Doctor Strange 2016
© 2016 Marvel

Doctor Strange (2016)

(„Doctor Strange“ directed by Scott Derrickson, 2016)

„Doctor Strange“ läuft ab 27. Oktober im Kino

Fachlich macht Stephen Strange (Benedict Cumberbatch) so leicht niemand etwas vor. Auf seinem Gebiet ist der Neurochirurg eine absolute Koryphäe, was er den Rest der Menschheit auch gerne spüren lässt. Selbst seine Ex-Freundin Christine Palmer (Rachel McAdams) schafft es kaum, dem erfolgreichen Arzt eine menschliche Seite zu entlocken. Erst als Strange einen Autounfall baut und er trotz zahlreicher Operationen und Experimente seine Hände kaum mehr benutzen kann, nimmt sein Höhenflug ein jähes Ende. Bis nach Tibet reist er, um doch noch eine Heilungsmöglichkeit zu finden, wo er die Bekanntschaft von The Ancient One (Tilda Swinton) und deren Schüler Mordo (Chiwetel Ejiofor) macht. Tatsächlich entdeckt er dort völlig neue, auch spirituelle Wege. Aber auch Hindernisse, denn nach den schlechten Erfahrungen mit dem ehemaligen Schüler Kaecilius (Mads Mikkelsen) will die Gelehrte keine Risiken mehr eingehen.

Eines muss man Marvel ja lassen: Sie schaffen es bei dem ständig größer werdenden Marvel Cinematic Universe nicht nur einen Star nach dem anderen zu verpflichten, sie machen selbst die Besetzung des Regiepostens zu einem Event, trauen sich hier, auch etwas abwegigere Künstler hinzuzuholen. Scott Derrickson zum Beispiel. Der ist in Horrorkreisen bestens bekannt, machte sich mit Sinister und Erlöse uns von dem Bösen einen Namen. Das war für die 1963 das erste Mal in Erscheinung getretene Comicfigur zwar durchaus passend, da die magischen und mystischen Gegenspieler ohnehin dem Horrorgenre immer nahe waren. Gleichzeitig war die Skepsis groß, ob sich der Filmemacher in dem doch recht starren Konzept des MCU frei genug würde bewegen können, um seine eigene Unterschrift unter das Werk zu setzen. Leider, so macht Doctor Strange deutlich, war die Skepsis angebracht, denn der nunmehr 14. Teil der Reihe ist im guten wie im schlechten ein typischer Marvel.

Das macht sich vor allem in dem Humor bemerkbar. Natürlich sind die anderen Filme auch deshalb so populär geworden, weil sie sich nicht ganz so ernst nahmen wie die Kollegen der DC Comics. Ein bisschen Selbstironie und clevere Zitate oder auch Anspielungen, das gehört ebenso dazu wie actionreiche Effektgewitter. Und ja, auch bei Doctor Strange darf man lachen. Oft sogar. Zu oft. Der dritte Auftritt des Zauberers mit dem Ziegenbärtchen – nach dem TV-Film von 1979 und dem Zeichentrickabenteuer Doctor Strange: The Sorcerer Supreme – ist sich irgendwie für keinen Gag zu schade, neigt an manchen Stellen sogar zu ausgesprochenem Klamauk. Und das ist hier ausgesprochen schade, da die Geschichten um den Weltenretter eigentlich recht düster waren, es hier die große Chance gegeben hätte, doch auch mal tatsächlich etwas anderes zu probieren. Stattdessen hat man das Gefühl, irgendwie alles schon einmal gesehen zu haben.

Das liegt neben dem recht eingefahrenen Konzept aber auch an der Besetzung. Ja, Benedict Cumberbatch beherrscht die Rolle des sozial ungeschickten, brillanten und arroganten Genies, das hat er in Sherlock bewiesen, in The Imitation Game, nun auch hier. Tatsächlich sind die Perfomances aber so ähnlich, dass sie allmählich an Reiz verlieren, man eigentlich nur noch anhand der Kostüme sagen kann, welche Figur das gerade sein soll. Interessanter ist da schon The Ancient One, die zwar zum Entsetzen der Comicfans nun weiblich und weiß ist, dank einer gewohnt wandelbaren Tilda Swinton dennoch der Geschichte Halt gibt. Auch Benedict Wong als humorloser Bibliothekar Wong ist eine Bereicherung. Der Rest ist zumeist etwas nichtssagender Durchschnitt, was im Fall von Kaecilius aber immerhin ein Fortschritt zu vielen anderen völlig belanglosen Marvel-Bösewichtern darstellt – in erster Linie ein Verdienst von Mikkelsens Charisma.

Der eigentliche Star sind aber gar nicht die prominenten Darsteller, sondern die visuellen Spielereien von Derrickson. Viele werden sich vielleicht noch an die eindrucksvollen Szenen in Inception erinnern, als Gebäude ein Eigenleben entwickelten und sich ineinander falteten. Doctor Strange nimmt die seinerzeit leider nur sehr sparsam eingesetzten surrealen Elemente und baute sie zu einem eigenen Kunstwerk aus. Wenn sich hier Achsen verschieben, Städte auseinanderbrechen und Kopf stehen, die Figuren an Decken und Wänden entlanglaufen, als hätte es die Schwerkraft nie gegeben, dann darf einem als Zuschauer hier im positiven Sinne schwindlig werden. Das allein trägt keinen Film, lässt einen die oftmals recht dünne und klischeebeladene Origin Story aber so weit vergessen, dass man doch ganz dankbar dafür ist, dass der Zauberer Teil des Universums werden durfte und Marvel wenigstens hier und auch beim tatsächlich einfallsreichen Finale sprichwörtlich neue Wege geht.



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Business as usual? Meistens ja. Trotz der düsteren Vorlage ist „Doctor Strange“ im Grunde nichts anderes als die Fantasy-Variante des bewährten Erfolgsrezepts. Das ist wie immer unterhaltsam und witzig, hat zudem visuell aufregende Experimente zu bieten, geht aber doch auf enttäuschende Weise zu sehr auf Nummer sicher.
7
von 10