelt das von der Drehbuchautorin Anik Le Ray erdachte Szenario aber auch über den künstlerischen Schaffensprozess nach. Und natürlich über Gott, der hier in Form eines Malers alles erschaffen hat und seine Kreationen damit anschließend alleine lässt. Selbstbestimmung wird daher gerade im späteren Verlauf zu einem großen Thema, die philosophische Note, ebenso die Gedanken zur Akzeptanz von andersartigen Menschen machen den französischen Animationsfilm zu einem der inhaltlich anspruchsvolleren der letzten Jahre.

Dabei gelingt Laguionie aber das Kunststück, gleichzeitig auch einen Film für Kinder gedreht zu haben. Die diversen Denkanstöße sind da, dürfen von jedem mitgenommen werden, drängen sich aber nicht in den Vordergrund. Wer in erster Linie (Ent-)Spannung sucht, findet diese auch in den Abenteuern des Trios, welches während seiner Reise noch einige andere Werke betreten wird, dabei auch einige unheimliche Erfahrungen macht. Eine tatsächlich fortlaufende Geschichte erzählt The Painting dabei nicht, ist vielmehr eine Ansammlung von recht simplen Einzelepisoden auf dem Weg zum Maler, die teils auch nicht wirklich zu Ende erzählt werden. Diese Willkürlichkeit schmälert das Vergnügen aber nur minimal, da das Szenario an sich originell genug, vor allem aber fantastisch umgesetzt ist.

Auf den ersten Blick könnte es enttäuschend sein, dass der Franzose ausgerechnet bei einem Werk über per Hand gefertigte Gemälde von Computern errechnete Figuren verwendet. Allerdings sind die so gestaltet, dass sie tatsächlich Leinwandcharakter haben, und beweisen damit, wie viel stilistische Varianz in der leider oft so eintönig verwendeten Technik schlummert. Hinzu kommt, dass Laguionie die 3D-Animationen mit klassischen 2D-Elementen kombiniert, später gesellen sich Realaufnahmen dazu, die einzelnen Bilder pflegen ohnehin jeweils eine eigene Optik. Da wird mal Chagall gehuldigt, Picasso und Modigliani schauen kurz vorbei. Das Ergebnis ist ein fantasievolles, bezauberndes und einzigartiges Werk, das es wert ist, je nach Sprachkenntnissen aus den USA oder Frankreich importiert zu werden. Eine Verneigung vor der Kunst, die dabei selbst zu einem Kunstwerk geworden ist.



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Eine Gruppe von Gemäldefiguren suchen ihren Schöpfer und erleben dabei diverse Abenteuer: Das Szenario ist originell und macht sich trotz eher simpler Einzelepisoden viele Gedanken zu Selbstbestimmung, Toleranz und Kunst. Vor allem aber ist „The Painting“ selbst ein Kunstwerk, das verschiedene Stile und die Computertechnik zu etwas ganz eigenem kombiniert.
8
von 10