Atomic Blonde
© Universal Pictures

Atomic Blonde

(OT: „Atomic Blonde“, Regie: David Leitch, USA, 2017)

Atomic Blonde
„Atomic Blonde“ läuft ab 24. August 2017 im Kino

Kurz vor dem Berliner Mauerfall wird ein Agent des MI6 erschossen aufgefunden. Das eigentliche Ziel: eine geheime Liste, die das Opfer mit sich getragen haben soll und Namen aller aktiver Agenten innerhalb der Soviet Union enthält. Am Tatort fehlt von der Liste jedoch jegliche Spur, weshalb MI6 Hochrangige (Toby Jones, James Faulkner) und der CIA-Chef (John Goodman) die Spionin Lorraine Broughton (Charlize Theron) damit beauftragen, die Liste zu finden und gleichzeitig den Doppelagenten Satchel auszuschalten. Vor Ort wird sie sogleich von Spionen des KGBs abgefangen, die für den zwieträchtigen Waffenschmuggler Aleksander Bremovych (Roland Møller) arbeiten. Mit Hilfe des Agenten David Percival (James McAvoy), der ihre Kontaktperson darstellt, schafft sie es aber, dem Attentat zu entkommen. Zwischen deutschem Mauerstaub und russischem Kugelhagel taucht Lorraine in eine erbarmungslose Welt hinter dem eisernen Vorhang ein, in der Vertrauen ein seltenes Gut geworden ist und Verrat zum täglichen Geschäft gehört.

Natürlich ist Lorraine keine blutige Anfängerin, die es gerade so aus dem Bürokinderstuhl des MI6 in den öffentlichen Dienst geschafft hat. Sie ist blond, sexy und verdammt gut in dem, was sie tut. Außerdem scheut sie nicht davor zurück, den männlichen Gegenspielern einen Riegel vor das testosterongeplagte Mundwerk zu schieben – wenn auch manchmal mit physischem Nachdruck. Wer wäre also besser für die Rolle der englischen Femme Fatale geeignet als Charlize Theron? Ob als verbissene Eiskönigin Ravenna (Snow White & The Huntsman), schlagkräftige Imperatorin Furiosa (Mad Max: Fury Road) oder kaltblütige Serienkillerin Aileen (Monster): Ihr abwechslungsreicher Charakterwandel erstreckt sich über Jahrzehnte der Filmgeschichte. Die besten Voraussetzungen also für das erste Soloprojekt von David Leitch, der bis dato nur bei Szenen des 2014 veröffentlichten John Wick Regie führen durfte und überwiegend als Stuntman, -coordinator oder Second Unit Regisseur agierte. Mit dem Fanfavoriten Deadpool 2 steht für 2018 sein bereits zweiter Streich in den Startlöchern.

Ein Mix der Stile
Wenn es an Erfahrung mangelt, macht man sich eben seine Stärken zu Nutze. Gerade bei den Kampfsequenzen und Schusswechsel triefen Präzision und Handwerk aus allen Poren – aus denen nicht gerade Blut fließt. Stilistisch orientiert sich der Film gleich mehrmals um. Wird man noch in den Eingangsszenen mit einem Best-of der Neuen Deutschen Welle bombardiert, bei denen Nena und Falco durch die Straßen und Discotheken entlang der Berliner Mauer schallen, wirkt es bei späteren Auseinandersetzungen beinahe zu still. Dann drücken sich Betonschutt, fliegende Kugeln und blanke Fäuste im tödlichen Walzer gegenseitig die Türklinke in die Hand, bis auch dem Letzten die nötige Kraft dazu fehlt. Experimentell, beinahe rebellisch lässt David Leitch bis zuletzt die Frage nach seinem persönlichem Fingerabdruck offen. Zu kümmern scheint ihn das aber nicht – bemerkenswert.

Worum ging’s noch mal?
Leider kann man das von der eigentlichen Geschichte nicht sagen. Agenten und Spione, MI6, CIA, KGB, und die Franzosen dürfen natürlich auch nicht fehlen; hat man sich einmal durch die Namen und Belangen der einzelnen Charaktere gearbeitet, sind die schon nicht mehr aktuell. Das Undercoverchaos ist genauso irritierend wie Til Schweigers Gastauftritt als Uhrmacher. Die Suche nach dem Doppelagenten Satchel erweist sich als Katz-und-Maus-Spiel, bei dem jeder jeden des Verrats bezichtigt. Spätestens nach der ersten Hälfte des Films hat man jegliche Ambitionen verloren, der eigentlichen Handlung Herr oder Frau zu werden. Stattdessen lässt man sich von der packenden Action leiten, bevor es zum fulminanten Ende übergeht, das der unübersichtlichen Geschichte einen gelungenen Twist verleihen will – leider erfolglos.

Ein roher Diamant
Gut getimte Musik und perfekt choreografierte Actionsequenzen machen in diesem Fall noch keinen Hit. Verliert man sich später in einem atemberaubendem, zehnminütigem One-Shot, der alleine jeden Filmgänger zum mittelalterlichem Hofknicks verleiten würde, erwacht man schnell wieder aus dem seichten Wiegen der tonalen sowie cineastischen Saltos und Flickflacks. Atomic Blonde ist trotz seiner bombastischen Besetzung, einer herausragenden Charlize Theron und stilistischer Mittel, die mein schwaches Herz auf Hochtouren springen lassen, nur bedingt von Erfolg gekrönt. Flache Dialoge und eine umso traurigere Umsetzung der jeweiligen Handlungsstränge lassen das Soloprojekt von David Leitch wie ein Highlight Reel seiner bisherigen Arbeiten erscheinen – für sich genommen eindrucksvoll, im Ganzen leider zusammenhanglos.



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Agenten soweit die Berliner Mauer reicht, aber von denen weiß auch niemand, was eigentlich los ist. Der Film ist eine Augenweide und setzt viele individuelle Bestmarken, bleibt allerdings im Gesamtbild, aufgrund der irritierenden Dreh- und Angelpunkte weit hinter den gewonnenen Reizen zurück.
6
von 10