Cafe Nagler
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Café Nagler

(„Café Nagler“ directed by Yariv Barel, Mor Kaplansky, 2016)

Cafe Nagler
„Café Nagler“ läuft ab 9. Juni im Kino

Im Café Nagler, da ging im Berlin der 1920er aus und ein, wer damals einen Namen hatte. Künstler. Politiker. Denker. Auf drei Stockwerken wurde das am Moritzplatz gelegene Café zu einem der wichtigsten Treffpunkte der Stadt, selbst der Swing wurde dort geboren. Das erzählt Naomi Kaplansky ganz gerne, wenn sie das alte Geschirr auspackt, mit ihren knochigen Fingern über die Schnörkel der Teller fährt, sich daran erinnert, wie das damals war, als ihre Familie noch in Berlin lebte. Vor dem Dritten Reich, vor der Auswanderung nach Israel.

Oder zumindest so tut, als würde sie sich daran erinnern. Denn eigentlich sind es Erzählungen der Eltern, welche die betagte Dame von sich gibt, ein bisschen ausgeschmückt vielleicht, ein bisschen mit Wehmut garniert. Selbst gesehen hat sie das Café jedoch nicht, widerstand auch der Versuchung einen Film darüber zu drehen, obwohl Naomi sich durchaus einen Namen als Dokumentarfilmerin gemacht. Aber das wäre zu persönlich gewesen, sagt sie. Zu nah dran.

Persönlich ist dann auch Café Nagler, der Dokumentarfilm, den nun ihre Enkelin Mor Kaplansky abgedreht hat, wohl um der Oma eine Freude zu bereiten, aber auch der eigenen Spurensuche wegen. Was aber wenn es keine Spuren gibt? Schon lange ist das Café zerstört, wie Mor bei ihrer Ankunft feststellt. Dort wo einst das Gebäude stand, ist längst Gras über die Sache gewachsen. Wortwörtlich. Schlimmer aber noch ist die Erkenntnis, dass es diesen glorreichen Platz der Künste und Gedanken so nie gegeben hat. Der Swing entstand erst viel später, erzählt ihr einer der vielen Interviewpartner. Der Moritzplatz war nie ein sonderlich glamouröser Ort, sondern mehr vom nachbarschaftlichen Miteinander geprägt, sagt ein anderer.

Mit leeren Händen zurückkommen? Der Großmutter die ein Leben lang gepflegten Träume und Illusionen nehmen? Das bringt Naomi nicht fertig und bittet ihre Interviewpartner einfach, Geschichten anderer Orte zu erzählen und so zu tun, als wären sie im Café Nagler passiert. Sie sollen tatsächlich wahr sein und von persönlicher Natur, nur dass eben der Schauplatz geändert wird. Dreist? Verlogen? Ja und nein. In dem Dokumentarfilm selbst mach Mor keinen Hehl daraus, woher sie die Aussagen hat, was einen dann vor die Frage stellt: Was ist das eigentlich, ein Dokumentarfilm? Was beabsichtigt er?

Café Nagler, das ist Dokumentarfilm und Metafilm in einem, ein Film über das Leben und Träume, aber auch ein Film über das Filmemachen, ignoriert bewusst die Grenzen zwischen Realität und Ideal. Dabei nähert sich Mor dem Ganzen nicht über die intellektuelle Ebene, diskutiert ihr Tun nicht. Wäre da nicht die Oma, es gäbe das Werk nicht in dieser Form. Wirklich neue Erkenntnisse sind es deshalb nicht, mit denen man als Zuschauer hier den Kinosaal wieder verlässt, Ort, Zeit und Theorien verschwinden hinter einem träumerischen Schleier. Dafür aber ein Lächeln: Café Nagler ist ein unambitionierter Feel-Good-Dokumentarfilm, der die Mechanismen seines Genres anders nutzt als eigentlich gedacht, der aber so warmherzig ist, dass man ihm das gar nicht wirklich übelnehmen mag.



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„Café Nagler“ ist kein Dokumentarfilm im eigentlichen Sinn, sondern reale Spurensuche und träumerische Verwandlung derselben in einem. Informativ ist das wenig, dafür aber auch aufgrund des persönlichen Bezuges herzerwärmend.