Erinnerungen an Marnie
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Erinnerungen an Marnie

(„Omoide no Mānī“ directed by Hiromasa Yonebayashi, 2014)

Erinnerungen an Marnie DVD
„Erinnerungen an Marnie“ ist ab 11. März auf DVD und Blu-ray erhältlich

Nach einem Asthmaanfall wird das Waisenkind Anna zu einem Ehepaar ans Meer geschickt, um sich dort zu erholen. Der Aufenthalt soll ihr nicht nur gesundheitlich helfen, ihre Pflegemutter ist auch beunruhigt, dass Anna immer für sich bleibt, keine Freunde findet und kaum mit anderen spricht. Tatsächlich fühlt sich das Mädchen isoliert von der Welt, von den Menschen im Stich gelassen. Das ändert sich erst, als sie während ihres Urlaubs Marnie kennenlernt, die in einem abgelegenen Haus lebt. Die beiden schließen schnell Freundschaft, endlich findet Anna findet Spaß am Leben. Und doch: Etwas stimmt nicht bei der Sache. Warum hat Anna das Gefühl, das Haus zu kennen? Und warum besteht Marnie darauf, dass ihre Freundschaft ein Geheimnis bleibt?

Alles muss einmal ein Ende haben, selbst Studio Ghibli. Rund 30 Jahre lang haben uns die japanischen Zeichentrickkünstler mit fantastischen Geschichten beschenkt, witzigen Figuren und wunderschönen Bildern, dabei Klassiker wie Prinzessin Mononoke, Die letzten Glühwürmchen oder Chihiros Reise ins Zauberland geschaffen. Nun liegt es also vor, das zumindest vorerst letzte Werk des Animationsstudios, und erinnert daran, was wir an den vorangegangenen 20 Filmen so geliebt haben – auch wenn Erinnerungen an Marnie in vielerlei Hinsicht ganz anders ist.

Zunächst einmal führte hier keiner der beiden Gründungsväter Hayao Miyazaki und Isao Takahata Regie, sondern der jüngere Kollege Hiromasa Yonebayashi (Arrietty – Die wundersame Welt der Borger). Und auch inhaltlich ist die Verfilmung des Kinderbuchs der englischen Autorin Joan G. Robinson etwas ungewöhnlich. „Ich hasse mich“, sagt Anna früh im Film. Junge Protagonisten mit Selbstzweifel sind im Ghibli-Gesamtwerk zwar keine Ausnahme, so explizit wie hier wurde es aber nie, so verloren hatte noch keiner zuvor gewirkt. Und auch dass sie ihr Umfeld an einer Stelle wüst und ohne erkenntlichen Grund beschimpft, passt nicht so recht in Ahnengalerie.

Allgemein begibt sich die Coming-of-Age-Geschichte auf ungewohnt düsteres Terrain, wird nach einer zwischenzeitlichen Aufhellung sogar herzzerreißend. Erinnerungen an Marnie will gar nicht so tun, als wäre das Leben immer schön. Tragödien passieren, nicht jede Familie schafft es, zu einem Hort des Glücks und der Liebe zu werden. Was der Film einem mitgibt, ist aber, dass dies nicht automatisch das Ende bedeutet, dass man seinen eigenen Weg aus der Dunkelheit finden muss und kann. Von einem Heileweltkitsch ist das trotz einer positiven Aussage und eines versöhnlichen Endes natürlich weit entfernt, ganz so zugänglich wie einige der Ghibli-Klassiker ist das nicht.

Das liegt auch daran, dass Erinnerungen an Marnie relativ wenig Humor enthält. Stattdessen ist das Drama mit Mystery-Elementen durchsetzt: Bis klar ist, worum es eigentlich geht, was es mit der geheimnisvollen Marnie auf sich hat, ist bereits die Hälfte des Films vorbei. Und so richtig viel gehandelt wird dabei auch nicht, die Geschichte wird sehr ruhig erzählt, lässt der jungen Protagonistin viel Raum zur Entfaltung. Und viel Raum für Wehmut: Dass ausgerechnet das vermutlich letzte Werk von Studio Ghibli so sehr mit Erinnerungen und dem Blick zurück beschäftigt ist, ist einerseits passend, gleichzeitig aber auch traurig. Sollte Erinnerungen an Marnie am Ende tatsächlich der Abschluss gewesen sein, so ist es aber immerhin einer, welcher der ruhmreichen Geschichte der Japaner würdig ist. Und das gilt auch für die Optik, die mit wunderschönen Hintergrundbildern, liebevollen Details und tollen Animationen der Welt noch einmal vor Augen führt, dass selbst im Jahr 2016 die Zeichentricktechnik ihren computergenerierten Kollegen mindestens ebenbürtig ist.



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Mit „Erinnerungen an Marnie“ nimmt das legendäre Studio Ghibli seinen zumindest vorläufigen Abschied. Das ruhige Coming-of-Age-Drama um ein unglückliches Mädchen und eine mysteriöse Freundin ist wie immer bei den Japanern wunderschön bebildert, trotz des versöhnlichen Endes aber zuweilen überraschend düster und traurig.
8
von 10